»Hillbilly Elegy« auf Netflix Wie leben eigentlich diese Trump-Wähler?

Selten wirkt Hollywood so hilflos: »Hillbilly Elegy« will das US-Hinterland erklären – und drückt sich um politische Kontroversen. Für heilloses Drama sorgen Glenn Close und Amy Adams.
Glenn Close (links) und Amy Adams in »Hillbilly Elegy«

Glenn Close (links) und Amy Adams in »Hillbilly Elegy«

Foto: Lacey Terrell / AP

Die US-amerikanische Kritik hat Ron Howards Verfilmung von »Hillbilly Elegy« erst eine blutige Nase verpasst. Dann setzte es einen linken Haken und zum Schluss noch einen Schlag unter die Gürtellinie. »So schlecht, dass man fast lachen müsste, wenn nicht alles so melodramatisch wäre«, schrieb die »Washington Post« . »Eine neoliberale Wunschvorstellung und ein soziopolitisches Traktat, dem die Zähne gezogen wurden«, urteilte der »Boston Globe «. »Der schamloseste Film des Jahres«, hieß es bei »The Playlist «.

Nun, gelungen ist »Hillbilly Elegy« sicherlich nicht. Aber ein paar der rhetorischen Hiebe dürften eher nachholend J.D. Vance' Buchvorlage gelten. Denn die kam bei ihrem Erscheinen 2016 unverhältnismäßig gut weg, galt im Jahr von Donald Trumps Wahlsieg sogar als Schlüssel zu dessen unbekannten Wählern. »Ein zivilisiertes Handbuch für eine unzivilisierte Wahl«, lobte die »New York Times«.

Angelegt, wie es der erste Teil des Untertitels erklärte, als Geschichte einer Familie, erzählte Vance von seiner Kindheit und Jugend in Kentucky. Von der Gewalt bis hin zum Totschlag, die in seiner erweiterten Verwandtschaft verbreitet war, von der Armut, die genauso weite Kreise zog, aber auch genauer von der Drogensucht seiner Mutter und den Anstrengungen, die seine kranke Großmutter unternahm, um ihm doch ein sicheres Zuhause zu bieten.

Solche Menschen und solche Nöte, mussten sich liberale Medien und Politiker eingestehen, waren in ihren Betrachtungen über Amerika kaum vorgekommen. »Hillbilly Elegy« wurde zur schuldbewussten Pflichtlektüre für jeden liberal im amerikanischen Sinne, der in sich gehen und dem vermeintlichen Elitismus abschwören wollte.

Nur was für diese Menschen und gegen ihre Nöte tun?

Ebenfalls angelegt, wie es im zweiten Teil des Untertitels heißt, als Beschreibung einer »culture in crisis«, sah Vance ausdrücklich nicht die Politik in der Pflicht einzugreifen. Für ihn waren eben nicht das Wirtschafts-, Bildungs- oder Sozialsystem der USA in der Krise, sondern die Kultur der Hillbillys, ihre Werte und Normen. Da er es durch harte Arbeit bis in die elitäre Law School von Yale geschafft hatte, war sich Vance selbst der beste Beweis: Man muss nur wollen, dann kann man auch.

Filminfos

»Hillbilly Elegy«
USA 2020
Regie: Ron Howard
Buch: Vanessa Taylor nach dem Sachbuch von J.D. Vance
Darstellende: Glenn Close, Amy Adams, Gabriel Basso, Haley Bennett, Owen Asztalos
Produktion: Imagine Entertainment, Netflix
Länge: 116 Minuten
Start: ab 24. November auf Netflix

Diese libertär-reaktionäre Schlagseite von »Hillbilly Elegy« fand zunächst wenig Beachtung. Doch dass ein selbsterklärter christlicher Nationalist wie Vance, der als Risikokapitalanleger für den hochumstrittenen Investor und Trump-Unterstützer Peter Thiel arbeitet, nicht als alleiniger Erklärer der Südstaaten-Unterschicht taugt – das kam dann doch nach und nach im liberalen Milieu an. Statt auf CNN, das ihn 2017 als Kommentator anheuerte, ist Vance mittlerweile häufiger zu Gast beim Rechtspopulisten Tucker Carlson auf Fox News.

Nur was nun mit der Filmadaption machen?

Inmitten der sich verkomplizierenden Diskussion um »Hillbilly Elegy« entschieden sich Regisseur Ron Howard und Drehbuchautorin Vanessa Taylor (Oscarnominiert für »The Shape of Water«) für die hasenfüßigste aller Lösungen: Sie haben die Politik ganz weggelassen. Ihr Film ist reines Familiendrama ohne gesellschaftlichen Kontext. »Etwas fehlte«, lassen sie J.D. Vance im Rückblick auf seine Kindheit sagen. »Vielleicht Hoffnung.« Als Ausdruck von Hollywoods Hilfslosigkeit, wie es mit dem Rechtsruck im eigenen Land umgehen soll, ist das schon fast niedlich.

Mit der Entpolitisierung tun sich Howard und Taylor aber auch filmisch keinen Gefallen. Ohne die historisch-analytischen Passagen des Buchs, wie fragwürdig sie auch immer sein mögen, fehlen ihrem Film die erzählerischen Puffer. In der Folge treten die voyeuristischen Momente, die schon dem Buch den Vorwurf des »Elends-Pornos« einbrachten, noch mal unangenehmer hervor.

Fotostrecke

"Hillbilly Elegy"

Foto: Lacey Terrell / AP

Krise reiht sich an Krise, Konfrontation an Konfrontation. Dauernd hat eine der großen Darstellerinnen von »Hillbilly Elegy« einen vermeintlichen »Oscar-Moment«, stiert Glenn Close als Großmutter »Mamaw« noch wilder entschlossen als zuvor durch ihr riesiges Kassengestell oder tickt Amy Adams als drogensüchtige Mutter Bev noch irrer aus.

Viel stiller, dafür umso glaubwürdiger agieren Gabriel Basso als erwachsener J.D. sowie Haley Bennett als seine Schwester Lindsay. Dass ihre Namen nicht in dem Oscar-Geraune, das zurzeit bei jeder hochkarätig besetzten Netflix-Produktion aufkommt, genannt wird, ist bezeichnend. Genau die »normalen« Menschen, die die Branche so lang übersehen hat, interessieren auch als Filmfiguren nicht.

Immerhin verleihen die Auslassungen des Films ihm etwas von dem ansonsten schmerzlich vermissten zeitdiagnostischen Gewicht: Hollywood, so zeigt sich hier, das ist die wahre »culture in crisis«.

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