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TV-Regie: Die falschen Tränen der Uefa

Umstrittene TV-Bilder bei EM Das falsche Spiel der Uefa

Können die Zuschauer der EM-Übertragung trauen? Jogi Löw neckt einen Balljungen, ein deutscher Fan weint - doch beide Szenen sind gar nicht live. Der Grund: ARD und ZDF müssen ihre Bilder von der Uefa kaufen. Und deren Funktionäre haben ganz eigene Interessen.

Hamburg - Man hatte Besserung gelobt - und hat es doch wieder getan. Erneut hat ein TV-Team der Uefa bei der Live-Übertragung eines EM-Spiels Bilder aus der Konserve eingespielt, ohne das transparent zu machen. Die Zuschauer glaubten, dass eine deutsche Anhängerin, die nach dem zweiten Tor des Italieners Balotelli weinend auf der Tribüne gezeigt wurde, damit das drohende Aus für die DFB-Elf betrauerte. Doch ihre Tränen waren längst getrocknet, als Balotelli traf - sie waren noch vor dem Anpfiff geflossen und gefilmt worden, als die Hymnen der Teams erklangen.

Die trügerischen Tränen sind bereits der zweite Fall bei dieser EM, bei dem das während der Spiele von Uefa-TV-Teams produzierte sogenannte Weltbild - das auch ARD und ZDF übertragen und lediglich anreichern - nachweislich "unsauber" war. Im Spiel gegen Holland hatte bereits eine Szene mit Joachim Löw für Ärger gesorgt: Der Bundestrainer stupste launig einem Balljungen einen Ball weg. Doch auch diese Aktion hatte sich nicht während des Spiels ereignet, sondern zuvor.

Nun könnte man sagen: Was soll's? Was sind schon Tränen und Stupser aus der Konserve? Petitessen, missglückte Regieeinfälle. Doch hinter dem, was die TV-Zuschauer zu sehen bekommen, steht eine Logik. Genau wie hinter dem, was sie nicht zu sehen bekommen.

Als etwa das kroatische Team gegen Irland antrat, rannte ein Flitzer aufs Feld und knutschte Trainer Slaven Bilic ab. Als es gegen Italien ging, zündeten kroatische Anhänger Bengalos im Stadion. Bei einigen EM-Partien blieben viele Plätze leer. Doch die Fernsehzuschauer sahen von all dem: wenig bis nichts.

Ein Fall von Zensur?

Und bei besagter Begegnung zwischen Deutschland und Holland war nicht nur ein Live-Stupser zu sehen, der keiner war. Sondern es gab auch ein Ereignis gar nicht zu sehen: Die Grünen-Politiker Rebecca Harms und Werner Schulz hatten im Stadion im ukrainischen Charkiw Transparente ausgerollt. Sie wiesen auf die heikle Situation der Opposition in der Ukraine hin: "Fairplay in football and politics" sowie "Release all political prisoners" hätten TV-Zuschauer auf den Plakaten lesen können. Wenn sie gezeigt worden wären.

Zum Glück kam ZDF-Kommentator Béla Réthy seiner journalistischen Pflicht nach. Er beschrieb die Aktion mit Worten, da sein Sender sie nicht zeigen konnte. Denn laut ZDF lagen keine Uefa-Bilder von dem Protest vor, und die eigenen Kameras dürften gar nicht die VIP-Tribüne filmen, auf der sich Schulz und Harms befanden. Die Grünen-Politikerin findet das "skandalös", zumal ARD und ZDF für die Senderechte der Uefa viel Geld zahlen müssten. Harms sagte SPIEGEL ONLINE: "Wenn das vertraglich so geregelt ist, dann akzeptieren ZDF und ARD damit Zensur, wie bei der Aktion in Charkiw. Und sie akzeptieren Fälschungen, wie zuletzt offensichtlich mit dem Bild der weinenden, mit Deutschland sympathisierenden Frau."

Zum Löw-Stupser hieß es seitens der Uefa zunächst lapidar: Es sei "nicht unüblich, dass solche Szenen auch mal in die Live-Übertragung eingespielt werden". Störenfriede wie Flitzer wiederum wolle man nicht ermuntern, indem man ihnen eine TV-Bühne verschaffe. Außerdem und vor allem gehe es ja um das Spiel.

Es soll menscheln, es geht also um Drama

Nach dem neuerlichen Vorfall hat SPIEGEL ONLINE einen Fragenkatalog bei der Uefa zu deren Umgang mit TV-Live-Bildern eingereicht. In der Antwort geht der Verband detailliert auf Löw-Stupser und Tränen-Frau ein - und sieht Probleme im Praktischen, nicht aber im Grundsätzlichen. Bei Löw habe der Regisseur eine Wiederholungseinblendung verwendet (im Fachjargon: replay wipe), um klar zu machen, dass dies keine Live-Szene sei. Die Uefa könne aber nachvollziehen, dass dies ungenügend gewesen sei und habe das Team daher instruiert, bei solchen Fällen zusätzlich eine Zeitlupe zu verwenden. Aber verstehen die Zuschauer allein dadurch, dass eine während der Live-Übertragung eingespielte Szene möglicherweise vor dem Spiel gefilmt wurde?

Und die weinende Dame? Das TV-Team sei angewiesen worden, "solche Reaktionen nicht mehr als Wiederholungen direkt im Anschluss an eine Live-Aktion einzublenden, um falschen Eindrücken vorzubeugen", teilt die Uefa mit. Wenn am Sonntag während des Finales also flennende Spanier oder Italiener zu sehen sind, flennen sie live. Immerhin.

