
Krise im Unterhaltungs-TV?: Keine Innovation in Sicht
Illner-Talk zum Unterhaltungs-TV Made schlägt Murmeltier
"Greta Garbo ist schon mit 50 abgetreten!" Man wusste nicht genau, ob der ehemalige "Dschungelcamp"-Kandidat und ehemalige Großschauspieler Mathieu Carrière mit diesen Worten seinem Mitdiskutanten Thomas Gottschalk huldigen oder ob er ihn beleidigen wollte. Gottschalk, der letztes Jahr 60 geworden ist, nahm es erstmal als Kompliment. So wie er nach der Ankündigung seines Abgangs erst mal alles als Kompliment nahm.
Kaum hatte Gottschalk letztes Wochenende seinen Abschied bei "Wetten dass..? verkündet, waren ihm Liebeserklärungen von Seiten sonst eher kritischer Medien entgegen geschlagen: "Im Gegensatz zu Peter Alexander konnte ich die Nachrufe auf mich selbst lesen." Gottschalk, der Göttliche, kostete den neuen breiten Zuspruch nun also auch bei Maybrit Illner aus. Sein Auftritt in der Talkshow kam in den ersten 15 Minuten einer genüsslich zelebrierten Götterdämmerung gleich, für die er sonor, seufzend und bei aller Ironie reichlich selbstgefällig, die Zeitenwende im deutschen Fernsehen beklagte.
"Was ist gute Unterhaltung?" wollte Maybrit Illner von ihren Gästen wissen. Anlass waren die Umwälzungen auf den Hauptprogrammplätzen der großen deutschen Sender. Während die Quoten von "Wetten dass..?" im ZDF über die letzten Jahre leicht bröckelten, holte RTL mit drastisch angekurbelten Unterhaltungsformaten wie "Deutschland sucht den Superstar" oder "Ich bin ein Star - holt mich hier raus!" kräftig auf.
Gottschalk, der den folgenschweren Unfall des Wettkandidaten Samuel Koch als Anlass zum schon länger im Hinterköfpchen durchgespielten Ausstieg bei "Wetten dass..?" nahm, beklagte nun eine sich in allen Bereichen der deutschen Unterhaltung breitmachende "Casting-Kultur". Auch der verunglückte Kandidat habe daran geglaubt, er werde durch einen riskanten Auftritt bei "Wetten dass..?" eine professionelle Medienkarriere einleiten können. Sowas wolle er nicht fördern.
Das "Dschungelcamp" - komplex wie eine Mondlandung?
Gottschalks kulturkritisches Zerknirschtsein in allen Ehren - weshalb gelingt es ZDF und ARD nicht, dem verschärften Unterhaltungsprogramm der Privaten eine eigene verantwortungsvolle Alternative entgegen zu setzen? Die Hauptanklage gegen die großen gebührenfinanzierten Sender führte bei Illner ausgerechnet der "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, ein erklärter Fan des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, der im Dritten eine eigene Talkshow moderiert: "Warum ist bei den Öffentlich-rechtlichen in den letzten 20 Jahren kein innovatives Format entstanden?"
Interessant in dieser Hinsicht war da die Wortmeldung von Ute Biernat, die als Geschäftsführerin bei Grundy Light Entertainment unter anderem "Deutschland sucht den Superstar" für RTL produziert. "Wir casten im Jahr 200.000 Leute", erklärte sie - und der Rest der überwiegend öffentlich-rechtlich orientierten Gäste schnaufte anerkennend angesichts dieses Aufwands.
Das ist ja das Paradoxon, mit dem man umgehen muss, wenn man über "Deutschland sucht den Superstar" oder "Ich bin ein Star" spricht: Wir nennen es Trash, produziert werden diese Sendungen aber technisch und finanziell auf höchstem Niveau. "Dschungelcamp"-Teilnehmer Carrière verstieg sich am Donnerstag sogar zu der These: "Das ist so komplex wie eine Mondlandung."
Diese Ansicht muss man natürlich nicht teilen. Anerkennen aber muss man, dass RTL tatsächlich neue Erzählformen und neue Erzählgeschwindigkeiten ausprobiert: Während ein Format wie das "Dschungelcamp" unerwartete Entwicklungen parat hält und bei aller ausgestellten Inszeniertheit Raum für unkalkulierte Dynamiken lässt, wiederholte eine Show wie "Wetten dass..?" in den letzten Jahren mit den immer gleichen Großprominenten auf der Couch das gleiche Programm: Und monatlich grüßte das Murmeltier. Das hatte etwas Beruhigendes, zugleich aber auch etwas Einschläferndes.
High sein, frei sein, die Made muss dabei sein
Nun lautet die Frage eben: Murmeltier-Ödnis oder Känguru-Klöten? Für die zweite Option ist Mathieu Carrière ein perfekter Werbeträger. Der Schauspieler schrieb einst mit "Für eine Literatur des Krieges" einen in Fachkreisen heiß diskutierten Essay über Heinrich von Kleist, für ein paar tausend Euro Gage hat er aber auch schon sehr viel unappetitlichere Dinge getan, als Geschlechtsteile von Wildtieren zu essen. Bei Illner bestritt Carrière, ohne sich in den Vordergrund zu spielen mit einigen kurzen, klugen und selbstkritischen Sentenzen das Streitgespräch.
"Das Wesen von Humor besteht zur einen Hälfte aus Sadismus und zur anderen aus Sympathie", erklärte der Kenner der deutschen Klassik und der Intimkenner des deutschen Fernsehsumpfs zum Beispiel. Selbstüberwindung habe es zur Teilnahme am "Dschungelcamp" nicht gebraucht, wieso auch? "Das Camp war wie eine Ayurveda-Kur. Ich war wie berauscht." Und das eben ohne Alkohol, Zigaretten oder andere Substanzen. High sein, frei sein, nur die Made muss dabei sein.
Als man also den kulturhistorisch beschlagenen und extrem unterhaltsamen Ausführungen Carrières lauschte, stellte sich die Frage: Weshalb muss der eigentlich ins "Dschungelcamp", während bei Gottschalk so oft rhetorisch unterbemittelte Promis auf der Couch sitzen?
Wie alarmierend die Unterhaltungskrise beim ZDF ist, zeigte sich am Donnerstag am deutlichsten in der Tatsache, dass die erhellendsten Wortbeiträge des öffentlich-rechtlichen Talks ausgerechnet von einer Person stammen, die gerade bei RTL abgeräumt hat. Das ist durchaus symptomatisch für bestimmte Segmente das deutschen Fernsehens: Die Privaten setzen souverän die Akzente, die Öffentlich-rechtlichen hecheln hinterher.