
Dschungelcamp 2019 Pippiyotta und der Currywurstmann
Natürlich war ganz genau genommen niemand wirklich dabei, als Domenico de Cicco kurz vor seiner Abreise in den Dschungel seine Nagelschere aus dem Kulturbeutel kramte, sich einen klitzekleinen Nike-Schuh seines klitzekleinen Babys griff und sorgfältig, sehr sorgfältig begann, um das geschwungene Markenemblem, den so genannten Swoosh, herumzuschnippeln, um sich die so entstandene filigrane Lederschablone schließlich umgedreht über die Augenpartie zu legen, gut festzuhalten, sie beherzt mit Schuhcreme auszumalen und sich so ein neues, kühn geschwungenes, scharfkantiges Paar Augenbrauen zu basteln.
Niemand war dabei, aber es ist sehr gut möglich, dass es sich genau so zugetragen hat, man kann es sich lebhaft vorstellen - und darum ist schon nach der Einzugsfolge des diesjährigen Dschungelcamps klar, dass dieser Jahrgang ein guter, vielleicht großer werden kann: Endlich sehen wir hier wieder wunderbar sonderbare Figuren, die unsere Fantasie anregen, die uns tatsächlich in den nächsten zwei Wochen in die Parallelwelt entführen könnten, zu der "Ich bin ein Star - holt mich hier raus!" in seinen besten Momenten stets durchschlupfbereit die Katzenklappe für uns hochhielt.

Schon die ersten Eindrücke sind exzellent. Alf-Stimme Tommi Piper kreuzt zum ersten Kandidatentreff im weißen Leinenanzug, mit Tropenhelm und gebogenem Spazierstock auf (okay, aber wo waren das Schmetterlingsnetz und der zahme Begleitpfau?).
Die wie bei GNTM immer noch allzeit weinselige Gisele Oppermann spricht in einem faszinierend kraftlosen Dauerleierton und hängt an jeden Satz ein leise knarrendes Leiselaut-Partikel an: "Diese Prüfung ist eine Riesenherausforderung für mich, gnää, ich weiß nicht, ob ich das kann, gnäää". Wenn sie aber zur Abwechslung einmal lacht, ist das ein stakkatohaftes Rüttelkeckern, als fahre sie dabei in einem hart gefederten Golfwägelchen über eine Buckelpiste: "He-he-he-he!". Podcasterin Leila Lowfire erklärt, sie sei "so'n Charakterficker", fände also interessante Menschen hotter als einfach nur schöne: "Wenn Goethe heute noch leben würde, dann in meiner Vagina", sagt sie, und aus solchen Sätzen hätten wir im strengen Dschungel-Notwinter von 2017, als wir vor Langeweile zitterten und nichts zu beißen hatten, ein echtes Festmahl gekocht.
In diesem Jahr hat das vielversprechende Casting gleich zwei ganz offensichtlich schwelende Brandherde gelegt, die dem Camp zum ersten Mal von Anfang an einen echten Forschungsauftrag mit ins Dschungellabor geben: Was sticht schmerzlicher, enttäuschte Ro- oder zerschmetterte Bromance? Wie werden sich also das Ex-Paar Evelyn Burdecki und Domenico de Cicco und die Ex-Buddys Bastian Yotta und Chris "Cuttywurstmann" Töpperwien im Camp zueinander verhalten? Die Ex-Turtler nähern sich, kaum im Camp, jedenfalls zügig über einen geteilten Tiegel Gesichtscreme an, wie sich das für eine ordentliche Schmierenkomödie gehört. Schade, dass es keine Jamba-Klingelton-Abzocke mehr gibt, denn später lieferten sich die beiden noch eine Art Gespräch, mit dem sie an die Erfolge der nervigen Weihnachtstassen ("immer zweimal mehr wie du", die Greise werden sich erinnern) hätten anknüpfen können:
Er: "Isch hab keine Angst."
Sie: "Brauchst du auch nicht."
Er: "Hab isch auch nicht."
Sie: "Brauchst du auch nicht."
Er: "Hab isch auch nicht."
Sie: "Brauchst
(langsam nach hinten in das Dschungelgestrüpp wegtreten wie Homer Simpson in die Gartenhecke)
Die letztgenannten L.A.-Gockel müssen an ihrer Beef-Präse dagegen noch ein bisschen feilen. Yotta bezeichnet Chris als "Pussywurstmann", eine solid misogyne Beleidigung, umgekehrt verschenkt der so betitelte einen echten Prachtdiss, als er seinen Kontrahenten Pipi-Yotta nannte, statt den kleinen Denkschritt weiter zum elaborierten Schmähnamen Pippiyotta Ficktualia Ollgardina usw. usf. zu gehen. Hoffentlich kommt noch irgendwer auf die Idee, den Yotta beharrlich Jota zu nennen, nach dem neunten und kleinsten Buchstaben des griechischen Alphabets, der im übertragenen Sinn etwas Winziges, Marginales beschreibt - also das genaue Gegenteil seines selbst gewählten Künstlernamens Yotta, die größte gebräuchliche Mengeneinheit, die die Quadrillion eines Wertes bezeichnet. Ach, die sträflich vernachlässigte humanistische Beleidigungsbildung!
Dschungelprüfung, die erste
Ach ja, dschungelgeprüft wurde auch noch: Schon vor dem Einzug muss ein Teil der Bewohner auf einer Art Horror-Schwebebalken auf dem Dach eines 100 Meter hohen Wolkenkratzers turnen, im Camp dann den traditionellen Ekelkram verzehren. Selbst diese längst etwas fad gewordene Schikane barg einige hübsche Momente: "Basti, friss den Stierhoden!", rief der Wurstmann schadenfroh aus der Deckung, als sein Gegenspieler vor ihm ran musste - und den Mund, schwere Schmach für das Männchenego, nicht rechtzeitig leer bekam: Er hortete nach Ablauf der Zeit noch zu viel Stierpenis-Malm in seinen Backentaschen, diese Schmach kann nun in den nächsten Tagen in ihm gären. In die nächste Prüfung wurde von den Zuschauern erwartungsgemäß Heulsbringerin Gisele geschickt, die sich bis jetzt konsequent gnää-end allen Prüfungen verweigerte.
Zum ersten Mal gibt es dieses Jahr eine Dschungelkönigprämie von 100.000 Euro, um ähnliche Leistungsverweigerung wie im vergangenen Jahr zu verhindern. Sicher ist sicher, doch diesem Cast könnte man auch ohne diesen Anreiz zutrauen, die dringend nötigen Sanierungsarbeiten am zuletzt leicht heruntergewirtschafteten Prachtformat erledigen zu können. Nur ein schrecklicher Verdacht bleibt nach dem vielversprechenden Auftakt, der "Bild" muss bei ihrer großen Dschungel-Enthüllungsserie da etwas durchgerutscht sein: Doktor Bob trabte bei seinem ersten Auftritt abermals äußerlich völlig unverändert, scheinbar ungealtert, in die Szene - wird er von der Produktion bei ersten Verschleißerscheinungen etwa einfach durch einen neuen, baugleichen Bob ersetzt, wie seinerzeit die Lassiehunde?
Wir bleiben, hurra, dran!