Jauch-Talk zum Germanwings-Absturz "Im Cockpit kann man sich keine Unehrlichkeit leisten"

Moderator Günther Jauch: Er stellte bisweilen befremdliche Fragen
Foto: Paul Zinken/ dpaNoch keine Woche ist vergangen, seit es geschah. Immer noch herrscht Fassungslosigkeit darüber, dass nach derzeitigem Ermittlungsstand kein Unglücksfall 150 Menschen in den Tod riss, sondern eine absichtsvolle Tat. Und doch schien am Abend des Tags fünf danach, als Günther Jauch zu seiner Talkshow bat, zumindest vorübergehend ein Stadium erreicht zu sein, in dem es schwer wurde, zum Flug 4U9525 und seinem tragischen Ende noch etwas zu sagen, das nicht schon gesagt wurde.
An der Besetzung lag es sicherlich nicht, dass diese Sendung viel von einer Pflichtübung hatte - eher schon daran, dass die gesamte TV-Berichterstattung, abgesehen von Maischberger, Will und Illner, ohnehin bisher aus Befragungen und Statements, aus einer Art informeller Talkshow also, bestand.
Als ranghoher Lufthansa-Vertreter saß dort der Pilot und Vorstand Kay Kratky. Er gab sich meist angemessen zurückhaltend. Sabine Rau, Leitende Notfallpsychologin der Stadt Düsseldorf, fiel diesmal der Part zu, über die Betreuung der Hinterbliebenen zu berichten, was sie sehr engagiert und teilnahmsvoll tat.
Befremdliche Fragen von Jauch
Für die seelsorgerischen und allgemein menschlichen Aspekte war Wolfgang Huber zuständig, der frühere EKD-Ratsvorsitzende, und für die juristischen Gerhart Baum, der liberale Ex-Innenminister, der als Anwalt die Angehörigen von Katastrophenopfern vertritt. Und um vielleicht doch noch etwas Neues zum heiklen Thema der seelischen Verfassung von Piloten allgemein und im speziellen Fall zu erfahren, hatte Jauch den Flugpsychologen Reiner Kemmler eingeladen.
All die Fragen um entsprechende Tests, um die Erkennbarkeit derartiger Persönlichkeitsprobleme, wie sie beim Co-Piloten der Germanwings-Maschine offenbar vorlagen, sind ja in den Fokus geraten, seit anhand der Stimmenrekorderauswertung die These vom gewollten Absturz entwickelt wurde. Und wenn es auch auf Baums Frage, was für ein Mensch der Co-Pilot gewesen sei, keine konkrete Antwort gab - wie auch? -, so hatte die Diskussion doch zumindest für sich, dass sie fast durchweg das Bemühen um Differenzierung erkennen ließ.
Das war allerdings nicht unbedingt das Verdienst des Moderators, dessen Fragen bisweilen etwas befremdlich wirkten - etwa als er wissen wollte, weshalb es so schwer sei, den Datenschreiber zu finden und sich erst von der mittlerweile hinlänglich bekannten Tatsache in Kenntnis setzen lassen musste, dass der Airbus mit knapp 800 km/h gegen eine Felswand prallte. Und auch sein Versuch des Spekulierens darüber, wann denn wohl die Passagiere gemerkt hätten, dass sie in den Tod stürzten, mutete ziemlich deplatziert an.
Hingegen lohnte das Zuhören, als Kratky und vor allem Kemmler aus der Praxis, über den Pilotenberuf und -alltag und die Bedeutung der wechselseitigen Kontrolle jenseits aller fachlichen Begutachtung berichteten. Kemmler brachte es auf den Punkt, das Cockpit sei "ein Arbeitsplatz, wo man sich keine Unehrlichkeit leisten kann" - einerseits.
Anderseits gebe es Grenzen der Psychologie und der Medizin, und ein Einzelfall wie der vorliegende sei einfach nicht vorhersehbar. Aber je weiter man in die Materie vordrang, desto komplizierter wurde es bei wachsendem Risiko der Missverständlichkeit.
Als Kemmler über die unterschiedlichen Formen von Depressionen referierte und davon sprach, dass der erweiterte Suizid allein aufgrund einer Depression extrem selten sei und hier noch andere Faktoren hinzukommen müssten wie etwa Beziehungsprobleme oder narzisstische Kränkungen, änderte sich zeitweilig der Ton der ansonsten gebührend ruhig geführten Debatte.
Huber spricht von Selbstmordattentat
Schon beizeiten hatte der Theologe Huber gemahnt, man solle bitte nicht in neue Stereotype verfallen und klargestellt, es sei keineswegs typisch für depressive Menschen, mörderische Taten zu begehen. Jetzt aber sah er sich zu einer mit Verve vorgetragenen semantischen Korrektur veranlasst. Der Begriff des erweiterten Suizids, mit dem üblicherweise Verzweiflungstaten etwa von Familienvätern beschrieben würden, sei hier nach Lage der Dinge ganz und gar unzulässig.
Jauch ließ die Bemerkung "Massenmord" fallen, während Huber fand, man könne durchaus von einem "Selbstmordattentat" sprechen. Opferpsychologin Rau mochte da nicht ganz folgen und empfahl, es allein den betroffenen Angehörigen zu überlassen, wie das Geschehene zu benennen sei.
Zum Ende hin kam dann die Rede auch noch auf die eher profanen Seiten der Tragödie in Form von fälliger finanzieller Entschädigung. "Der Tod wird unterschiedlich bewertet", musste Jurist Baum konstatieren, der zugleich das Fehlen einer Schmerzensgeldregelung hierzulande beklagte. Was Geld überhaupt auszurichten vermag zur Linderung seelischen Schmerzes, dürfte sich bei all dem schwer ermessen lassen.
Betreuerin Rau wies darauf hin, wie langwierig und aufwendig es sei, Traumatisierungen zu verarbeiten, auch für die Helfer selbst. Und dann sagte sie etwas, das länger nachklang als manches andere, weil es einiges erahnen ließ von dem, was Menschen dieser Tage für Menschen tun: Es sei auch eine Bereicherung, Trauernden zu begegnen und mit ihnen umzugehen.