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"Gilmore Girls"-Fortsetzung: The Girls are back in Town

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"Gilmore Girls"-Fortsetzung Die Serie, die uns das Herz bricht

Nach neun Jahren sind die "Gilmore Girls" auf Netflix zurück. Für die Serienschöpferin war es die Chance, die Show nach ihren Vorstellungen enden zu lassen - aber ist es auch das Traumende für Fans? Hier unsere Kritik
Von Nina Scholz

Die Gilmore Girls kommen also tatsächlich zurück! Als Netflix Anfang des Jahres verkündete, die Serie über das außergewöhnliche Mutter-Tochter-Duo neu aufzulegen, war die Euphorie in den sozialen Netzwerken riesig. 2007 endete die TV-Serie "Gilmore Girls" mit der schwächsten season ihrer Laufzeit - auch weil Serienschöpferin Amy Sherman-Palladino vor der letzten Staffel abgesetzt wurde. Hier hatte eine der wichtigsten Serien der Nullerjahre, so das Fan-Bauchgefühl, nicht das Ende bekommen, das sie verdient hatte.

Nun ist die erhoffte Fortsetzung endlich da, und mit ihr ist auch Amy Sherman-Palladino zurück: Ab dem 25. November sind die von ihr verantworteten neuen Folgen komplett auf Netflix verfügbar, allerdings nicht wie früher in Form einer neuen Staffel mit 22 Folgen, sondern als "A Year in the Life", vier Folgen in Spielfilmlänge, die die Gilmore Girls in jeweils einer Jahreszeit begleiten.

Vieles, was "Gilmore Girls"-Kenner an der Serie liebten, werden sie auch in diesen vier Filmfolgen wiederfinden. Rory (Alexis Bledel) ist immer noch sehr smart, Lorelai (Lauren Graham) redet sich immer noch um Kopf und Kragen. In der Ostküstenkleinstadt Stars Hollow werden immer noch idyllische Feste gefeiert, Luke (Scott Patterson) steht dort in seinem Diner, Kirk (Sean Gunn) benimmt sich merkwürdig, Lane (Keiko Agena) spielt in ihrer alten Band, und Emily Gilmore (Kelly Bishop), Rorys Großmutter, ist immer noch der heimliche Star der Show.

Die Finanzkrise erschütterte sogar Rory

Einiges hat sich natürlich auch verändert. Leider darf man das meiste davon nicht verraten - das hat Netflix zur Bedingung gemacht, bevor es die Folgen für Kritiken freischaltete. Vor allem Details zum Liebes- und Berufsleben der Gilmore Girls sind tabu. Immerhin so viel sei verraten: Für Rory ist es in den letzten neun Jahren nicht so gut gelaufen, wie man vielleicht gedacht hätte. In der allerletzten Folge der regulären Serie hatte sie ihren Bachelor in Yale gemacht und war als "eingebettete Journalistin" mit Obama in den Wahlkampf und hoffnungsvoll in ihre eigene Zukunft gezogen.

2016 hätte man sie in Reichweite ihres großen Vorbilds, der CNN-Reporterin Christiane Amanpour, gewähnt. Doch seit 2007 hat sich die Welt vielleicht mehr verändert als in den sieben Jahren, in denen die Serie im Fernsehen lief. Kurz nach Serienende erschütterte die Finanzkrise die USA, ihre Folgen sind noch heute zu spüren, und das sollte offenbar auch in die Neuauflage einfließen - eben indem gezeigt wird, dass auch eine Privilegierte wie Rory zu kämpfen hat. Aber der Erzählstrang misslingt: Trotz fehlendem beruflichen Erfolg speist Rory in teuren Restaurants, schläft in Luxushotels und fliegt von Kontinent zu Kontinent - ohne dass die Serie diesen Widerspruch thematisiert.

Manchen dürfte das bekannt vorkommen. Auch in der Originalserie waren die Konflikte, die ursprünglich den Reiz der Serie ausgemacht hatten, immer unglaubwürdiger geworden. In der ersten Staffel der "Gilmore Girls" hatte sich Lorelai Geld bei ihren reichen Eltern geliehen, um der hochbegabten Rory die Privatschule zu ermöglichen. Für Lorelai, die sich von ihren Eltern losgesagt hatte, nachdem sie mit 16 Jahren schwanger mit Rory geworden war, gingen damit die Auseinandersetzungen mit ihren Eltern wieder los.

