Finale von "Germany's Next Topmodel" Wie halte ich das eigentlich aus?

Frauenverachtend war "Germany's Next Topmodel" schon immer. Wir gucken die Sendung, obwohl wir es besser wissen. Wenn uns mit Moral nicht beizukommen ist - womit dann? Fragt sich eine Zuschauerin der ersten Stunde.

Bei jedem Reality-Format ist man zwischen Moral und Lust am Trash hin- und hergeworfen: Bei "Shopping Queen", wo Frauen um die Wette kaufen, fühlt man sich etwa unangenehm berührt, weil die Sendung so hemmungslos Konsum propagiert. Bei "Frauentausch" pocht im Hinterkopf der Gedanke, dass man statt RTL II besser mal das Jugendamt hinschicken müsste.

"Germany's Next Topmodel" (GNTM) eröffnet in mir einen besonders großen inneren Widerspruch - seit zehn Staffeln erklärt Heidi Klum den Mädchenkörper zur Ware und propagiert unverfroren alle schmerzvollen Abgründe, die damit einhergehen, wenn eine junge Frau die Bestimmung über ihren Körper abgibt.

Aus der aktuellen Staffel: Ein anonymer "Kunde" kritisiert, dass ein Mädchen den Kopf auf dem Catwalk nicht gerade hält. Klum untersucht - kundig wie bei einer Pferdebeschau - die Zähne ihrer aufgereihten Kandidatinnen und befiehlt Bleaching. Ein Mädchen wird vor lauter Konkurrenz von den anderen Teilnehmerinnen dafür geschnitten, dass sie ganz offen vor der Jury gesagt hat, das Zeug zur Siegerin zu haben.

Ich sehe das und fühle mich unangenehm berührt - als nachhaltig belehrbar habe ich mich in den zehn Staffeln, die es von "GNTM" schon gibt, aber nie erwiesen. Wenn man aus neun Jahren "GNTM"-Gucken eine Lehre ziehen kann, dann dass Fernsehkonsum kein Prozess ist, dem man rational beikommen kann.

Aktuell diskutieren die Medien über eine wissenschaftliche Befragung von Magersüchtigen, die zu dem Ergebnis kommt, dass "GNTM" Essstörungen begünstigen kann. Vorwürfe, die es schon bei der ersten Staffel 2006 gab. Was änderte sich seitdem? Heidi Klum beißt ab und zu kokett in einen Döner, die Kandidatinnen werden pflichtschuldig beim Pastaessen gefilmt.

Auch das widersprüchliche Nebeneinander von schlechtem Gewissen und Lust im Kopf des Zuschauers findet 2015 genau so wie schon 2006 seine Entsprechung in der öffentlichen Diskussion.

Auf der einen Seite die Giggel-Mädchenlästerei: Aus einem Artikel von 2006: "Wir treffen uns bei mir vorm Fernseher, essen Nudeln mit Tomatensoße und trinken Prosecco." Aus einem Artikel  über die aktuelle Staffel: "Bereits fünf Minuten vorher sitze ich in Pyjama auf der Couch und esse Schokolade".

Auf der anderen Seite die Moral: CDU-Politikern Julia Klöckner 2006 in einem Interview: "Model-Castings im Fernsehen, in denen junge Mädchen mit einem übertriebenen Schlankheitswahn unter Druck gesetzt werden, sind unverantwortlich. Und aus einem Artikel von 2015 : "Heute wird durch die Castingshow 'Germany`s Next Topmodel' eine ganze Generation zugrunde gerichtet."

Keine Innovation möglich, nur Steigerung

Beikommen kann man der Sendung vermutlich erst dann, wenn der Zuschauer die Widersprüchlichkeit nicht mehr aushält. Was durchaus passieren kann. Die Diktatur der unbedingten Fremdbestimmung, die das Grundprinzip der Sendung ausmacht, ermöglicht keine Innovation: Der Aufbau der Sendung ist vom Ekelshooting mit Insekten und/oder Reptilien bis zum obligatorischen Umstyling seit 2006 gleich geblieben.

Stattdessen gibt es nur die Steigerung innerhalb der Routine: Immer fügsamer sind die Teilnehmerinnen, immer gnadenloser die Jury. Wer die ersten Staffeln und die letzten vergleicht, sieht, dass die Mädchen schon beim ersten Casting im Schnitt im vorauseilenden Gehorsam durchaus rehbeiniger und dünner wirken als noch in den ersten Jahren.

Zudem haben ausgefallenere Charaktere, die nicht dem Überreizten und der Konkurrenzeskalation dienen, keinen Platz mehr - erinnern Sie sich an Gina-Lisa Lohfink, bei der mal der Po bei einer Modenschau hervorblitzte und das dann noch in Endlosschleife gezeigt wurde? Damals fand ich das extrem voyeuristisch. Im Rückblick ist es schade, dass solche lustvolleren Charaktere wie Lohfink ("Viele da draußen werden mich hassen - aber darauf scheiße ich!") in der Sendung heute kaum mehr vorkommen, weil der Korridor des Wohlgefallens so eng geworden ist.

Zwar gibt es auch in der aktuellen Staffel noch die undankbare Rolle der "Oberzicke", bis kurz vor dem Finale war es Darya (diese über eine Konkurrentin: "Die hat zu hässliche Beine!"). Aber eigentlich wurde immer irgendwer gedisst, vor der Jury in einer Videobotschaft von mehreren fertiggemacht, beim Shooting geschnitten.

Vielleicht wird mein innerer Widerspruch doch zu groß und verbittert so endgültig die Lust am Trash von "GNTM". Klum, die mit jedem Jahr mehr an eine Mutter erinnert, die die Schläge, die sie selbst mal bekam, an ihre Kinder weiterreicht, moderierte neulich mal wieder einen Modeltraum ab, weil die Kandidatin nicht genug "Persönlichkeit" hatte. Ich hielt es nicht mehr aus vorm Fernseher. Ich musste den Raum verlassen.


"Germany's Next Topmodel", ProSieben, Donnerstag, 20.15 Uhr

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