ZDF-Reportage über türkische Dissidenten Der Präsident, der meinen Kopf will

Müssen Kritiker des türkischen Staatschefs im Ausland um ihr Leben fürchten? In »Erdoğans Terrorliste« erzählt der Journalist Can Dündar, wie er mit der Bedrohung lebt – und wie die deutsche Politik damit umgeht.
Can Dündar (l.), Recep Tayyip Erdoğan: Vom Staatschef gejagt

Can Dündar (l.), Recep Tayyip Erdoğan: Vom Staatschef gejagt

Foto: Can Dündar / Andrzej Król / OTHER PEOPLE pictures / ZDF

Am Ende des Films sitzt Can Dündar vor der Person, die den Auftrag erhalten hatte, ihn zu erschießen. Der Mann ist wegen mutmaßlichen Mordes in einem anderen Fall und wegen Erpressung in Argentinien in Haft. Bei der Begegnung lächelt er linkisch und erzählt von türkischen Mafiosi, die ihn unter Druck setzten, und von türkischen Politikern, die ihm versprachen, er werde nach der Tat als Held gefeiert werden.

Türkische Mafia und türkische Politik – diese Wortkombination fällt häufiger während der Recherchen des türkischen Journalisten Dündar, die nun in Form einer 45-minütigen Reportage unter dem Titel »Erdoğans Terrorliste« im ZDF veröffentlicht werden.

Dündar war einst Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung »Cumhuriyet«; in einer investigativen Recherche zeichnete das Blatt nach, wie die türkische Regierung Waffen an Dschihadisten in Syrien lieferte. 2016 wurde Dündar wegen Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen zu einer Haftstrafe verurteilt. Als er nach drei Monaten freikam, schäumte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, in einem Fernsehinterview wetterte der Autokrat mit Bezug auf den Journalisten: »Diese Person wird einen hohen Preis bezahlen.«

Dündar (M.) mit Co-Autor Hauke Wendler (r.): Bei der Recherche

Dündar (M.) mit Co-Autor Hauke Wendler (r.): Bei der Recherche

Foto: Andrzej Król / ZDF

Nach dem misslungenen Mordanschlag auf ihn (ausgeführt von einem anderen Mann als dem, der in Argentinien einsitzt) floh Dündar nach Deutschland, wo er unter Polizeischutz lebt und arbeitet . Sein Name steht nun auf einer Liste, auf der Erdoğan-Leute angebliche türkische Staatsfeinde sammeln.

1300 Personen umfasst diese Liste, für ihre Ergreifung sollen Kopfgelder ausgesetzt sein. Den »hohen Preis«, von dem Erdoğan spricht, könnten dessen zum Teil fanatische Sympathisanten als Aufruf zu Dündars Ausschaltung verstehen. Für die ZDF-Reportage treffen Dündar und sein Co-Autor Hauke Wendler Kollegen, die ebenfalls aus der Türkei ins Ausland geflohen sind und nun auf dieser Liste stehen.

Wir haben dich im Visier

In einer hessischen Kleinstadt begegnen die beiden dem ehemaligen Chefredakteur eines türkischen Magazins, der wie Dündar in der Türkei im Gefängnis saß – zuvor hatte er auf einem satirisch zugespitzten Coverbild Erdoğans blutige Kurdenpolitik kritisiert. Unlängst wurde in regierungsnahen türkischen Medien der eigentlich geheime Aufenthaltsort des Geflüchteten und seiner Familie verbreitet, offenbar hatte ihn der türkische Geheimdienst aufgespürt. Die Botschaft: Wir haben dich im Visier.

Dündar beim Prozess in der Türkei 2016: »Diese Person wird einen hohen Preis bezahlen«

Dündar beim Prozess in der Türkei 2016: »Diese Person wird einen hohen Preis bezahlen«

Foto: AP / ZDF

Bei dem Ex-Chefredakteur in Hessen ist es bislang bei der Drohung geblieben; ein nach Schweden geflohener türkischer Autor, der ins Visier von Erdoğans Leuten geraten ist, überlebte indes nur knapp einen Anschlag. Der Journalist hatte in der Türkei Bücher herausgebracht, in denen er über Korruptionsvorgänge um Erdoğan während dessen Zeit als Oberbürgermeister von Istanbul berichtete. Die Bücher wurden beschlagnahmt, der Journalist reiste mit seiner Familie nach Schweden aus und bloggte von dort aus weiter gegen das Erdoğan-Regiment.

Irgendwann erhielt er eine Nachricht von einem türkischen Mafiaboss: »Wenn ich will, kann ich dir innerhalb von 24 Stunden den Kopf abschlagen lassen, auch in Schweden.« Wenig später wurde der Journalist wenige Meter von seinem Wohnort im Auto von Angreifern niedergeschlagen, die kleine Tochter musste aus dem Kindersitz zuschauen. Er überlebte mit Schädelhirntrauma.

Ein politisches Roadmovie

Die Reportage, die nun kurz vor der Schicksalswahl in der Türkei läuft,  ist als Roadmovie angelegt; sie zeigt Menschen auf der Flucht und in permanenter Alarmbereitschaft. Die Filmemacher stellen die unterschiedlichen Protagonisten in kurzen Steckbriefen vor. Und das mit den Steckbriefen ist wörtlich zu verstehen: Die Porträtaufnahmen der Befragten sind so gefilmt, montiert und grafisch aufbereitet, dass sie an polizeiliche Erfassungsbilder erinnern.

Ob dieses sarkastische Zu-eigen-machen der Menschenjagd aus dem Erdoğan-Umfeld der Sache des Films dient, darüber mag man streiten – de facto sind die geflohenen türkischen Journalisten Zielobjekte einer politischen Flurbereinigung. Dass sie in Staaten Zuflucht suchen, die sich politisch mit der Türkei zu arrangieren haben, macht ihren Status umso prekärer.

Für den ZDF-Film sollen etliche Politiker in Deutschland und Schweden angefragt worden sein. Der Einzige, der sich vor der Kamera äußern wollte, war demnach Herbert Reul, der Innenminister von Nordrhein-Westfalen. Er sichert den geflohenen türkischen Journalisten knapp und klar Schutz zu. Er sagt aber auch diese gewundenen Sätze: »Das, was in der Türkei passiert, finde ich nicht akzeptabel. Das ist nicht meine Politik. Auf der anderen Seite lerne ich aber auch, dass die Türkei für die Frage von Stabilität in der Weltgesellschaft nicht ganz unwichtig ist und auch für die Frage der Flüchtlingspolitik eine wichtige Rolle gespielt hat.«

Kurz: In der Geopolitik, von Fluchtströmen bis zum Ukrainekrieg, geht in zentralen Punkten nichts ohne die Türkei. Und wenn diese von Erdoğan regiert wird, geht eben nichts ohne Erdoğan.

Auch das bringt dieses Doku-Roadmovie eindrücklich auf den Punkt: Während die deutsche Politik mit Erdoğan auf verschiedenen Ebenen Bündnisse eingeht, lässt sie türkische Journalisten in gepanzerten Limousinen von LKA-Leuten eskortieren, um sie vor dem eigenen Bündnispartner zu schützen.

»Erdoğans Terrorliste – Wie die türkische Regierung weltweit Kritiker jagt«, Dienstag, 21.00 Uhr, ZDF. Ab 18 Uhr bereits in der ZDF-Mediathek abrufbar.

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