Gottschalk talkt bei Tele 5 Lebensweisheiten im Strickjäckchen

Thomas Gottschalk mit Talkkollegin Anna Bosch: Wenig Möglichkeit, sich zu profilieren
Foto: TELE 5Manchmal gibt es auch im Privatfernsehen noch was zu lernen. Der Bildungssender Tele 5 zum Beispiel hat seinen Zuschauern am Sonntagabend nahegelegt, nicht mehr so viel zu schimpfen. Und weil diese Aufforderung von Thomas Gottschalk höchstpersönlich kam, kann es sein, dass wir heute Morgen alle in einem besseren Land aufgewacht sind. Für seinen Rat hat der Entertainer sich ein Beispiel an sich selbst genommen: "Ich neige einfach nicht zum Meckern", hat er gesagt. "Wenn ich meckere, können sich andere erschießen."
Weil Gottschalk sich an diesem Abend aber selbst nicht ganz daran hielt, kann man nur hoffen, dass sein Publikum das nicht wörtlich genommen hat. Und mit gutem Beispiel vorangehen.
Also gut, probieren wir's mal aus, dieses Nichtmeckern: "Die Nacht mit Anna Bosch" heißt Gottschalks neueste Sendung, eine Art Late-Night-Talk ohne Hollywood-Stars, die ihren neuen Film bewerben wollen, und Baggerfahrer, die irgendwas auf rohen Eiern balancieren. Und sie ist wunderbar!
Jedenfalls, wenn man mal von dem irritierenden Titel absieht und der Frau, die da fast zwei Stunden neben Gottschalk im Tele-5-Studio sitzt, um Anrufer durchzustellen. Besser, man vergisst auch, dass sich die Redaktion zur Premiere das Gesprächsthema "Deutschland ist ein tolles Land - oder?!" ausgedacht hat. Und gleich zu Anfang den schlechtesten Einspielfilm zeigte, der jemals im deutschen Fernsehen lief, der nur aus Standbildern zusammengezimmert war und mit dem Argument punkten wollte, dass wir "im Vergleich zu anderen Nationen" doch "fast schon paradiesische" Zustände hätten, während Überschwemmungsbilder aus fernen Ländern eingeblendet wurden.
Gut, und dann ist da die Flutlichtanlage in dem viel zu großen Studio mit der unnützen Sitzecke, den hintergrundbeleuchteten Glasbausteinen und den Reisigbündeln, die jemand in den Hintergrund gestellt hat, als gäbe es gleich noch was wegzukehren, während auf dem sterilen Bürotisch vorne zwei monströse Laptops aus den Anfängen der Mobilcomputer-Ära stehen, hinter denen die Köpfe von Moderatorin und Gast gerade noch so hervorragen.
Gottschalk darf endlich mal ausreden
Was soll's: Es geht einfach nicht ohne Meckern! So sind "wir" eben. Der, dem es am meisten auf den Wecker zu fallen scheint, macht es ja auch ständig: Seinen Gästen aus dem Ausland erklärt Gottschalk bei "Wetten, dass..?" stets, wie die Verhältnisse im Lande sind, in dem er sich vor allem aus beruflichen Gründen aufhält. Insofern hat er am Sonntag ganz gut mitreden können, als es darum ging, wie toll wir wirklich sind. "In Deutschland ist es leider üblich...", hat er gesagt, und: "Wir neigen ja dazu, dass..." Weil er schon seit vielen Jahren in den USA wohnt, hat er erklärt: "Ich bin es gewohnt, dass in Amerika..." Und: "In Amerika...!" Wobei: "Meine Frau sagt..."
Um es mal diplomatisch zu formulieren: Seiner Kollegin Anna Bosch, der eigentlichen Moderatorin der neuen Tele-5-Nachtsprechstunde, hat Gottschalk wenig Möglichkeit gelassen, sich zu profilieren.
Aber erstens gefiel das den meisten Anrufern wohl ganz gut so, Gottschalk ja auch, weil er endlich mal ausreden durfte, ohne zwischendurch einen verrückten Hobbyturner oder einen superintelligenten Zehnjährigen ansagen zu müssen, und zweitens sind seine Besuche bei "Die Nacht mit..." auch nicht die Regel, sondern ein Gefallen für seinen Kumpel, den Filmhändler Herbert Kloiber, der sich mit Tele 5 seinen eigenen Archivauswertungskanal geschaffen hat. Und sich offensichtlich gerade um Aufträge aus der Touristikbranche bewirbt, anders ist die Themenfindung für die Erstsendung nicht zu deuten.
Bernd vom Chiemsee hat angerufen, um zu sagen, dass Deutschland nicht nur "ein tolles", sondern auch "ein wunderschönes" Land sei. Ellen aus Darmstadt hat sich über die Bürokratie geärgert. Und Ulrike hat erzählt, dass es in Griechenland zum Beispiel nicht so gut ist wie bei uns. "Dieser Dialog mit dem Zuschauer ist etwas, das im Fernsehen viel zu wenig gemacht wird", konstatierte Gottschalk zwischendurch sichtlich beeindruckt vom eigenen Engagement.
Dass das auch daran liegen könnte, dass in solchen Talks manchmal einfach nur Plattitüden ausgetauscht werden, darauf hätte er aber auch kommen können.
In Couchklamotten Facebook-Kommentare sortieren
Es war eine erstaunlich ausgewogene Mischung von Anrufern, die am Sonntag durchkamen: Verrückte, Vernünftige und Leute, die einfach nur froh waren, dass sich jemand ihre Geschichte anhören wollte. Für eine richtige Diskussion hat es nicht gereicht, vielleicht war das auch gar nicht erwünscht, und immerhin blieben die ganz krassen Fälle, die sonst bei "Domian" im WDR verhandelt werden, außen vor.
Spannender als das Thema war es allerdings, Gottschalk in der ungewohnten Situation zu beobachten, wie er ein bisschen zu ernst mit schrabbeligem Strickjäckchen und Couchklamotten hinterm Laptop saß, Facebook-Kommentare sortierte und ein Best of eigener Lebensweisheiten vortrug.
"Es gibt genug Journalisten, die jetzt darauf warten, dass ich den einen Satz sage, mit dem ich mich um Kopf und Kragen rede", hat er zu Beginn das Wagnis erklärt, das er mit der Sendung einzugehen glaubte. Aber, ach: Der Mann ist vor ein paar Wochen 60 geworden. Kann ihm jetzt endlich mal jemand sagen, dass er aufhören muss, sich über Journalisten zu ärgern?
Das größte Rätsel ist allerdings, wieso ein Spielfilm- und Serienkanal wie Tele 5 sich überhaupt eine Sendung wie "Die Nacht mit..." zulegt. Es ist ja nicht so, dass das stören würde. Dass es an dem Format aber noch einiges zu arbeiten gibt, wird das Team vermutlich selbst wissen. Zumindest der Teil, der sich nicht das Thema der nächsten Sendung am Donnerstag ausgedacht hat: "Massenveranstaltungen - darf man da noch hingehen?" Gut passen würde auch: "Atmen - ist das überhaupt noch zeitgemäß?" und "Fernsehen - muss man da noch einschalten?"
Da kann dann ja auch Thomas Gottschalk wieder mitreden.