Homöopathie-Debatte bei "Hart aber fair" Hoch lebe der Einzelfall

Lassen sich Schulmediziner und Alternativheiler jemals zusammenbringen? Offensichtlich nicht, wie die Talkrunde bei "Hart aber fair" bewies. Homöopathin Schlingensiepen pries einen Einzelfall, Gegenargumente gingen in der Palavermühle unter.
Moderator Plasberg: Globuli gegen Beule

Moderator Plasberg: Globuli gegen Beule

Foto: Jörg Carstensen/ picture-alliance/ dpa

Gab es eigentlich mal eine Zeit, in der nicht ständig über Homöopathie diskutiert wurde? Vor vier Wochen erschien der "Stern"-Titel "Warum alternative Heilmethoden wirken", zwei Wochen später erklärte das österreichische Nachrichtenmagazin "Profil" auf seinem Titel das Gegenteil ("Warum Alternativmedizin nicht wirkt"), und am Montagabend diskutierte "Hart aber fair" (ARD) unter der irrlichternden Frage, ob nur medizinische Wissenschaft wahr sei oder ob Heilung auch Zeit und Zuspruch brauche. Als ob das ein Gegensatz wäre.

Bei allen Debatten für oder gegen Homöopathie sollte grundsätzlich klar sein, dass jeder das Recht hat, sich medizinisch unvernünftig zu verhalten. Das Grundgesetz gestattet es einem, es mit zehn Bier, homöopathischen Kügelchen oder Eigenurin zu versuchen.

Diese Freiheitsrechte gelten natürlich auch für Moderatoren der ARD. Insofern war es schön, dass Frank Plasberg gleich zu Beginn der Sendung klargestellt hat, dass sein Sohn, wenn er eine Beule hat, erst mal fünf Globuli bekommt. Die treffende Bemerkung eines Talkgastes, dass das Kind so lerne, bei jedem Wehwehchen eine Pille zu schlucken, ging leider unter.

Mutter Courage der Alternativmedizin

Plasbergs Sympathien galten fortan ziemlich unverhohlen der homöopathischen Ärztin Irene Schlingensiepen, die auf ihrer Internetseite von zwölf verschiedenen Ebenen des Bewusstseins ausgeht und bisher als Autorin des Buches "Die Quelle spricht" nicht weiter aufgefallen ist. Seit der legendären "Hart aber fair"-Sendung über die angebliche Wundersalbe Regividerm, die Neurodermitis heile, weiß man immerhin, dass Frank Plasberg bei Medizinthemen für Überraschungen gut ist.

Die homöopathische Fachkraft Schlingensiepen beeindruckte vor allem dadurch, dass sie auf jede Kritik erst einmal herzhaft lachte. Der Biologe und Journalist Christian Weymayr argumentierte zwar tapfer gegen diese gutgelaunte Mutter Courage der Alternativmedizin, warf ihr vor, sie betreibe Rosinenpickerei mit Studien und trete die Wissenschaft mit Füßen. Aber seine Einwürfe zogen nicht so richtig, da er meist mit verschränkten Armen rumsaß und ein wenig sauertöpfisch dreinblickte. Und das kommt in einer Talkshow leider immer schlecht rüber, egal was man sagt.

Frau Dr. Schlingensiepen redete dagegen munter drauflos und schilderte herzerwärmend den Fall ihres damals vierjährigen Sohnes, der an schwerem Asthma litt und angeblich nur mit homöopathischen Globuli gerettet werden konnte. Der Fall war vorbereitet, das Bild des blonden Jungen wurde eingeblendet, während sie redete.

Versackt in der Palavermühle

Die Krux an solchen Einzelfallschilderungen ist, dass sie zwar überzeugend klingen, es aber nicht sind: Wer weiß schon, was dem Jungen tatsächlich geholfen hat? Es geschieht nicht selten, dass Asthma bei Kindern spontan aufhört. Ebenfalls unklar ist, wie viele vierjährige asthmakranke Kinder womöglich sterben, weil ihre Eltern ihnen Globuli statt wirksamer Medikamente gaben.

Als Weymayr jedenfalls etwas dagegen sagen will und den Redefluss der Homöopathin unterbrach, blaffte Plasberg ihn an: Lassen Sie sie ausreden, "sonst haben Sie die Arschkarte". Weymayr presste die Arme noch enger um seine Brust, während Schlingensiepen die anderen Talkgäste mehrfach unterbrechen durfte, ohne sich einen derartigen Rüffel von Plasberg gefallenlassen zu müssen.

Die Geringschätzung drückte sich bei Plasberg auch darin aus, dass er Weymayr wiederum sofort unterbrach, als dieser darauf zu sprechen kommen wollte, dass es keinen Wirksamkeitsnachweis für homöopathische Globuli gibt. Plasberg ermahnte ihn: "Hier geht's darum, was Menschen wirklich hilft." Auch dieser Gedanke versackte absurderweise sofort in der Palavermühle. Dabei geht es in medizinischen Studien doch genau darum, anhand von zwei Patientengruppen zu zeigen, ob eine Therapie hilft oder nicht. Aber für solche Argumente war keine Zeit. Lieber noch ein Einspielfilmchen zeigen als einmal nachzudenken.

Humor als heilende Kraft

Der Humorist Eckart von Hirschhausen versuchte sich als Mittler zwischen den Positionen. Das ist im Umgang mit Homöopathen nicht leicht, schließlich hat Samuel Hahnemann, der Begründer der Heilslehre im 18. Jahrhundert, schon kategorisch klargestellt: Nur wer Homöopathie und Schulmedizin "nicht kennt, kann sich dem Wahn hingeben, dass sie sich je einander nähern könnten". Später erklärte Hahnemann: "Wer nicht genau in derselben Spur geht wie ich, wer abweicht und sei es nur um den Bruchteil nach links oder rechts, ist ein Verräter, und ich will nichts mehr mit ihm zu schaffen haben." Wie lässt sich mit solchen Fundamentalisten eine gemeinsame Linie finden?

Hirschhausen versuchte es dennoch, appellierte an den Humor als heilende Kraft. Und auch der erstaunlich vernünftige Ärztefunktionär Klaus Reinhardt (der ausnahmsweise nicht jedes Problem damit lösen wollte, Ärzten mehr Geld zu geben), erklärte, er habe nichts dagegen, wenn Patienten, bei denen er schulmedizinisch nichts mehr machen könne, sich ergänzend an einen Alternativmediziner wenden.

Schnell war sich die Runde einig, dass Ärzte zu wenig Zeit haben für ein längeres Gespräch mit Patienten und diese deshalb ihr Heil bei den Alternativlern suchen. Aber stimmt das wirklich? Viele medizinische Leitlinien lehren heute, dass Ärzte auch die psychosomatischen Gründe einer Krankheit berücksichtigen sollen. So gesehen ist das Problem womöglich nicht, dass Ärzte zu schulmedizinisch vorgehen. Sondern zu wenig.

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