"Hart aber fair" zu Corona in der Fleischfabrik
"Der Herr Pastor kommt mit einem Sklavenvergleich"
Bei Frank Plasberg ging es um den jüngsten Corona-Ausbruch im Fleischkonzern Tönnies. Man stritt routiniert vor sich hin, welche Regierung nun was genau verbaselt hat. Bis ein Pfarrer die Diskussion aufräumte.
Beginnen wir am Ende. Beginnen wir beim Fazit von Karl Lauterbach, SPD: Es gebe wenig, sagte er, was in der Gesamtbilanz "so unsinnig ist, wenn man's von außen betrachtet, wie die Billigfleischproduktion, die wir uns seit Jahren leisten". Tiere würden gequält, Böden verseucht, die Arbeitsbedingungen seien "sehr unwürdig", das Fleisch sei ungesund, "wir" - im Sinn von: Deutsche im Durchschnitt - äßen aber viel zu viel davon. "Es hat wirklich niemand etwas davon. Das ganze System ist einfach ein System, das nur den Besitzern der Unternehmen hilft."
Und damit zum Fleischkonzern Tönnies. Um den ging es bei "hart aber fair", wenn auch in Abwesenheit eines Konzernrepräsentanten.
Eigentlich hatte die Redaktion eine Donald-Trump-Ausgabe geplant. So etwas hatte sie seit Ewigkeiten nicht. Seit Mitte März ging es in Frank Plasbergs Talk ohne Ausnahme um die Pandemie und ihre Begleiterscheinungen. Aber 1553 Infizierte allein beim besagten Tönnies, "der größte Corona-Ausbruch aktuell in Europa", wie Plasberg sagte - das wollte man nicht übergehen. Kurzfristiger Themenwechsel also: "Massenerkrankung in der Fleischfabrik - Gefahr fürs ganze Land?"
Also, Gefahr fürs Land? Die epidemiologische Einschätzung der Lage oblag dem Epidemiologen Lauterbach. Und er bejahte. Eine derart hohe Zahl von Fällen erreiche man nicht in ein paar Tagen, sagte er. "Es wäre eine Überraschung", wenn das Virus sich nicht schon weiter verbreitet hätte, "dafür ist es schon zu lange unterwegs". Und jetzt noch die Urlaubssaison! Die sei "seine größte Sorge", sagte er.
Karl-Josef Laumann, Nordrhein-Westfalens Gesundheits- und Arbeitsminister von der CDU, mühte sich freilich, den Eindruck zu vermitteln, die Lage sei dynamisch, aber unter Kontrolle. Was man nicht bereits alles für Maßnahmen ergriffen habe: "So eine große Quarantäne hat's noch nie gegeben." Schulen und Kitas geschlossen. Mehr als hundert Teams im Kreis Gütersloh, die die Infizierten in ihren Wohnungen aufsuchen.
Man müsse nun "sehen, dass wir in eine Querschnittstestung kommen".
Botschaft: Das wird schon.
Frank Plasberg wäre allerdings nicht der Moderator des streitlustigsten Talks, wenn er sich vorbereitete Monologe anhören würde. "Lassen Sie's uns dialogisch halten", sagte er. Und so hielt man es. Zum Beispiel sagte Lauterbach, die NRW-Regierung Armin Laschets habe in der Corona-Bekämpfung "keine Linie". Woraufhin Regierungsmitglied Laumann erwiderte: "Es gibt eine Linie." Eindeutig ein Dialog.
Man stritt aber schon recht routiniert vor sich hin. Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen, und Laumann kabbelten sich etwa, wer nun für diese Werkverträge verantwortlich sei, mit denen die Industrie arbeite - die jetzige Koalition oder die alte rot-grüne.
Wen juckt's genau jetzt? Journalist Michael Bröcker, auch als eine Art Schiedsrichter engagiert, sprach salomonisch: "Alle haben irgendwie recht", konzentrierten sich jetzt aber nur auf das, was ihnen gerade wichtig sei. So war's.
Bis dann Pfarrer Peter Kossen an der Reihe war, zugeschaltet ins Studio.
Der Pfarrer richtet es
Der Mann beschäftigt sich mit den Bedingungen von Arbeitsmigranten, auch im Fleischsektor; er beklagt sie in der Kirche wie in Interviews. Und er wählte eine deutliche Gangart. Er sprach von einer "Mafia", von "Sklaven" und von "Sklaventreibern", von Opfern und Tätern, von "kriminellen Subunternehmern". Von Profiteuren auf dem Wohnungsmarkt, die selbst "mit erbärmlichen Wohnungen sehr viel Geld verdienen" könnten, wenn sie nur genügend Arbeitsmigranten hineinstecken würden.
Da war über das teilweise nickelige Geplänkel hinaus Feuer im Gebälk.
Christian von Boetticher, der stellvertretende Vorsitzende der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, entkam der Frage, ob die Bedingungen tatsächlich so schlimm seien, zwar leicht, indem er sich, statt auf den Inhalt des Gesagten auf die extra provokante Wortwahl konzentrierte: "Das geht so nicht", sagte er. "Der Herr Pastor kommt mit einem Sklavenvergleich." Und doch, die Diskussion war danach aufgeräumter.
Man einigte sich auch an diesem Abend nicht, ob ein Mindestpreis für Fleisch richtig sei, das wäre aber auch überraschend gewesen. Aber wer vorher nicht ahnte, dass auch die billigste Grillwurst einen hohen Preis hat, konnte es hier mitbekommen.
Nur, ändert sich auch etwas? Der Zweifel blieb. Es gibt schließlich noch ein paar weitere Player auf dem Spielfeld, wie von Boetticher sagte: den Handel etwa, der bei der Preisgestaltung auch noch mitredet. Journalist Bröcker bog allerdings mit der These um die Ecke, er glaube, "das System Tönnies ist beendet"; der Corona-Ausbruch sei zumindest für ihn existenziell. Und die Pandemie insgesamt sei gar der "Fukushima-Moment der Fleischwirtschaft".