Dunja Hayalis Sommertalk im ZDF Drei gegen Spahn
Die letzten 15 Minuten mit dem Mann, "dessen Name in den vergangenen Tagen in aller Munde war", hätte man sich sparen können. Im Teaser auf der Sendungshomepage hört man förmlich den raunenden Trommelwirbel, aber echt jetzt: Er hat halt endlich eine neue Personalchefin, schön, wir wissen mal wieder, was er verdient (7,2 Millionen im Jahr), wie gut sein Laden durch die Krise kommt , prima, und er hat gerade auf der Hauptversammlung seines Konzerns erklärt, wieso die Energiesparte nun abgespalten wird und er als deren neuer Chef ab 2021 weniger auf Kohlekraft setzen will.
Aha. Dann lassen wir Siemens-Chef Joe Kaeser mal beiseite. Und die 45 Minuten davor?
Da lief der neue Klassiker "Drei gegen Spahn". Wenn diese beherzt über Pflegerealität debattierende Runde kein Zufall war, sondern das Modell "Ein Politikmensch in Verantwortungsposition wird von Fachleuten zu einem Thema kritisch auseinandergenommen", dann hier ein Vorschlag an die Sender: Sendet doch das statt der üblichen "Na, wie geht's denn so?"-Sommerinterviews. Und lasst am besten auch gleich den Anfang mit dem gefühligen Realitydoku-Einspieler über Hayali im Neuköllner Altenheim ("Sie starb in diesem Zimmer", dazu klagende E-Gitarren) weg.
Falls sich jemand wunderte über diesen Mischmasch-Talk im ZDF: Für die Sommerwochen übernimmt Dunja Hayali den Sendeplatz von Maybrit Illner (die nun wohl auch auf der E-Mail-Liste der Rechtsextremen steht ).
Haben wir in den Corona-Monaten seit März nicht genug über Pflegekräfte geredet?
Gerade darum jetzt erst recht. "Durch Corona haben endlich alle gemerkt, dass wir systemrelevant sind", sagte die großartige Altenpflegerin und Gewerkschafterin Branka Invanisevic aus Neu-Isenburg, die ein Team von zwanzig Mitarbeitenden leitet. Sie, Helmut Wallraffen, Geschäftsführer der Sozial-Holding der Stadt Mönchengladbach, und die Sat.1-Moderatorin Andrea Kaiser, deren Vater im Pflegeheim lebt, knöpften sich CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn vor. Dass Balkonapplaus und der 500-Euro-Bonus nicht reichen, war nach zwei Minuten klar.
Wie kam's?
Ivanisevic zeigte gleich mal, wo der Hammer hängt: "Ich bin enttäuscht von der mangelnden Verantwortung: Wir hatten keine Schutzausrüstung" - und an Spahn gerichtet: "Das kann ich Ihnen nie vergessen". Auch wenn die Machthierarchien leider wieder traditionell verteilt waren (eben kein Sohn, der sich um seine alte Mutter sorgt, kein Altenpfleger, keine Pflege-Geschäftsführerin): Damit war der Ton gesetzt.
Worum ging's?
Um weit mehr als Corona: Die Runde klopfte die knirschenden Stellen der Pflegerealität so gründlich ab, dass die Debattenstränge endlich sichtbarer wurden. Es ging also um zu wenig Lohn - und Spahns seit dem 1. Juli neu geltenden 15-Euro-Mindestlohn und die Möglichkeit für Krankenhäuser, Prämien für ihre Leute vom Bund erstattet zu bekommen. Um die Frage, wie viel des monatlich fälligen Pflegegeldes bei den Pflegenden ankommt und wie viel Rendite normal sei (zwischen 7 und 14 Prozent, so Wallraffen). Um zu wenig Zeit für die Patienten und Angehörigen - und Spahns Ansage, den Pflegeschlüssel zu ändern. Um seine Absicht, einen breiten Tarifvertrag zu verabschieden, für den jedoch ebenso breites gewerkschaftliches Engagement fehle. "Macht eure Hausaufgaben", parierte Ivanisevic sofort und adressierte die Zuschauer:innen: "Hört, wenn nicht auf mich, dann auf Herrn Spahn und tretet morgen bei Ver.di ein!" Der wusste nicht recht, wie ihm geschah.
Und es ging um Spahns generalistisches Ausbildungsmodell, das künftig für Alten-, Kinderkranken-, Krankenhauspflege gelten solle, auch europaweit einsetzbar - und die Frage, ob das was am Image des Berufs drehe. Allein schon, damit das mit dem neuen Pflegeschlüssel klappen kann.
Klingt nach Henne-Ei-Problem
In der Kategorie schoss Spahn eh den Vogel ab: Ivanisevic klagte über das schlechte Ansehen des Berufsstands und sagte, ihrer Tochter empfehle sie deshalb einen anderen Beruf. Der Gesundheitsminister darauf: "Wir müssen jetzt mal über das Positive reden", aber wenn Ivanisevic hier sage, sie wünsche ihrer Tochter etwas anderes: "Wer will dann noch in diesen Beruf?" Mhm, klar. Die Altenpflegerin ist natürlich schuld, nicht die politisch verantworteten Arbeitsumstände.
Gab's davon noch mehr?
Zumindest in Sachen Respektlosigkeit: Sowohl Spahn als auch Wallraffen war es zwischenzeitlich völlig wumpe, dass Hayali das Gespräch leitete, etwa Zahlen über Versorgungslücken bis 2050 zeigen wollte: Sie redeten einfach weiter ihren Kram, obwohl sie mehrfach einhakte. Als sei sie gar nicht da. So was war in Polittalks lange nicht zu sehen.
Und Kaeser?
In 15 Minuten inklusive Einspieler bleibt halt kaum Raum, um die euphemistische Täuschung des Worts "Sozialpartnerschaft" auseinanderzupflücken, mit dem er erklärte, wieso Siemens einerseits damit angibt, so gut durch die Krise zu kommen, sich aber trotzdem die Kurzarbeit vom Staat zahlen lässt. Auch nicht, um zu klären, wieso er meint, eine wohltätige Spende von einer Million Euro (Wer erinnert sich ans aktuelle Jahresgehalt, na?) wäre angemessen, um Boni aus Bilanzgründen zu vermeiden. Und erst recht nicht, um seine schwammige Kohleausstiegs-Formel kritisch abzuklopfen. Lasst mal lieber Ivanisevic ran.