
ZDFneo-Star Manuel Möglich Die zarte Erotik des Chlorgeruchs
Tattoos, Oberlippenbart, Ray-Ban-Brille - Manuel Möglich sieht eher nach Berlin-Mitte aus als nach Mittelhessen. Doch genau dorthin führt ihn dieser Roadtrip. Nicht etwa, weil es so cool wäre, mit dem Auto hessische Schnellstraßen abzufahren, an Kornfeldern, Fachwerkhäusern und ins Nichts geworfenen Shopping-Malls vorbei. Sondern weil es keine andere Möglichkeit gibt, mit Manuel Möglich an die Orte seiner Kindheit und Jugend zu gelangen. Von Gießen aus geht es also ins mittelhessische Outback, nach Weilburg, nach Wetzlar und nach Tiefenbach, wo keine Ampel steht und auch kein Supermarkt.
Was bitte machen wir hier?
Diese Frage stellt man sich mit Manuel Möglich sehr schnell einmal, zumindest wenn man seine absolut sehenswerte Doku-Reihe "Wild Germany" kennt. Als Reporter für ZDFneo reist der 34-Jährige zu Menschen, die Irritierendes oder sogar Schockierendes schildern - an die Ränder der Gesellschaft sozusagen, die aber ja genauso zur Republik gehören. Dabei ging es etwa um "Bugchaser", das sind Menschen, die sich absichtlich mit dem HI-Virus anstecken. Oder um sogenannte Furries, Personen, die das Verlangen spüren, Gestalt und Habitus eines Tieres anzunehmen.
Chlor und Frittenbude
Für seine neue Sendung bei ZDFneo, "Heimwärts mit...", reist Möglich nun mit Prominenten wie BAP-Sänger Wolfgang Niedecken, "Zeit"-Kolumnist Harald Martenstein oder Heinz Strunk in deren Heimat. Vordergründig, um zu sehen, wo diese Menschen herkommen, was sie geformt hat - aber auch, um Deutschland, den großen Begriff Heimat und das Gefühl dahinter zu ergründen. Heimat werde oft mit einem konservativen Traditionalismus gleichgesetzt, sagt Möglich, sogar in eine braune Ecke geschoben. Das möchte er ändern. Schließlich gehe es doch viel eher um Ursprünge und um erste, prägende Erlebnisse. Und an diesem Nachmittag schildert Möglich nun selbst seine Heimat, ohne TV-Kamera.
Da steht er also, an den Holzzaun eines Kindergartens gelehnt, und blickt auf einen trostlosen, gepflasterten Platz im Ortskern von Tiefenbach. "Jetzt verstehst du vielleicht, warum uns hier manchmal einfach langweilig war", sagt Möglich. Um gleich zu einer Anekdote anzusetzen. "Da hinten im Nachbardorf", er zeigt mit dem Finger die abschüssige Straße entlang, an der bunte Einfamilienhäuser stehen, "habe ich mal Handschellen gekauft." Klassensprecher sei er gewesen, zum ersten Mal. Doch ein Mitschüler habe ihn so genervt, dass er ihn kurzerhand an einen Stuhl fesselte. "Da war das Thema Klassensprecher auch schnell wieder durch."
Der Möglich-Trip geht weiter von Tiefenbach nach Weilburg. Am dortigen Gymnasium ist er von der fünften bis zur zehnten Klasse zur Schule gegangen. Ein weißes Häuschen neben dem Parkplatz elektrisiert ihn aber viel eher: die heutige Musikschule. Schlagzeug hätten ihm seine Eltern verboten, deshalb lernte er E-Bass, erzählt Möglich, während er den grasbewachsenen Hügel zum Häuschen hochhastet. Und weil es wenige gab, die Bass spielten, sei er auch gleich einer Schülerband zugeschlagen worden: "Fit of Rage".
Das "Bauer sucht Frau"-Gefühl
Was cool klingt, war wohl eher ernüchternd für den späteren Musikjournalisten: "Wir waren scheiße, richtig scheiße", sagt Möglich. Geprobt hat die Band dennoch im Keller dieses weißen Häuschens, das damals noch bunt war und die Schülerzeitung beherbergte. Die Tür ist jetzt leider abgeschlossen, aber, immerhin, ein Gitter zum Souterrain kann weggeschoben werden. Auf dem Bauch robbt sich Möglich davor und versucht, etwas in dem dunklen Raum zu erkennen. "Renoviert, duftet aber wie früher", sagt er. Duftet? "Na ja, man könnte auch sagen, es riecht nach Kellermief."
Überhaupt: Geruch! Kaum ein anderer Sinn lasse doch so etwas wie Heimatgefühl in einem aufsteigen und Erlebnisse von früher vor dem inneren Auge vorbeiziehen. Für Möglich ist so ein Heimatgeruch der nach Chlor, der eine sehr wesentliche Etappe seiner Adoleszenz kennzeichnet - im Freibad habe er erstmals gemerkt, dass er Mädchen gar nicht mal so abstoßend findet. Deshalb wird irgendwo zwischen Weilburg und Wetzlar haltgemacht, die Liegewiese inspiziert ("Wirkt viel kleiner"), der Heimatgeruch inhaliert ("In Berliner Bädern riecht man das Chlor mehr") und die Frittenbude inspiziert ("Sieht noch genauso aus").
Auch die Interviewpartner in Möglichs "Heimwärts mit..." kennen solche Sehnsuchtsorte - bei Harald Martenstein etwa ist es eine Kirmes, samt Autoscooter. Aber genauso wie die Liegewiese des Freibads geschrumpft und der Geruch nach Chlor eher schwach zu sein scheint, wirken auch die Jungs am Autoscooter nicht mehr so lässig wie noch vor 20 Jahren. Und auch das Kurbeln des Autoscooter-Lenkrads mit der flachen Hand wirkte irgendwie schon mal cooler.
Alles hat also seine Zeit. Doch dafür kann sich der TV-Journalist heute für etwas begeistern, was ihn vor 10, 15 Jahren wohl eher angeödet hätte. Als er in eine schmale Straße einbiegt, die eine Anhöhe hinaufführt, breitet sich ein abendliches Dorfpanorama aus, mit Strohballen auf sommerlichen Feldern - und Manuel Möglich spricht vom "Bauer sucht Frau"-Gefühl. Will meinen: Mit wohliger Sehnsucht kann man ihn einschalten, diesen Gemütszustand, sich selbst versenken in das eigene kleine Kurzzeit-Idyll, und ist froh, auch wieder ausschalten zu können. Man ist ja nur Zuschauer, nur zur Besuch. Seit vier Jahren lebt Manuel Möglich - wie sollte es anders sein - in Berlin.
"Heimwärts mit...", ab Donnerstag, 22.15 Uhr, ZDFneo