Entscheidung der Europäischen Rundfunkunion Russland darf 2022 nicht am Eurovision Song Contest teilnehmen

Sollen russische und ukrainische Interpreten beim ESC konkurrieren? Nach längeren Beratungen ist die EBU zum Schluss gekommen, dass das in Kriegszeiten rufschädigend wäre: Russland darf nicht teilnehmen.
Russische ESC-Fans (2012 in Baku): Keine Reise nach Turin

Russische ESC-Fans (2012 in Baku): Keine Reise nach Turin

Foto: Ryumin Alexander / picture alliance / dpa

Russland wird aufgrund der Invasion in die Ukraine vom diesjährigen Eurovision Song Contest in Turin ausgeschlossen. Das teilte die zuständige Europäische Rundfunkunion EBU am Freitagabend in Genf mit.

Eine Beteiligung Russlands am diesjährigen ESC würde »den Wettbewerb angesichts der beispiellosen Krise in der Ukraine in Verruf bringen«, erklärte die EBU am Freitag. Russland hatte am Donnerstagmorgen einen Großangriff auf die Ukraine gestartet und damit weltweit Erschütterung und Entsetzen ausgelöst.

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Die Europäische Rundfunkunion hatte noch am Donnerstag verkündet, der ESC sei ein nicht-politisches, kulturelles Event. »Die EBU ist jedoch besorgt über die aktuellen Ereignisse in der Ukraine und wird die Situation weiterhin genau beobachten.«

Wo beginnt die Politisierung?

Nachdem Russland in die Ukraine einmarschiert war, hatte die Ukraine gefordert, die EBU-Mitgliedssender sollten so früh wie möglich erwägen, Russland vom diesjährigen ESC in Italien auszuschließen. In seinem Schreiben  an die EBU-Vorsitzende, die Französin Delphine Ernotte Cunci, betonte der Vorstandschef des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Ukraine (Suspilne), die russischen Sender hätten sich systematisch an der Desinformationspolitik im Zusammenhang mit dem russischen Angriff beteiligt. Dies widerspreche den Grundregeln der EBU. Deshalb solle die Mitgliedschaft unter anderem von Channel 1, dem russischen ESC-Ausrichter, suspendiert werden.

Als direktes Vorbild für dieses Vorgehen verweist der ukrainische Rundfunkfunktionär auf den Ausschluss der belarussischen Rundfunkanstalt BTRC. Sie wurde im August 2021 für drei Jahre aus der EBU suspendiert , weil sie nicht zur Wahrung der Pressefreiheit in dem osteuropäischen Staat beigetragen habe. Die russischen Sender seien ein vergleichbares Machtinstrument, so der Suspilne-Chef.

Zum Krieg in der Ukraine äußerte sich die EBU zunächst nur sehr allgemein mit einem Statement, in dem die Bedeutung der freien Medienberichterstattung betont wurde.

Der Eurovision Song Contest ist das prominenteste Beispiel der Zusammenarbeit von EBU-Mitgliedern. Doch immer wieder gibt es Streit um die Teilnahme verschiedener Länder, oft aufgehängt an den einzelnen nominierten Liedern. 2021 war der belarussische Titel von der EBU nicht zugelassen worden, weil sich sein Text über die Proteste gegen die Wiederwahl von Präsident Lukaschenka lustig machte. Auch 2009 fiel der georgische Beitrag »We Don't Wanna Put In « dem Artikel im ESC-Regelwerk  zum Opfer, der betont, dass der Liederwettbewerb unter keinen Umständen politisiert werden dürfe.

Doch eine Teilnahme des Aggressors Russland am ESC sah der ukrainische Rundfunk an sich schon als Politisierung des Wettbewerbs und Regelverstoß an. Eine Ansicht, der sich als Erstes Hanna Stjärne, die Chefin der schwedischen EBU-Mitgliedsanstalt SVT anschloss : »Die EBU muss umdenken«, sagte Stjärne. Sie sympathisiere mit der Grundidee des ESC als unpolitischer Veranstaltung. Aber Russlands Invasion in der Ukraine überschreite alle Grenzen.

Boykottdrohung aus Finnland

Am Freitag verkündeten auch Vertreter der dänischen  und norwegischen  ESC-Sender, man habe der EBU mitgeteilt, das man eine russische Teilnahme am Song Contest für falsch halte. Am Weitesten ging die finnische Anstalt Yle: Man beabsichtigte nicht am Wettbewerb teilzunehmen, wenn Russland eingeladen werde, sagte Ville Vilé , Direktor der Creative Content and Media Unit von Yle, in einer Pressemitteilung .

