Spahn bei "Hart aber fair" zu Organspenden "Ja, das ist ein Eingriff in die Freiheit"

Frank Plasberg diskutierte mit seinen Gästen über Jens Spahns Gesetzentwurf zur Organspende. Der Gesundheitsminister saß selbst mit in der Runde - und erklärte, dass es eine Verpflichtung gebe, sich mit dem Thema zu beschäftigen.
Von Klaus Raab
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im "Hart aber fair"-Studio

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im "Hart aber fair"-Studio

Foto: WDR/Oliver Ziebe

Wann gab es zuletzt eine so unaufdringliche "Hart aber fair"-Ausgabe? Keine Rechthabereien, keine Fangfragen und Manöver, nichts. "Moralischer Zwang zur Organspende: Wollen Sie das, Herr Spahn?", fragte Frank Plasberg. Der Titel war gewohnt catchy, "Moral" und "Zwang" waren noch die am ehesten nach Empörung heischenden Schlagworte, die sich zum Thema finden ließen. Die Diskussion fiel dann aber regelrecht leise aus.

Die Abwägung des Abend: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn von der CDU hat soeben mit anderen Gesundheitspolitikern einen Gesetzentwurf vorgestellt. Vorgesehen ist demnach eine Widerspruchslösung: Wer einer Organentnahme nach dem Tod nicht zustimmt, muss zu Lebzeiten widersprechen. "Gibt es nicht ein Recht zu sagen, ich will mich nicht damit befassen?", fragte Plasberg. Spahn antwortete abwägend: "Das ist das gewichtigste Gegenargument." Es gebe, wenn der Entwurf so durchgehe, keine Pflicht zur Organspende, aber "eine Verpflichtung, sich zu beschäftigen. Ja, das ist ein Eingriff in die Freiheit."

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Die Kontrahenten des Abends: Ach, Kontrahenten - nein: Das Wort wäre unangemessen für das, was geschah. Der Arzt und Medizinjournalist Werner Bartens von der "Süddeutschen Zeitung" formulierte diverse Argumente gegen das Vorhaben. Das "nudging" - also angestupst zu werden, um eine Beschäftigung zu erzwingen - finde er hier "einfach nicht angemessen", sagte er. Aber er war kein Kontrahent im Boxring-Sinn des Wortes. Am ehesten gegeneinander standen in der Diskussion: die gesellschaftliche und die individuelle Perspektive auf das Thema. Gesellschaftlich gesehen werden mehr Organe gebraucht - das war Spahns Ministerperspektive. Man kann sich aber nicht über Menschen hinwegsetzen, die ihre nicht geben wollen. Ulrike Sommer, die mit einer Spenderniere lebt, formulierte es so: Man könne etwas "im Prinzip in Ordnung" finden, im Konkreten aber nicht.

Moderator Plasberg (r.) mit seinen Gästen

Moderator Plasberg (r.) mit seinen Gästen

Foto: WDR/ Oliver Ziebe

Die Betroffenen des Abends: Neben der Leistungssportlerin Chantal Bausch, die von ihrem Leben mit einem Spenderherz erzählte, waren das Ulrike Sommer und ihr Mann Michael Sommer, der ehemalige Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds: sie Empfängerin, er Spender ihrer Niere. Er warb für Spahns Entwurf: Unfair sei es nicht, sich mit dem Thema selbst befassen zu müssen. Unfair sei es, eine Entscheidung den Angehörigen zuzuschieben. Sie argumentierte dagegen: "Herr Spahn sagt's ja ganz deutlich: Er möchte mehr Organe haben." Es handle sich bei einem Organ aber um ein "riesiges Geschenk". Das zu geben, dazu müsse der Gebende "aktiv bereit sein".

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Die semantischen Fragen des Abends: Die brachte Journalist Werner Bartens auf, der eigenen Angaben zufolge keinen Spenderausweis hat, weil er die Unversehrtheit des Körpers auch nach dem Tod für ein hohes Gut halte. Er lehne etwa den Begriff der Spende ab, sagte er, weil er hier "eigentlich irreführend" sei. Redlicher finde er es zudem, nicht von einem Hirntoten zu sprechen, dem man ein Organ entnehme, sondern von einem Sterbenden. Der Prozess des Sterbens sei in den betreffenden Fällen irreversibel, betonte er. Aber: "Das Herz schlägt, er ist warm."

Das alternative Konzept des Abends: Das stellte Annalena Baerbock von den Grünen vor. Die Diskussion war auch deshalb sachlich, weil sie und Spahn nicht in zwei unterschiedliche Richtungen strebten, sondern vermittelten, dass sie auf der Suche nach dem besten Weg sind. "Das Ziel ist das gleiche", sagte Baerbock. Der Vorschlag: Bürger sollen etwa bei der Beantragung eines Personalausweises über die Organspende informiert werden. Wenn sie das Dokument abholen, sollen sie gebeten werden, sich zu entscheiden. So würde man die 84 Prozent der Deutschen, die eigentlich organspendewillig seien, erreichen. Aber sie würden nicht zu Spendern wider Willen, wenn sie entsprechende Schreiben nicht erhielten oder sie nicht lesen könnten. Die Hürde, widersprechen zu können, "ist relativ groß", so Baerbock.

Die drei Orte des Abends: Spahn und Ulrike Sommer malten sich aus, wie sensibel auf dem Berliner Bürgeramt über Organspenden gesprochen werden könnte. Bartens sagte: "Dann kann ich's auch gleich an der Tankstelle oder an der Kasse bei Edeka machen."

Die nichtdeutsche Perspektive des Abends: Wer in Österreich beim Skifahren verunglücke, werde dort automatisch als Organspender angesehen, sagte Michael Sommer. In 20 von 28 EU-Staaten gebe es die Widerspruchslösung, sagte Jens Spahn.

Die Daten des Abends: Ob es wirklich in Ordnung sei, Schweigen als Zustimmung zu werten, fragte Plasberg Jens Spahn. Auf jeder Website müsse man explizit einwilligen, dass Daten weiterverarbeitet werden dürften. Und bei Organen nicht? "Kann man so drehen", sagte Spahn. Es gebe aber auch andere Bereiche, "wo der Staat bestimmte Rechtsfolgen festgelegt hat". Beim Erben etwa: Wer sich nicht äußere, für den greife auch hier die gesetzliche Regelung.

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