
Dschungelcamp, Tag zehn: Ein Stern, der deine Zunge schabt
"Ich bin ein Star...", Tag zehn Schauen Sie doch mal was anderes! Bitte!
Hallo, hier versucht wieder ein Spon-Kritiker, die Fernsehunterhaltung im Abendland zu retten! Auch wenn man damit bei Zuschauern und Foristen gegen die Wand rennt wie Sibel Kekilli in einem Fatih-Akin-Film. Reihum und gebetsmühlenartig wurde vor der Ereignislosigkeit dieser Staffel bereits gewarnt - genützt hat es nichts: Die Quote ist seit dem Wochenende wieder stabil. Im Durchschnitt sogar besser als eine Sendung von "Wetten, dass..?" mit Markus Lanz.
Was wiederum beweist: Verrisse von TV-Kritikern spielen für den Einschaltimpuls eine untergeordnete Rolle. Aber auch mit Empfehlungen hat man es nicht leicht. Dafür muss man sich bloß mal die aktuell für den Grimme-Preis nominierten Produktionen in der Kategorie Unterhaltung auf einen Zettel schreiben und ankreuzen, welche davon ein Zuschauererfolg waren.
Beim Dschungelcamp (letzte Grimme-Nominierung im Jahr 2013) zeigen sich seit Sonntag die Symptome eines erfolgreichen Alkoholentzugs: Am Anfang zittert man noch mit, am Ende ist es einem egal.
Die Sendung begann diesmal wie die Wiederholung eines Sexy-Sport-Clips: Tanja Tischewitsch in einer Hommage an den "Schulmädchen-Report". Schlüssellochästhetik beim Brüsteeincremen, beim Massieren, beim Schmuddelanekdoten-Erzählen. Gähn.
Noch schlimmer: In bester Stockholm-Syndrom-Manier nimmt man es einfach hin. Anscheinend hat man sich bereits so sehr an die RTL-Geiselhaft gewöhnt, dass man mit nichtstuenden Kandidaten sympathisiert, mit dem Sendungsformat kooperiert und dem Wahnsinn eine Bühne bereitet. Man ist kurz davor, sich an einen RTL-Redakteur zu kuscheln und ihm liebevoll ins Ohr zu säuseln: Ich bin immer noch dabei, wenn du dabei bist.
Vergessen sind dramaturgische Filethappen vergangener Staffeln und komplexe Konflikte. Nicht mal echte Enthüllungen sind dabei. Unmöglich scheinen diesmal Anleihen an griechische Tragödien oder William Goldings "Herr der Fliegen". Das Problem: Der Robinson-Club ist in diesem Jahr mit mehr Empathie und Vernunft ausgestattet als ein ganzer Rosenmontagsumzug in Dresden.

Darf zu ihrer ersten Prüfung antreten: Rebecca Siemoneit-Barum
Foto: RTLOffenbar in friedlichster Abstimmungsabsprache gönnten die Dauercamper daher auch Rebecca Siemoneit-Barum ihre erste Dschungelprüfung. Darin musste der ehemalige "Lindenstraßen"-Star ihren Kopf durch mehrere Leinwände stecken, auf die die Konterfeis vergangener Dschungelkönige gemalt waren. Hinter den Gemälden fand sich wie bei Ghostbusters II das Böse, in Form von üblichen Ekeltieren.
Nachdem Siemoneit-Barum mit ganzer Zungenkraft lediglich einen Stern für die täglichen Essensrationen aus den Windungen dieser Prüfung drehen konnte, durfte sie pflichtschuldig und mit passender Soap-Dramatik ihre vermutlich vorbereitete Geschichte über Gewichtsprobleme in die Kamera schluchzen - womit ihre Rolle ausgereizt wäre und ein Verbleib im Camp unwahrscheinlich.
Auch der angedeutete Strohalmkonflikt zwischen Walter Freiwald und Maren Gilzer konnte bei einer gemeinsamen Schatzsuche nicht intensiviert werden. Dieser enthüllte lediglich ein gemeinsames Defizit in Algebra-Grundlagen. Ansonsten war auch dieses lose Dschungelabenteuer so spannend wie eine Hausaufgabenkontrolle in der 3b. Nicht mal in Ansätzen gelingt es den Storylinern von RTL mittlerweile, eine gruppendynamische Entwicklung zu erzählen - was sogar die Zwischenmoderationen immer verzweifelter klingen lässt.

Auch die Moderatoren scheinen verzweifelt: Daniel Hartwich und Sonja Zietlow
Foto: RTLEinziges Erklärmodell für diese neue Art der Unterhaltung: Der Star soll als bemitleidenswerter Nachbar von nebenan inszeniert werden. Als Normalo, der genauso langweilig ist wie man selbst. Authentizität aus der Hölle - und mit dem Wiedererkennungseffekt eines Udo-Jürgens-Songs: Trotz Bohnerwachs und Spießigkeit gehen Millionen Zuschauer nicht stumm ins neonhelle Treppenhaus, haben keinen Pass und etwas Geld dabei und buchen keinen Flug nach New York. Es passiert: nichts. Solange das Camp-Lagerfeuer noch lodert, sitzen alle weiter vereint vor dem Fernseher.
Damit überhaupt noch etwas gesendet werden konnte, schickte RTL - oder Gott - einen Regenschauer über das Dschungelcamp. Doch weil der Grund einer Sintflut die Strafe für menschliche Verfehlung ist, kann man in diesem freundlichsten Dschungelcamp aller Zeiten selbst so eine mythologische Vorlage nicht zur intellektuellen Überhöhung nutzen.
Zum Schluss musste Sara Kulka nach einem missglückt-ironischen Voting-Aufruf ("Zu bieten habe ich nichts, da meine Brüste schon veröffentlicht wurden") das Camp verlassen. Damit scheint sich zumindest eine Dschungeltendenz zu bestätigen: Die alte Larissa-Marolt-Nummer ist totgeritten. Taffe Sprüche, Sex-Appeal und Ekel werden in diesem Jahr nicht zum Sieg führen.