Corona-Talk bei "Hart aber fair"
Heinsberg hat das Wort
Beerdigungen ohne Trauergäste, Bettelbriefe nach China: Bei Frank Plasberg ging es um die Coronakrise - und der Landrat aus Heinsberg machte klar, weshalb Pragmatismus die Haltung der Stunde ist.
Frank Plasberg moderierte am Montagabend eine Extraausgabe von "Hart aber fair". Titel: "Es ist ernst - wie viel Freiheit lässt uns Corona noch?"
Foto: Stephan Pick/ WDR
Abschiednehmen in Zeiten von Corona: In der ausführlichen Reportage, die am Montag einer weiteren extralangen "Hart aber fair"-Ausgabe vorangestellt ist, wird darüber berichtet, wie sich ein Bestatter auf die Virus-Opfer einstellt und seine Auszubildenden auf die neuen Aufgaben vorbereitet. Die Zahl der Trauergäste wird maximal runtergefahren; im Extremfall lässt der Bestatter, so zeigt es die Reportage, im Beisein einzig seiner Azubis die Urne ins Grab hinab.
Die Lastwagenladungen an Leichen, die in der Lombardei nachts vom Militär abtransportiert werden, sind in Deutschland noch fern - aber der Weg zur letzten Ruhe hat sich auch hier drastisch verändert: "Er wird alleine angetreten", heißt es in dem Einspieler lakonisch.
Über die letzten Extraausgaben seiner Sendung hat sich Frank Plasberg als besonnener Chronist der aktuellen Stimmungslage im Land bewiesen. Feierte er in der vergangenen Woche noch das Homeoffice als neue Lebensform, geht es diesmal auch ganz konkret um den Tod. Um über ihn zu sprechen, ist bei "Hart aber fair" auch Stephan Pusch zugeschaltet, der Landrat aus dem nordrhein-westfälischen Heinsberg.
Plasberg hat in seiner Runde eine Intensivkrankenpflegerin, einen Virologen und die Gesundheitsministerin von Rheinland-Pfalz versammelt: kompetente Leute, die etwas zur Situation sagen können. Aber im Zentrum steht ganz eindeutig der Landrat. Verständlich, er hat nun mal in seinem Verantwortungsbereich im Kleinen erlebt, was Deutschland jetzt im Großen bevorsteht. Seit Karneval infizierten sich in Heinsberg mehr als Tausend Menschen mit Covid-19, 21 starben.
"Bettelbrief" nennt Plasberg die Anfrage. Pusch nimmt es ihm nicht übel: "Vor ein paar Wochen hätte ich auch gesagt: 'Du bist bekloppt'", meint er erschöpft. Aber in den vier Wochen seit dem Corona-Ausbruch in seinem Landkreis habe er nicht einmal das Gefühl gehabt, eine Woche lang konkret planen zu können: "Sie können sich als Laie nicht vorstellen, wie viele Kittel und Masken Sie brauchen pro Tag."
Wenn man in der verzweifelten Hoffnung auf Nachschub sowieso schon dubiose Geschäftemacher anfunke, die behaupten, Onkel in China zu haben, so Pusch, dann könne man sich ja auch gleich an die chinesische Regierung wenden.
Es ist dieser beherzte Pragmatismus, mit dem Pusch allen Anzeichen nach die Krise in seinem Landkreis gut gemanagt hat. 216 Personen von dort gelten inzwischen als genesen. Und wenn man ihn reden hört, ist das nicht dem deutschen Gesundheitssystem zu verdanken, sondern dem Improvisations- und Beschaffungstalent der Helfer vor Ort. Doch was sagt es aus, wenn sich der kommunal Verantwortliche mit einem Hilfegesuch lieber an einen anderen Staat als den eigenen wendet? Wenn offenbar in der größten Not der föderalen Solidargemeinschaft misstraut wird?
Weiter denken als Corona
Heinsberg hat das Wort, und es stellt der medizinischen Versorgung in diesem Staat ein desaströses Zeugnis aus. Pusch sagt: "Wir sehen doch, wo die Schwachstellen sind. Dinge vorrätig halten, kostet Geld." Keine Masken, keine Kittel, keine Pipetten, nichts sei in dem Maße und dem Zustand da, wie es die Pandemie erfordere. "Das ist im Moment die Achillesferse unseres Gesundheitssystems", sagt Pusch.
Für ihn sind die Konsequenzen aus der Krise klar. Man müsse sie als Chance sehen, "darüber nachzudenken, was wir selber produzieren können". Es ginge darum, weiter zu denken als Corona.
Von Interesse sind weniger Fragen nach der Verfassung als solche nach dem Überleben
Nimmt man den Titel der Sendung, wollte Plasberg offensichtlich auch ein bisschen weiter denken und eine ganz andere Diskussion lostreten: "Wie viel Freiheit lässt uns Corona noch?", fragte seine Redaktion. Aber zurzeit fühlt sich die Bevölkerung zum Großteil eben offensichtlich nicht unzulässig in ihren Grundrechten eingeschränkt. Das weiß Plasberg ja auch selbst: Er zitiert aus einer aktuellen ARD-Umfrage, nach der 95 Prozent der Teilnehmer die Beschlüsse vom Sonntag richtig finden sollen.
DER SPIEGEL
Die Menschen interessieren offenbar gerade weniger Fragen nach der Verfassung als solche nach dem Überleben. Weil Corona aber eben nicht nur unser Über-, sondern auch unser Zusammenleben auf die Probe stellt, sollte Plasberg unbedingt später noch einmal über die Einschränkungen unseres freiheitlichen Miteinanders diskutieren.
Die paradoxe Frage, die im weiteren Verlauf der Coronakrise zu stellen ist, lautet ja, wie einerseits der Staat wieder zurückgebaut werden kann (im Punkt der Eingriffe ins Leben der Menschen) und wie er andererseits noch ausgebaut werden kann (im Punkt der medizinischen Versorgung). Gelegenheit darüber zu sprechen, wird Plasberg in den nächsten Wochen reichlich haben. Kaum anzunehmen, dass es in seinen nächsten Sendungen ein anderes Thema als Corona gibt.