
TV-Film "Wiedersehen mit einem Fremden": Stunde Null?
Heimkehrerdrama in der ARD Gogol statt Goebbels
Die Männer sind nicht mehr zu gebrauchen. Als Anfang der fünfziger Jahre die Russland-Heimkehrer von der Bimmelbahn im heimatlichen Schwarzwald ausgespuckt werden, fallen den Frauen fremde Wesen in die Arme. Die Augenhöhlen sehen aus wie schwarze Löcher, die Körper sind jeglicher Kraft beraubt, die Köpfe mit unaussprechlichen Erinnerungen gefüllt: Gespenster im Idyll.
Aber was heißt schon Idyll? Die Äcker werden fünf Jahre nach Kriegsende zwar wieder bestellt und wogen grün im Wind, aber der Verteilungskampf tobt umso härter. Nur dass er jetzt eben zwischen Frauen stattfindet - so wie zwischen Margarete (Nina Kunzendorf) und Liesbeth (Silke Bodenbender). Die eine verwaltet als Tochter eines Bauernhofs bis zur Wiederkehr des erbberechtigten Bruders aus Russland Felder und Ställe, die andere ist die Ehefrau des Abwesenden. Und je länger der fort ist, desto mehr schwindet ihr Status. Bald haust Liesbeth mit dem Sohn als Magd über dem Stall.
Nachdem Konrad Adenauer 1955 nach Moskau gereist ist, um die Entlassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen zu verhandeln, steht auf einmal auch der verlorene Bruder und Ehemann auf dem Bahnsteig. Oder das, was von ihm übrig ist. Aus dem einst großspurigen Erbbauern und Vorzeigenazi ist ein Schweiger geworden - der allerdings auch einige interessante neue Eigenschaften aufweist: Max (Peter Davor) liebt die russische Literatur, von der Sprache ist ihm inzwischen Gogol näher als Goebbels. Außerdem verhandelt er jetzt lieber als draufzuhauen.
Kann das wirklich der Gewaltmensch sein, den einer der Dorfbewohner zuvor noch mit den Worten "Sau bleibt Sau" charakterisiert hat? Wenn aus dem Krieg sowieso nur Fremde heimkehren, dann hat Liesbeth mit ihrem Ehemann eigentlich eine ganz gute Partie gemacht - selbst wenn dieser Max nicht der Max sein sollte, den sie zehn Jahre zuvor geheiratet hat.
Schweigen über die Traumata
Klug haben Regisseur Niki Stein und Drehbuchautor Thomas Kirchner hier den historischen Fall des Kriegsheimkehrers Martin Guerre, der schon in unterschiedlichen Filmen verarbeitet wurde, ins Nachkriegsdeutschland verlagert. Vor dem Hintergrund kollektiver Verdrängung und schleppender Entnazifizierung erhält die Wandlung des heimgekehrten Nazis in einen demokratischen Feingeist eine geradezu ironische Note: Nein, dies kann auf keinen Fall der Aggressor von ehedem sein.
Ja, aber wo sind sie denn nun alle geblieben, Hitlers willige Vollstrecker und Versorger aus dem Schwarzwald? Die Frauen sind längst in den neuen Verhältnissen angekommen, die Männer sind Schatten ihrer selbst. Über die Verfehlungen im Nazi-Deutschland wird im Dorf ebenso beharrlich geschwiegen wie über die Traumata in den russischen Gulags.
Vergangenheit wird in diesem zeitgeschichtlichen Bilderbogen auf den ersten Blick nicht aufgearbeitet. Die Felder wogen, die Dampflok bimmelt, die Kühe dampfen wohlig in ihren Ställen. Doch aus der prallen Fünfziger-Jahre-Gegenwart gelingt es Thomas Kirchner, immer wieder ohne billige Flashbacks die Spuren des totalitären Systems freizulegen. Der in der DDR aufgewachsene Autor, der zurzeit an der Fernsehverfilmung zu Uwe Tellkamps "Der Turm" arbeitet, hat schon mit seinem Drehbuch "Das Geheimnis im Moor" gezeigt, wie in malerischer Landschaft die Rückstände einer Diktatur lagern können.
Doch eine Stunde Null?
So liefern er und Regisseur Stein eine interessante Ergänzung zu all den Fernsehfilmen, die sich 2009 mit den jungen Jahren der BRD beschäftigt haben - die ihre verdrängte Vergangenheit aufzeigten ( "Ein Dorf schweigt"), die mit der Illusion der Stunde Null brachen ( "Die Rebellin") oder den psycho-ökonomischen Kraftströmen der Zeit nachspürten ("Die Wölfe").
Auch in "Wiedersehen mit einem Fremden" wird der Zeitenumbruch vor allem an wirtschaftlichen Aspekten deutlich gemacht: Zwischen archaischem Erbrecht und moderner Masttierhaltung, zwischen alten Sitten und neuem landwirtschaftlichem Gerät wird sich ökonomisch neu aufgestellt. So ist das ARD-Drama vor allem ein Duell zwischen den beiden Hauptdarstellerinnen Silke Bodenbender und Nina Kunzendorf geworden, die sich ja gerade erst in Niki Steins Scientology-Drama "Bis nichts mehr bleibt" bekriegt haben. Hier nun ringen sie als Magd und Bäuerin um Macht und Hof, um Status und Ernte.
Der Mann freilich, zuvor als brutaler Egomane gefürchtet, beteiligt sich an dieser Schlacht nicht. Statt zu wüten, liest er seinem Sohn lieber russische Gedichte vor. Vielleicht gab es ja doch so etwas wie einen Neuanfang, eine wahre Stunde Null im Nachkriegsdeutschland.
"Wiedersehen mit einem Fremden", Mittwoch 20.15 Uhr, ARD