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"Tatort" mit Jörg Hartmann: Der Bulle mit dem irren Blick

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Dortmund-"Tatort" Kabale und Hiebe

"Nachts miteinander vögeln, tagsüber nur Kollegen." Im Dortmunder "Tatort" herrscht wieder Ausnahmezustand. Der Chef reißt Waschbecken aus der Wand, die anderen wüten in ihren Betten. Ein rabiater Krimi über Lug und Selbstbetrug.

Das letzte Mal, als wir ihn sahen, bearbeitete er mit dem Baseballschläger ein Autowrack. Rein dienstlich, versteht sich. Diesmal reißt der Dortmunder Kommissar Peter Faber (Jörg Hartmann) Waschbecken aus der Wand der Revier-Toilette. Der Schaden lässt sich allerdings beim besten Willen nicht mehr unter "dienstlich" verbuchen. Der Chef guckt nur milde und fordert den Randalierer auf, den Schrott selbst zu entsorgen. Faber aber bleibt zusammengesackt neben dem Urinal hocken, das Gesicht weiß wie der Tod.

Da war doch was mit diesem Typen. Ach ja: schwerer Psychopharmakamissbrauch, Frau und Kind bei einem Autounfall ums Leben gekommen, Ursache noch nicht ganz geklärt. Erstaunlich, wie präsent einem die Biografie des kaputten Kommissars noch ist. Immerhin sind die beiden ersten Folgen des 2012 neu geschaffenen Dortmunder "Tatort"-Reviers schon vor gut einem Jahr gelaufen. Eigentlich sollte die dritte viel schneller anschließen, aber Anna Schudt, die Darstellerin von Fabers Kollegin Martina Bönisch, bekam zwischenzeitlich ein Baby, deshalb haben sich Dreh und Ausstrahlung verschoben. Und doch ist der Faden der Erzählung nicht abgerissen.

Der "Tatort" aus Dortmund ist ja neben dem Rostocker "Polizeirevier" mit Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner der einzige aktuelle deutsche Krimi, in dem nach amerikanischem Serienprinzip konsequent horizontal erzählt wird: Neben dem jeweiligen Fall entwickeln sich kontinuierlich die Geschichten um die Ermittler weiter. In der aktuellen Episode nun deutet sich an, dass Fabers Frau und Kind möglicherweise ermordet worden sind. Kollegin Bönisch indes, die sich sonst immer mit Callboys im Hotel getroffen hat, wird auf einmal von Zweifeln an ihrem extrem streng organisierten Liebesleben geplagt. Und die beiden Jungen im Team, Nora Dalay (Aylin Tezel) und Daniel Kossik (Stefan Konarske), geraten stärker in den Vordergrund.

Homies runter, Hochglanzbilder rauf

Gerade diese Entwicklung ist wichtig, hatte man bislang ja ein wenig den Eindruck, dass sie eher als juveniles Beiwerk gehandelt würden, um den Dortmunder "Tatort" nach Art des total verunglückten Erfurter TV-Reviers für die junge Zielgruppe attraktiv zu machen. In der aktuellen Folge aber gerät das sonderbar unausgegorene Verhältnis der beiden amourös verbundenen Ermittler in den Fokus: Schläft man nur miteinander? Oder lebt man schon miteinander? Und sollte man die Kollegen bald mal über die Beziehung aufklären?

Nicht nötig. Während einer Besprechung bringt Kommissar Faber in seiner unnachahmlich impertinenten Art die Natur des Verhältnisses von Dalay und Kossik auf den Punkt: "Nachts miteinander vögeln, tagsüber nur Kollegen."

Eine rabiate Einlassung zu einer Frage, die in dem "Tatort" smart für unterschiedliche Lebenswelten aufgeschlüsselt wird: Was gibt man für wen mit welcher Zielsetzung von sich preis? Nach dem Besuch der Nobeldisco "Century" wurde eine Schülerin vergewaltigt und ermordet. Bei den Untersuchungen stellt sich heraus, dass die Tote zu Lebzeiten eine Art Doppelexistenz führte. Sie lebte mit ihren Eltern in Dortmund-Clarenberg, einem vor 30 Jahren hochgezogen Betonkomplex, nachts aber sucht sie den Kontakt zu reichen Altersgenossen.

Wer will ich sein? Wer sollen meine Freunde sein? Bei ihren Recherchen finden die Ermittler heraus, dass die Tote ein Jahr zuvor einen neuen Facebook-Eintrag vorgenommen hat. Wo vorher Bilder von der Familie und den Nachbarjungen zu sehen war, standen später "Selfie"-Porträts von Partynächten mit Champagner und teurem Wodka. Homies runter, Hochglanzbilder rauf. Auch wenn die Handlung von "Eine andere Welt" (Buch: Jürgen Werner, Regie: Andreas Herzog) ein bisschen vorhersehbar ist und die Figuren zuweilen arg grob gezeichnet sind - der Subplot um Lug und Selbstbetrug wühlt auf.

Und was ist mit Faber, dem Ermittler mit dem irren Blick? Findet der denn endlich mal zurück in seine eigene Welt? Eher nicht. Statt mit seinem Leben Frieden zu schließen, denkt er sich weiter manisch in die Leben der anderen hinein. Professionalität und Aggressivität, Wahn und Wirklichkeit geraten bei ihm immer stärker durcheinander. Etwa als er die Vergewaltigung des Opfers mit der Kollegin Bönisch nachstellt. Wirft sich mit aufgerissenen Augen und Mund im Auto über sie und fummelt an ihrer Kleidung rum, bis sie streng schreit: "Nicht den Slip!"

Für die nächste Folge rechnen wir mit dem Schlimmsten.


"Tatort": Eine andere Welt", Sonntag, 20.15 Uhr, ARD

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