Der in der ARD für den deutschen ESC-Beitrag federführende Norddeutsche Rundfunk (NDR) hatte auf SPIEGEL-Anfrage am Freitagnachmittag an die EBU verwiesen. Diese verkündete anderthalb Stunden später ihre Entscheidung. Man habe sich die Zeit genommen, sie ausgiebig mit den Mitgliedern zu besprechen, hieß es im EBU-Statement.

Am frühen Abend begrüßten die beiden deutschen EBU-Mitglieder ARD und ZDF die Entscheidung, Russland die Teilnahme am Eurovision Song Contest 2022 zu verweigern. Der ESC sei ein musikalisches Fest der Völker Europas, repräsentiere Werte wie Freiheit und Vielfalt und sei ein friedlicher Wettstreit kreativer Köpfe. »Wenn ein Teilnehmerland des ESC von einem anderen angegriffen wird, sind wir innerhalb der europäischen ESC-Familie solidarisch. Deshalb ist die Entscheidung gegen die Teilnahme Russlands an dieser Stelle richtig«, erklärten die ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger und ZDF-Intendant Thomas Bellut am Freitag.

Im Sport hatte der Krieg bereits zuvor Konsequenzen gehabt. So beschloss die Formel 1, den Großen Preis von Russland in dieser Saison abzusagen, die UEFA verlegte das Champions-League-Finale von Sankt Petersburg nach Paris.

Der ESC soll am 14. Mai mit seinem großen Finale in Turin über die Bühne gehen. Russland und die Ukraine wären bereits im ersten Halbfinale am 10.5. aufeinandergetroffen, in das beide Länder gelost wurden, um sich fürs Finale zu qualifizieren. Auch Lettland tritt im ersten Halbfinale an – die lettischen Vertreter, die Band Citi Zeni, hatten ebenfalls die EBU aufgefordert, eine russische Teilnahme zu überdenken.

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In den sozialen Netzwerken verbreitete sich seit Donnerstag der Hashtag #EurovisionWithoutRussia  – die russische Eurovisionseite bei Instagram wiederum antwortete mit #EurovisionWithRussia .

Doch auch in der russischen ESC-Szene wird der Angriffskrieg gegen die Ukraine kritisch gesehen. Die Sängerin des russischen Beitrags von 2021, Manizha, postete ein schwarzes Quadrat auf Instagram  und schrieb, jeder Krieg zwischen Russland und der Ukraine sei Brudermord.

Der zweimalige Drittplazierte (2016 und 2019) Sergey Lazarev postete ebenfalls  das schwarze Trauer-Quadrat und flehte die Verantwortlichen an, sich an den Verhandlungstisch zu setzen: »Lasst die Menschen leben! Niemand unterstützt den Krieg! Ich möchte, dass meine Kinder in Friedenszeiten leben!«

Lazarev (mit Flagge) 2016 im Kreis der russischen Delegation

Lazarev (mit Flagge) 2016 im Kreis der russischen Delegation

Foto: Maja Suslin / picture alliance / dpa

Die russischen Teilnehmer von 2020, Little Big, posteten  einfach nur die Worte »Kein Krieg« auf Englisch und Russisch. Die Sängerin Natalia Podolskaya erinnerte sich wehmütig an ihren Auftritt beim ESC in Kiew 2005 und postete zwei Hände, in russischen und ukrainischen Farben.

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Als der Eurovision Song Contest zum zweiten Mal in der ukrainischen Hauptstadt ausgetragen wurde, konnte Russland nicht teilnehmen, weil es eine Sängerin nominiert hatten, die auf der besetzten Halbinsel Krim aufgetreten war. Doch auch die verhinderte Teilnehmerin von 2017 (die 2018 dann doch singen durfte), Julia Samoylova, äußerte nun  ihr Unverständnis über den Krieg.

Ein Sänger oder eine Sängerin, die Russland in Turin hätte vertreten sollen, war noch nicht bekannt gegeben worden. Es war eine interne Kandidatenkür geplant. Die Ukraine trug hingegen einen öffentlichen Vorentscheid aus. Doch deren Siegerin, Alina Pash, trat am 16. Februar als Kandidatin zurück. Hintergrund waren offene Fragen zu einer Reise der Sängerin auf die von Russland annektierte Halbinsel Krim im Jahr 2015. Nach dem Rücktritt von Pash schickt die Ukraine nun die Band Kalush Orchestra mit dem Titel »Stefania«  nach Turin.

feb/dpa/AFP
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