"Hart aber fair" übers Schulsystem Des Googles Kern

Schüler zu Effi-Briest-Lektüre zwingen oder sie fit machen für die Börse - was soll Schule leisten? Die Talkrunde bei Frank Plasberg brachte zu diesem Streitthema erstaunlich viele Erkenntnisse. Und am Ende gab's Zensuren.
"hart aber fair"-Runde zum Thema "Problemfall Schule"

"hart aber fair"-Runde zum Thema "Problemfall Schule"

Foto: WDR

Vielleicht ist es unglücklich, nur der Alliteration halber Goethe gegen Google auszuspielen. Vielleicht sollte man aber auch beides zusammendenken.

Florian Langenscheidt beispielsweise behauptet, er könne sich seinen Goethe mithilfe der Volltextsuche von Google viel besser erschließen. Was dem Tausendsassa und Mietredner dabei hilft, "des Pudels Kern" schneller zu finden, hat viel mit schnellem Wissen zu tun - mit Bildung nun aber halt gar nichts. Der Unterschied zwischen beidem blieb seltsam unterbelichtet an einem Abend, der ansonsten viel Licht ins Dunkel des deutschen Schulsystems brachte.

Nun ist die Schule hierzulande nicht erst seit "Pisa" eine gewaltige Wanderbaustelle, auf der rund 750.000 Lehrende und zwölf Millionen Schülerinnen und Schüler damit beschäftigt sind, alles richtig zu machen. Eingangs zitiert Frank Plasberg den berüchtigten Tweet einer Schülerin, die im Januar bekannte: "Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete und Versicherungen. Aber ich kann 'ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen".

Gezeigt werden auch Schüler, die auf Fragen nach Dispo, Kaltmiete oder Steuererklärung eher ratlos herumruderten. "Die haben doch alle Eltern!", echauffiert sich Josef Kraus. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes und Direktor eines bayerischen Gymnasiums beharrte darauf, Schule müsse intellektuelle Kompetenzen vermitteln - und eben nicht die Fallstricke eines Mietvertrags erklären: "Wie ich eine Versicherung abschließe, erfahre ich auch anderswo", beispielsweise zu Hause.

Frontalunterricht im Netz

Mirko Drotschmann ist das, was man einen "YouTube-Star" nennt. Seine "Wissen 2go"-Filmchen werden wie wild geklickt, darin erklärt der junge Mann in 15 Minuten den Ersten Weltkrieg oder den Konflikt im Nahen Osten. Im Grunde sei das doch Frontalunterricht, wundert sich Plasberg. Und Drotschmann räumt ein, dass er nur ergänzend, quasi als Kumpel oder großer Bruder sein Wissen häppchenweise vermittele. Trotzdem plädiert er dafür, wegzulassen, was "eh wenig hängen bleibt". Bei ihm sei das die Mathematik gewesen, überhaupt wünschte er sich mehr Praxisnähe.

Dem stimmte Florian Langenscheidt leidenschaftlich zu, er würde sogleich "ein Drittel" des "kaputt machenden Stoffes" wegkürzen, um "mit Schule zukunftsfähig zu sein". Der natürliche Spaß am Lernen würde den Kindern systematisch ausgetrieben. Anstelle des "Nürnberger Trichters" sollten so wunderbare Werkzeuge wie "Facebook, Google, WhatsApp" treten. Soziale Netzwerke, Suchmaschinen, Kurznachrichtendienste, kurzum: die Segnungen des Internets sollen's richten. Damit könne man wieder freudvoll lernen, und zwar "zu Hause, wann ich das will und wo ich das will", das sei nämlich "effizienter".

Barbara Eligmann fände die Beherrschung von Dreisatz und Prozentrechnung effizient, vor allem im Schlussverkauf. Die Fernsehmoderatorin tritt vor allem als Mutter auf, die ihre Kinder nicht mit Unnützem und Hochspezialisiertem quälen, sondern fit fürs Leben machen will. Was ohnehin nicht die Aufgabe der Schule sein kann, wie Josef Kraus kontert. Aktuelle und hoch komplizierte Abiturfragen illustrieren das Problem und schüchtern gehörig ein. Der Hamburger Bildungssensator Ties Rabe (SPD) umschifft die Klippe: "Ich bin froh, dass die sich auf diesem Niveau bewegen und nicht sagen: Ich pflücke ein paar Blumen!" Ihm sekundiert Kraus mit dem trockenen Hinweis: "Das Ziel des Gymnasiums ist die allgemeine Hochschulreife."

Neoliberales Gequake

Kaum ist das geklärt, fällt die Debatte wieder hinter diese Erkenntnis zurück. Ein Zuschauer klagt, er habe sich mit "Effie Briest" herumschlagen müssen, statt Tipps über das erfolgreiche Spekulieren an der Börse zu bekommen.

Gegen solch neoliberales Gequake verteidigt Rabe seinen Theodor Fontane dann doch noch aus dem Stand mit einer Leidenschaft und Vernunft, die nebenbei auch etwas über wahre Bildung verrät. Als Kraus hinzufügt, Gesellschaftsliteratur schule idealerweise das "Transfervermögen", kann Plasberg sich einen lümmelhaften Einwurf nicht verkneifen: "Hat das was mit der Schweiz zu tun?"

Überhaupt verläuft die Diskussion in zwar kontroverser, aber doch gelöster Atmosphäre. Ein wenig wirkt es wie guter Unterricht unter einem freundlichen Lehrer, der seine Schützlinge beobachtet und ermuntert: "Herr Rabe wiegt mit dem Kopf", stellt Frank Plasberg dann fest, oder: "Herr Langenscheidt hat eine Erleuchtung!" Probleme wie die Länderhoheit in Kulturfragen, den Burn-out bei Schülern und Lehrern, G8 oder G9 finden ausgewogen ihr Für und Wider und werden vom Publikum mit gießkannenhaftem Zwischenapplaus bedacht.

Regelrecht einig ist sich die Runde, als es um den allerneuesten pädagogischen Schrei geht, das "Schraibm nach Gehöa". Grundschüler sollen auf diese Weise niedrigschwellig zum Vielschreiben motiviert werden. Nur Hamburg hat diese Methode verboten. Ties Rabe begründet den Schritt damit, dass doch unmöglich zuerst das Falsche und erst danach das Richtige gelehrt werden könne - zumal zu Hause nicht alle Eltern das Richtige erkennen können.

Barbara Eligmann erzählt trotzdem stolz, wie streng sie ihren Kindern zu einer korrekten Rechtschreibung verhilft. Und Josef Kraus kann angesichts dieser "Sprachbarbarei" nur noch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Erst komme die "Privatschrift", sagt er, im nächsten Schritt werde die Handschrift abgeschafft. Schon heute würden oft nur Lückentexte ausgefüllt, der Grundwortschatz sei bereits stark reduziert. Wenig hält er auch von Bewertungsschreiben als Ersatz für Noten, zumal Lehrer ohnehin zu wenig Zeit für alle Schüler hätten. "Es muss sowieso viel mehr Geld für Bildung ausgegeben werden!", fordert Eligmann. Darauf Plasberg halblaut: "Das höre ich hier zu jedem Thema jede Woche".

Am Ende dürfen sich die Kontrahenten gegenseitig benoten. Sie tun es milde, keine Versetzung ist gefährdet.

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