Fotostrecke

Götz George als Horst Schimanski: Schönes dreckiges Duisburg

Foto: ARD

Götz George über Schimanski "In den Puffs von Duisburg wurden wir gefeiert"

Die Sender geizen, der Pott verliert seine Seele, die Solidarität bröckelt: Götz Georges Deutschland-Diagnose ist schonungslos.

Anmerkung der Redaktion: Aus Anlass des Todes Götz Georges' haben wir dieses Interview aus dem Jahr 2013 noch einmal veröffentlicht. Alle Aussagen beziehen sich auf das Jahr 2013.

SPIEGEL ONLINE: Herr George, am Sonntag läuft ein neuer Schimanski-Fall. Sie verprügeln darin Zuhälter und schaufeln wonnig Pommes in sich hinein. Fühlt sich so ein Dreh in Duisburg an, als kämen Sie nach Hause?

George: Nein. Immer wenn ich da wieder auftauche, fragt mich der Bürgermeister: Na, ist unsere Stadt nicht schön geworden? Aber Duisburg ist inzwischen von keiner anderen deutschen Stadt mehr zu unterscheiden, es sieht aus wie in Köln oder Düsseldorf. Dieses alte Duisburg, in dem Schimanski Anfang der Achtziger zum Leben erweckt worden ist, gibt es nicht mehr. Aber da gehört Schimanski hin. Der sieht ja selber aus wie ein halb abgerissenes Haus.

SPIEGEL ONLINE: Also haben Sie auf dem Set einfach das alte versiffte Duisburg nachgebaut - als eine Art mythisch überhöhten Ort.

George: Im gewissen Sinne. Neben dem aufgehübschten Duisburg gibt es in der Stadt inzwischen Orte, die sind so heruntergekommen, da willst du wirklich nicht mit dem Filmteam anrücken. Traurig verwahrloste Gegenden, wo kein Mensch zu sehen ist und alle Häuser vernagelt sind. Es wäre blanker Voyeurismus, sich daran zu weiden. Das war früher anders, da waren immer Menschen auf der Straße, da war immer was los. In der Gemeinschaft ließ sich so manche Zwangslage überstehen. Heute herrscht totale Vereinzelung.

SPIEGEL ONLINE: Aber der WDR und Sie, Sie halten zusammen, wenn es um Schimanski geht. Immer noch die große Liebe?

George: Nicht mehr ganz. Jeder "Schimanski" wird schwieriger umzusetzen. Früher waren wir die Heroes. Da marschierten wir mit breiter Brust in so ein Projekt rein, der Sender stellte die Mittel bereit, wir lieferten. Heute gibt zwar irgendjemand den "Schimanski" in Auftrag, aber dann zieht sich das Procedere. Es muss nachverhandelt werden, am Ende musst du den Film in knappen 23 Drehtagen stemmen. Früher war Geld für 26 Drehtage da. Es ist quälend geworden. Zwischenzeitlich sah es so aus, als ob wir einpacken könnten, erst im letzten Moment setzte sich die inzwischen ausgeschiedene Intendantin Monika Piel persönlich ein. Das war die alte Klasse.

SPIEGEL ONLINE: Schwer vorstellbar, dass der WDR nicht sofort alle Hebel in Bewegung gesetzt hat. Schimanski war immer Quotenbringer.

George: Ach, wissen Sie, die Jungen kennen den gar nicht mehr. Wir sind Oldies, allerdings noch gut dabei. Als wir eine Szene auf einem Schulhof drehten, wussten die Kids gar nicht, was da los ist. Schimanski? In den Achtzigern war das anders. Wo wir anrückten, wurden wir gefeiert. Sogar in den Puffs von Duisburg. Wenn man da wegen Drehs anfragte, winkten die Luden normalerweise ab. Aber wenn sie hörten, Schimanski kommt - große Begeisterung! 'Klaro Jungs, aber um 18 Uhr seid ihr raus, da beginnt das Geschäft!'"

SPIEGEL ONLINE: Auch die neue Folge spielt im Rotlichtmilieu. Es geht um sogenannte Loverboys, die Mädchen manipulieren, um sie auf den Strich zu schicken. Schwieriges Thema...

George: Diese Loverboys sind keine Zuhälter, sondern Warmmacher. Sie nutzen das pubertäre Aufbegehren der Mädchen gegen deren Elternhaus aus. Bloß abgrenzen - und auf einmal gehen die Mädchen für einen richtigen Zuhälter anschaffen und kommen da nicht mehr raus. Ein Phänomen, das weit verbreitet ist. Diese Geschichte mussten wir erzählen, weil sie so unvorstellbar menschenverachtend ist.

SPIEGEL ONLINE: Sie arbeiteten mit extrem jungen Schauspielern zusammen. Wie ist ihr Verhältnis zur Enkelgeneration?

George: Die jungen Schauspieler sind heute viel abgeklärter als wir. Man muss nur mal Muriel Wimmer und Vladimir Burlakov in dem neuen "Schimanski" anschauen. Sie treiben es miteinander, eine extrem harte Szene. Die beiden spielen sie mit unglaublicher Selbstverständlichkeit. Diese Härte sich selbst gegenüber gab es früher nicht. Aber heute musst du so sein, da lassen sie dir keine Zeit zum Üben. Wer einen Fehler macht, fliegt raus. Keiner bekommt eine zweite Chance.