Die Serienwelt hat sich geändert

Für Rory eröffnete sich hingegen eine neue Welt. Sie war bescheiden aufgewachsen und vorher nie mit Reichen in Kontakt gekommen. Durch ihre Großeltern fand sie sich nun plötzlich auf Banketts wieder und musste gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommen, während ihre Freunde bei den Großeltern durchfielen, weil diese nicht genug hermachten. Wie sollte das mit Rorys Idealismus, ihrer Ehrlichkeit, ihrem Desinteresse gegenüber Status und Reichtum zusammengehen?

In den späteren Folgen verwässerte dieser Konflikt immer mehr. Rory ging nach Yale, hatte einen reichen Freund, nahm immer selbstverständlicher am Ivy-League-Leben teil. Natürlich war sie immer noch auf eine sympathische Art ehrgeizig, wissbegierig und klug, aber ohne den Konflikt mit der Welt der Reichen unterschied sie sich doch kaum von den anderen Elite-Studenten. Sie wurde immer eindimensionaler als Figur. Das ist leider auch in den neuen Folgen nicht viel anders - und jetzt stört es sogar noch mehr, denn auch die Serienwelt hat sich seit 2007 radikal geändert.

Szene aus der vierten Staffel von "Orange Is the New Black"

Szene aus der vierten Staffel von "Orange Is the New Black"

Foto: ddp images

Vieles von dem, was die "Gilmore Girls" damals besonders machte, gehört heute zum Repertoire: die popkulturelle Anspielungen, die schnellen Dialoge, das enthusiastische Bekenntnis zu high und low brow. Neue Maßstäbe setzen nun Shows wie "Jessica Jones", "Orange is the New Black" oder "UnReal", die zeigen, wie man komplex über die Lebenswelten von Frauen ohne Aussparung ihrer Probleme und Widersprüchlichkeiten erzählen kann.

Dagegen fallen die "Gilmore Girls" nun deutlich ab. Stars Hollow erscheint weißer, adretter und heterosexueller denn je, und manche Figur ärgert in ihrer Klischiertheit geradezu. Zum Beispiel Concierge Michel (Yanis Truesdale): In den ersten sieben Staffeln wurde niemals ausgesprochen, dass er schwul ist, obwohl er als näselnder Franzose, der am liebsten Modemagazine liest, Celine Dion hört und mit Mutter seiner Arm in Arm shoppen geht, präsentiert wurde. Gerade im Serienbereich hat sich so viel in der Darstellung von Homosexuellen getan, dass man sich an dieser Stelle fragt, warum Showrunnerin Amy Sherman-Palladino und Netflix nicht mutig genug waren, sich von alten Erzählmustern zu lösen.

Herz gebrochen, aber wieder eingefangen

Was "Gilmore Girls" hingegen immer schon besonders gut konnte und wofür Fans die Serie lieben, ist, wie glaubhaft sie von widerstrebenden Gefühlen erzählt. Besonders gut gelingt das bei Großmutter Emily, die in den neuen Folgen versucht, sich mit ihrem Witwendasein zu arrangieren. Schauspieler Edward Herrmann, der Richard Gilmore gespielt hatte, war 2014 verstorben. Seinen Tod haben die Serienmacher in den Tod seiner Serienfigur übersetzt und darin Stoff für eine herzzerreißende Geschichte gefunden.

Selten hat eine Serie so ehrlich von Trauer erzählt, davon was es bedeutet, nach einer so langen Ehe einen geliebten Menschen zu verlieren: Emily ist traurig, wütend, irrational, euphorisch, fordernd und unendlich einsam. Und die um sie herum, allen voran Lorelai, sind besorgt, einfühlsam, genervt und überfordert. Wie keine zweite Serie bricht einem "Gilmore Girls" das Herz und fängt einen dann wieder auf, bei einem Fernsehabend mit Fast-Food-Buffet auf Lorelais Sofa oder bei einem Stadtfest in Stars Hollow. Ehrlichkeit ohne Grausamkeit und Direktheit bei gleichzeitiger maximaler Warmherzigkeit: Das sind auch diesmal die großen Stärken der "Gilmore Girls".

Trotzdem nimmt sich die Fortsetzung der Serie wie eine verpasste Chance aus. Wie toll hätten die neuen Folgen werden können, wenn sich die Macherinnen und Macher getraut hätten, über realistischere Liebes- und Berufsprobleme zu erzählen, über das Hier und Jetzt, und dabei auch mal das Wort schwul in den Mund genommen hätten?

"A Year in the Life" mag das Ende der "Gilmore Girls" sein, das sich Amy Sherman-Palladino gewünscht hat. Für Fans, die mehr von einer Serie als reine Beherztheit erwarten, ist es das leider nicht.

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"Gilmore Girls"-Quiz für Experten
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