Zu fehlenden Flitzern oder politischem Protest fehlen dagegen konkrete Aussagen. Die Uefa betont lediglich, dass "wir keinerlei Absicht haben, Bilder zu 'manipulieren'". Und verweist im Übrigen darauf: "Jede Sendeanstalt hat eigene Kameras vor Ort und kann unsere Bilder mit ihren eigenen ergänzen. Viele machen davon Gebrauch, auch die deutschen Sendeanstalten."

Die Uefa will mit ihren TV-Bildern laut eigener Stellungnahme "the human story of the game" erzählen. Es soll menscheln, es geht also um Drama. Dazu beschäftigt das TV-Team des Verbands - das als sogenannter Host-Broadcaster fungiert - einen großen Apparat aus Technik und Personal. Bei jeder Partie bietet Uefa-TV über 30 Kameras auf, liefert beauty shots aus dem Stadion, filmt dank Helikoptereinsatz sogar aus der Luft.

Die Herren des Weltbilds

Für die Rechte an diesen Bildern zahlen ARD und ZDF die berühmt-berüchtigten Lizenzgebühren an die Uefa - rund 120 Millionen sollen es bei dieser EM gewesen sein, an die 160 Millionen sind angeblich für die EM 2016 in Frankreich fällig. Die deutschen Öffentlich-Rechtlichen sind zwar zusätzlich - darauf weist die Uefa zurecht hin - mit eigenen Kameras vor Ort. Die dienen aber eher dazu, Material zu produzieren, das vor und nach dem Spiel sowie in der Halbzeitpause gesendet wird; Einspieler von der sogenannten pitch side etwa, vom Spielfeldrand. Oder das Geplänkel aus dem ARD-Glasstudio im Stadion zwischen Matthias Opdenhövel und Mehmet Scholl. Das gilt im globalen Vergleich sogar als Luxus. Viele TV-Sender, vor allem aus kleineren und ärmeren Ländern, haben für so etwas kein Geld und müssen sich komplett auf die Uefa verlassen - die Herren des Weltbilds.

Zu deren "human story of the game" gehören offenbar einerseits: ergreifende Emotionen. Ein Fan - noch dazu eine Frau! - weint, weil das eigene Team zu verlieren droht. Wie mitreißend! Ein Trainer neckt - trotz aller Anspannung! - verspielt einen Balljungen. Wie bezaubernd! Andererseits scheinen nicht dazu zu gehören: Bengalos, Flitzer oder deutsche Politiker, die an die fragwürdige Menschenrechtspolitik des Gastgeberlands erinnern. Die Zuschauer von ARD und ZDF haben aber ein Recht, darüber informiert zu werden - auch Politik oder unschöne Szenen gehören zu solch einem Turnier.

Doch das menschelnde Drama der Uefa soll eben nicht nur Zuschauer vor den Schirm locken - sondern muss auch Sponsoren beglücken. Und die dürften lieber in einem Umfeld werben wollen, das frei ist von Politik oder allzu martialischer Fankultur: "ein friedliches Fußballfest", sagen TV-Reporter dazu gern.

Eine Fußball-EM ist eben auch eine riesige Marketingveranstaltung: Rund 150 Millionen TV-Zuschauer sollen geschätzt die EM 2008 verfolgt haben, in Deutschland waren bei der aktuellen EM reihenweise Quotenrekorde zu vermelden, die Reichweite ist also phänomenal. "Ich glaube, dass die Fußball-EM für viele das größte Ereignis des Jahres ist, vielleicht noch etwas wichtiger als die Olympischen Spiele", sagt etwa Dieter Gruschwitz, Sportchef des Zweiten.

Damit meinte der ZDF-Mann wohl Abermillionen Fans auf der ganzen Welt. Der Satz gibt aber vermutlich auch die Haltung vieler Sponsoren wieder, die für sich werben wollen - auf der ganzen Welt. Laut "Handelsblatt" kostet ein EM-Auftritt als Hauptsponsor zwischen 25 und 40 Millionen Euro. Continental ist zum Beispiel als Uefa-Partner dabei. "Die Sichtbarkeit in Asien und Südamerika, beides Märkte in denen wir wachsen wollen, ist für uns sehr wichtig", sagte ein Sprecher des Autoreifenherstellers dem Blatt. Auch jenseits der Stadien in Polen oder der Ukraine und jenseits der TV-Spots lassen sich Unternehmen die Hoffnung auf einen Imagegewinn dank EM viel kosten: Der Autohersteller Hyundai taufte etwa die Fanmeile vor dem Brandenburger Tor, wo sich bis zu 500.000 Zuschauer versammeln, auf seinen Namen.

WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn, bei der ARD verantwortlich für das Turnier, sagte der "Süddeutschen Zeitung" zum Tränen-Fall: "Diese Bilder sind für uns so nicht akzeptabel - zumal wir mit der Uefa über diese Problematik vor wenigen Tagen gesprochen hatten. Wir werden jetzt erneut das Gespräch suchen." Das sollten ARD und ZDF tun. Nach dem Löw-Stupser reagierte die Uefa zunächst fast desinteressiert, gab dann aber gemeinsam mit ARD und ZDF eine sehr entschlossen klingende Erklärung heraus: Die Klarheit für den Zuschauer müsse an oberster Stelle stehen. Nur kurze Zeit später verkaufte sie dann alte Tränen als neu. Mit Gebührenmillionen finanzieren ARD und ZDF das Weltbild der Uefa indirekt mit - der Ball liegt damit auch in ihrem Feld.

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