SPIEGEL ONLINE: Wären Sie im heutigen Fernsehbetrieb ein Star geworden?

George: Nein, niemals. Allein meine Auseinandersetzungen mit dem in den siebziger Jahren so mächtigen Neuen Deutschen Film: Mir war dieses vor der Kamera aufgeführte Anti-Theater von Fassbinder und seinen Leuten zu albern. Da war ich out, konnte dann aber wieder großartige Filme drehen.

SPIEGEL ONLINE: Was denken Sie über die vielen aktuellen Fernsehkommissare, die bei Schimanski klauen?

George: Ach, geklaut haben wir auch immer. Schimanski-Miterfinder Hajo Gies, ein echter Cineast, hat mich ganze Szenen aus seinen Lieblingsfilmen nachspielen lassen.

SPIEGEL ONLINE: Und was halten Sie von Til Schweiger, der seinen Haudrauf-Kommissar Tschiller am stärksten an Ihrem Schimanski ausgerichtet hat?

George: Nicht gesehen. War ich gerade auf Sardinien, wo ich die meiste Zeit verbringe, wenn ich nicht gerade drehe.

SPIEGEL ONLINE: Schweiger geht als "Tatort"-Kommissar wie Ihr Schimanski immer mit dem Kopf durch die Wand.

George: Aber wenn Schimanski mit seinem Auto in eine Schaufensterscheibe raste, dann raste er auch immer ins System. Früher hat der WDR solche Szenen durchgewunken, heute sagt er: "Wisst ihr, was so 'ne Scheibe kostet? 10.000 Euro!"

SPIEGEL ONLINE: Schimanskis Randale ist also explizit politisch?

George: Na, was denken Sie denn? Alles ist politisch! Wenn du in Duisburg drehst, musst du politisch sein. Zumindest musstest du es früher sein, wenn die Bosse von ThyssenKrupp mit ihren dicken Wagen vorgefahren sind. Heute wird Reichtum ja nicht mehr so gezeigt, die Arroganz der Macht tritt nicht mehr so aggressiv zutage.

SPIEGEL ONLINE: Der Gegner ist nicht mehr sichtbar?

George: Nein. Wie haben wir damals mitgebrüllt gegen die Mächtigen von ThyssenKrupp, wir sind mit den Stahlarbeitern auf die Straße gegangen. Wir haben ja sogar für die Streikkasse gesammelt, haben die Streiks immer wieder im "Tatort" thematisiert. Aber selbst mir als alten SPD-Mann war immer schon klar: Die Massenentlassungen waren abgemachte Sache, die Politik hat längst entschieden. ThyssenKrupp, Opel, Nokia, keine der Abwärtsentwicklungen im Pott war aufzuhalten.

SPIEGEL ONLINE: Waren es diese Erfahrungen der Ohnmacht, die Sie 2006 dazu brachten, in Andreas Kleinerts "Als der Fremde kam" mitzuspielen, einem Abgesang aufs Proletariat? Sie verkörpern einen Gewerkschaftsführer, der zu Pornos onaniert, die Frau eines Streikführers verführt und seine Arbeiterkollegen auch sonst in jeder Hinsicht hintergeht.

George: Herrje, was für ein depressiver, was für ein wahrer Film. Alle verlieren alles. Frau, Arbeit, Liebe. All dieses Verhandeln, es führt doch zu nichts. Dieses Gesülze, dieses Geeiere, dieses ziellose Diskutieren. Ein Streik in Deutschland, das ist die bittere Wahrheit, hat noch nie wirklich etwas verändert. Das Elend wurde nicht verhindert, es wurde nur aufgeschoben. Man drückt sich gerne vor echten Lösungen, heute übrigens mehr denn je.

SPIEGEL ONLINE: Was meinen Sie?

George: Na, nehmen Sie Karstadt: Da kauft jemand für einen Euro Karstadt und inszeniert sich als Heilsbringer. Später verkauft er das Unternehmen dann zu Teilen für 300 Millionen Euro, was faktisch eine Zerschlagung des Unternehmens bedeutet. Die kleinen Angestellten, denen eine reelle Zukunft versprochen wurde und die dafür Opfer gebracht haben, gucken in die Röhre.

SPIEGEL ONLINE: Könnte Schimanski als Rächer der kleinen Karstadt-Leute auftreten? Nach dem Motto: Schimanski gegen Berggruen?

George: Ach ne. Aber Schimanski würde sich den ganzen Deal mal erklären lassen. Ich habe die Figur ja bewusst so angelegt, dass er nicht gerade ein Geistesblitz ist. Bullen brauchen Instinkt, keinen Hochschulabschluss. Aber Schimanski würde sich jemanden suchen, der klüger ist als er, und der würde ihm dann den ganzen Schlamassel so aufschlüsseln, dass man es kapiert.

SPIEGEL ONLINE: Keine Angst also vor modernen, komplexen Stoffen? Aber mit der NSA-Affäre und Datenspionage wäre der alte Herr Schimanski doch nun wirklich überfordert, oder?

George: Quatsch. Der Schimanski wäre ja der einzige, der ins Zentrum des Verbrechens vordringen würde. Der würde einfach mit dem Fallschirm in die Botschaft der Amis springen und so tun, als ob die Landung auf dem Dach ein Versehen wäre. Sorry, Jungs, aber jetzt seid ihr dran.


Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten