Serien-Highlight bei Sky Der Horror lebt im Plattenbau

Der Wohnblock als Tor in eine andere düstere Welt: "Hausen"-Szene mit Alexander Scheer
Foto: Reiner Bajo / SkyDer Häuserblock ragt 18 Stockwerke hoch aus der flachen Landschaft um Berlin empor. Bei seiner Entstehung zu DDR-Zeiten mag der Plattenbau als Prestigeprojekt für modernes Wohnen in grüner Umgebung gegolten haben, heute leben die Menschen dort in grauen Löchern. Auf einem Stockwerk verheizen verwahrloste Bewohner das Mobiliar in einem Kaminofen, auf einem anderen drangsalieren Nazis die Nachbarn. Ein neuer Hausmeister soll die Situation beruhigen.
Der Witwer Jaschek (Charly Hübner) übernimmt den Job; mit seinem 16-jährigen Sohn Juri (Tristan Göbel) zieht er in eine der Wohnungen ein, in denen die Wasserhähne faulige Brühe ausspucken. Jaschek krempelt die Ärmel hoch und packt an. Er säubert Luftschächte, die rasseln wie der Atem eines Patienten mit Lungenentzündung. Er schraubt an Heizungsrohren, aus denen eine Substanz blubbert, die wie dunkles Wundwasser aussieht. Er entfernt den Pilz an den Treppenhauswänden, der wuchert wie ein Krebsgeschwür.
Auf Neudeutsch nennt man Jascheks Job Facility Manager, tatsächlich erinnert sein Aufgabenprofil eher an das eines Pflegers auf der Palliativstation. Er kümmert sich um einen Organismus, der im Sterben liegt.

Bitte keine Wände berühren! In "Hausen" führt der Wohnblock ein beängstigendes Eigenleben
Foto: Reiner Bajo / SkyEs macht die Kraft der Schauermär-Serie "Hausen" aus, dass der Wohnblock als siechendes Wesen erscheint – und in seiner Agonie jene mit sich reißt, die in ihm leben. Wie es Jascheks Sohn Juri formuliert: "Etwas sitzt in den Wänden, es beobachtet uns, es sieht jeden unserer Schritte."
Das deutsche Serienfernsehen hat das Horrorgenre entdeckt. Netflix produzierte mit "Dark" einen AKW-Schocker mit Zeitreiseplot, der international Erfolge feierte. Das ZDF unterhielt sein Publikum im Corona-Sommer mit dem Seuchenangstmacher "Sløborn". Nun zieht Sky mit einer Produktion nach, in der alle Register des Haunted-House-Horrors gezogen werden. Der Star von "Hausen" ist (trotz des inspiriert hemdsärmelig spielenden Hübner) kein Schauspieler, sondern der effektvoll zu Leben erweckte Wohnblock.
Mit Horror gegen Netflix und Co.
Die Serie ist Teil einer umfassenden Strategie, mit der Sky der Konkurrenz der Streamer auf dem deutschen Markt Paroli zu bieten versucht. Dafür lässt sich der alteingesessene Bezahlsender zu extrem hohen Investitionen hinreißen: Die in Kooperation mit der ARD entstandene Serie "Babylon Berlin" und die allein gestemmte Neuauflage des Kriegsepos "Das Boot" sind die teuersten TV-Produktionen, die je in Deutschland gedreht wurden. Auch für "Hausen" betrieb Sky großen Aufwand. Als Setting diente ein verlassener Gebäudekomplex am östlichen Rand Berlins, der einst ein Regierungskrankenhaus für hohe SED-Funktionäre beherbergte. Heute sind die Blöcke Lost Spaces, entrückt von der deutschen Gegenwart. Die Serienverantwortlichen verwandelten das Areal mit großer Detailfreude zu einer Art Geisterbahn in Rostbraun und Schimmelgrün.
In der Serie entsteht so eine in sich geschlossene Welt, 18 Stockwerke DDR, an denen die Wiedervereinigung vorbeigegangen zu sein scheint. Alles ist vergilbt – die Familienfotos aus besseren Tagen an den Wänden der Wohnungen ebenso wie die eigenen Erinnerungen an die Zeit, als man im Haus noch zusammengehalten hat. Die Mieter vegetieren in Empathielosigkeit vor sich hin. Als ein Baby spurlos verschwindet, kümmert das erst mal keinen. Labt sich das Haus am Leiden seiner Bewohner? Es nimmt offenbar durch Schächte, Rohre und Verkabelung ihre negative Energie auf, und das so effektiv, dass auch Jascheks Tatendrang irgendwann nicht mehr dagegen ankommt.
Der Plattenbau als eigener Charakter
Regisseur Thomas Stuber hatte zuvor den "Tatort" mit Ulrich Tukur gedreht, in dem er Howard Hawks' Westernklassiker "Rio Bravo" als Polizeithriller neu auflegte. Auch für "Hausen" orientiert er sich an großen Vorbildern. Wie Stuber die Treppenhäuser entlangfährt, erinnert an Stanley Kubricks Horrorklassiker "Shining", das paranormale Treiben in Neonröhrenbeleuchtung lässt an Lars von Triers Krankenhausserie "Hospital der Geister" denken, in der Ärzte und Patienten heimgesucht werden.
Es sind nicht die Menschen, die die Häuser gestalten, sondern die Häuser, die die Menschen formen – diese Maxime des Geisterhaushorrors wird in "Hausen" tadellos umgesetzt. Zwischenzeitlich gleitet die Geschichte zwar in konfektionierten Genre-Hokuspokus ab, das unentwegte Lichtgeflacker ist eher nervig als schaurig. Aber wie es den Serienschöpfern (Buch: Till Kleinert, Anna Stoeva) immer wieder gelingt, den Plattenbau als eigenen Charakter mit Agenda zu inszenieren, verstört zutiefst. Das ist auch der furiosen Kameraführung und vor allem der Ausstattung zu verdanken. Die versifften Wohnhauswände werden als pochende Membranen in Szene gesetzt, die die Hausbewohner durch ihre Wucherungen in einen Parallelkosmos ziehen. Manchmal sind es nur Arme und Beine, manchmal verschwinden ganze Menschen.
Wer Schimmel in der eigenen Wohnung zu beklagen hat, schaut ihn nach 500 Minuten dieses Innenausstattungshorrors anders an. Sind die schwarzen Stellen an der Badezimmerwand vielleicht tatsächlich Tore in eine andere, dunkle Welt?
"Hausen", bei Sky