Die zehnte Staffel "Topmodel", eine Lernkurve ist erkennbar: Den Kandidatinnen kann ein ambitionierteres Schnäuzchenschürzen abverlangt werden. Und die Aufgabe, die Wolfgang Joop beim Massen-Casting stellte, hatte es in sich: "Jetzt pose mal mit unserem Male Model so, als wäret ihr Studenten!"
Verrückt, das kann sich doch kein Mensch vorstellen! Die Umsetzung geriet dann freilich auch, als hätten sich die beiden Poseure gerade an der Fummel-Universität immatrikuliert. Hauptfach Betasten, Nebenfach: Mäulchenmachen.
Überraschenderweise wird es bei "Germany's Next Topmodel" also auch in diesem Jahr kein Schopenhauer-Shooting oder Hegel-Umstyling geben. Wie immer wurde viel hin- und hergegangen, ein bisschen gestolpert, ein wenig gestakst, doch weil auch die Kandidatinnen schließlich neun Aufgüsse lang Zeit hatten, sich den adäquaten Paradepferdschritt vom TV-Übungslaufsteg abzugucken, waren die meisten Vorgeherinnen von langweiliger Professionalität.
Heidi haut sich die Plauze voll
Heidi Klum hieb ihre Zähne wie gehabt plakativ in Feistessen, diesmal in einen elefantesken Döner, um auch Klein-Doofi zu Hause zu vermitteln, dass Models sich in Wahrheit supergerne spätabends noch so richtig die Plauze vollhauen. Salat, haha!
Spektakulärste Neuerung der Jubiläumsauflage: Heidi Klum und Juror Thomas Hayo fahren nun in einem Rockstarbus mit Zwergenbetten umher. Joop verweigerte sich dieser Umkleidekabinenschwüle: "Ich will ja auch nicht im Sarg probeliegen!" Dafür hatte er während des Castings eine echte Innovationsidee für die Sendung: Als ein Mann mit Perücke um Aufnahme in Klums Modelschmiede bat, von ihr aber wegen mangelnder Meeedchenhaftigkeit brüsk abgewiesen wurde, stellte Joop in einem feinsinnigen semiotischen Exkurs fest, das Wort "Model" sei ja erst mal geschlechtsneutral - warum also eigentlich nicht?
Klum und Hayo schienen nicht sehr glücklich mit dieser kleinen Rüttelei an den ehernen Regeln, dabei ist Joops Idee, künftig womöglich auch Männer zuzulassen, bereits praxiserprobt: Bei "America's Next Top Model" treten schon seit zwei Staffeln Jungs gegen Mädchen an; auch die vergangene Staffel der rührend täppischen österreichischen Variante "Austrias next Topmodel" ließ Frauen gegen Männer (hier: "Burschen") antreten.
Klum ist streng: Keine Männer!
Was ganz automatisch eine neue Dynamik in das hinlänglich bekannte und inzwischen nahezu auserzählte Castinggenre bringt. Wenn auch nur die Dynamik eines sehr, sehr langen, verkicherten Jugendherbergsaufenthalts in Bad Schmökelhausen, in dessen Verlauf es im Schaumweinrausch nach dem "Licht aus!" zu der einen oder anderen Liebeskomplikation kommt.
Aber nein, Klum ist streng: Keine Männer. Wobei beim ersten Casting zumindest eine transsexuelle Kandidatin, von der Modeldrillerin vermeintlich unbemerkt, in die nächste Runde stöckeln konnte.
Wie dringend nötig ein etabliertes Format solche kleinen Variationen hat, um nicht vollends von der Dramturgietauglichkeit des gecasteten Personals abhängig zu sein, zeigte sich jüngst ja sehr schön bei "Ich bin ein Star - holt mich hier raus". Dass man bei den neuen Model-Kandidatinnen da eventuell nicht allzu viel erwarten sollte, zeigte sich schon in der Auftaktfolge.
Statt der üblichen Lebensdramen erzählte eine muntere Schwäbin davon, wie sie ihrer Oma mal im Übermut ein totes Fischlein in den Mund gesteckt hatte, welches die Greisin allerdings für ein "Bombo" gehalten habe. "Hast du dir was überlegt?", fragte eine andere Kandidatin eine Konkurrentin vor dem entscheidenden Begutachtungsgang, Ihre Antwort: "Einfach nur laufen."
Anja Rützel, Jahrgang 1973, taucht für den SPIEGEL unter anderem im Trash-TV-Sumpf nach kulturellem Katzengold. In ihrer Magisterarbeit erklärte sie, warum »Buffy the Vampire Slayer« eine sehr ausführliche Verfilmung der aristotelischen Argumentationstheorie ist. Sie glaubt: »Everything bad is good for you« – und dass auch »Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!« tieferen Erkenntnisgewinn liefern kann. Ihr Buch über ihre Liebe zu Take That erschien als Teil der Musikbibliothek bei Kiepenheuer und Witsch.