
Integrationsdebatte Was guckst du, Thilo?
Dieser Türke kann alles: Er schnippelt Döner in der Imbissbude so versiert wie er in der Managementetage eines Luftfahrtkonzerns die aktuellen Bilanzen kommentiert, er spricht den Slang der Straße genauso souverän wie das gediegene Hamburgisch der hanseatischen Honoratiorenschaft. Das liegt an seinem Job: Cenk Batu ist Undercover-Cop, er muss unterschiedlichste Codes und Rollenklischees beherrschen.
Wahrscheinlich haben das die Verantwortlichen des 2007 renovierten Hamburger "Tatorts" gar nicht so bewusst konzipiert, aber der von dem Schauspieler Mehmet Kurtulus so großartig ausgefüllte Ermittler-Part liefert in der momentan tobenden Integrationsdebatte die wichtigen Bilder: Versteht es Kurtulus' Batu einerseits, den Mustermigranten mit Hochschulabschluss zu verkörpern, kann er andererseits auch den bösen Bomberjackenträger mimen.
Assimiliert bis zur Unkenntlichkeit oder gefangen im Kebab-Parallelkosmos - im Spiel durchläuft Kurtulus' Ermittler souverän sämtliche gesellschaftliche Zonen. Und doch bleibt der Türke ein großes Enigma; wer er wirklich ist, wird dem Zuschauer hier nicht auf dem Tablett serviert. Der Mann lässt Fragen offen, deshalb schaut man gierig jede "Tatort"-Folge, in der er mitspielt. Cenk Batu ist eine tolle Rolle.
Und es ist leider fast die einzige tolle Rolle im deutschen Fernsehen für einen Schauspieler türkischer Herkunft.
Ende der Neunziger hat ein junger Hamburger Gelegenheitskomparse namens Fatih Akin mit dem Regieführen angefangen, weil er keine Lust hatte, für das Fernsehen den immer gleichen Gemüsehändlersohn oder den immer gleichen Kleinganoven zu geben. Es entstanden eine Reihe meisterhafter multiethnischer Dramen, unter anderem der Kiezschocker "Kurz und schmerzlos", in dem Kurtulus seinen ersten großen Auftritt hatte.
Kein Ehrenmord? Kein Geld
Allzu nachhaltige Auswirkungen aufs deutsche Fernsehen hat das Wirken des vielfach international ausgezeichneten Akin trotzdem nicht. Klar, im TV wimmelt es von türkisch- und arabischstämmigen Schauspielern, ihre Spielmöglichkeiten aber sind arg beschränkt. Zwischen Kriminellem und Clown, zwischen Kopftuchmädchen und Kanak-Trulla, zwischen Selbstmordattentäter und Lachbombe gibt es so gut wie keine Figuren für sie. Fast könnte man annehmen, Thilo Sarrazin habe die Thesen zu seinem aktuell diskutierten Buch nach einem Blick in die deutsche Fernsehwirklichkeit zusammengezimmert.
Ein normales Beziehungsdrama mit türkischen Charakteren? Eine Daily-Soap mit marokkanischstämmiger Heldin? Eine Lehrerserie, in der Mehmet oder Aishe mal nicht die Problemfälle stellen? Alles nahezu undenkbar.
Die Unbeweglichkeit des deutschen Medienbetriebs hat auch mit der Förder- und Produktionslandschaft zu tun: Man gibt zwar bereitwillig Geld, wenn es um Ehrenmord- oder Gewaltthemen geht - aber versuchen Sie mal Rollen mit türkischen Namen durch eine Drehbuchprüfung zu bringen, ohne den betreffenden Figuren dafür ein gesellschaftspolitisches Problem anzuhängen!
So bleiben türkischstämmigen Künstlern meist nur die Genres Krimi und Comedy. Und um nicht falsch verstanden zu werden: Hier lässt man die Darsteller durchaus zu Hochform auflaufen. Die "Tatorte" um die Themen Ehrenmord etwa waren tatsächlich überwiegend komplex gebaut und allesamt hervorragend gespielt. Und TV-Sozio-Thriller wie "Wut" oder "Zivilcourage", in denen Stenze aus dem islamischem Kulturkreis auf deutsche Bildungsbürger einschlugen, taugten bei aller zweifelhaften Vereinfachung immerhin noch als Debattenbeiträge.
Kopftuchmädchen und Komödiensidekicks
Im Comedybereich gibt es zudem schöne Beispiele dafür, wie man klug mit kulturellen Stereotypen umgehen kann, wie man sie lustvoll wie Seifenblasen aufblasen kann - um sie dann zum Platzen zu bringen. Man nehme nur die drei Staffeln der Vorabendserie "Türkisch für Anfänger". Doch was ist aus deren hervorragenden Jungdarstellern geworden? Elyas M'Barek musste in "Zeiten ändern dich" gerade den jungen Problemmigranten Bushido verkörpern, und die phantastische, in Teheran geborene Pegah Ferydoni darf hierzulande lediglich Kopftuchmädchen und Komödiensidekicks mimen.
Einer, der es geschafft hat, sich aus dem üblichen Rollenprofil für Migranten herauszuspielen, ist ausgerechnet Hilmi Sözer: Der 40-Jährige hat in fast 20 Jahren wirklich alles gemacht - und das meiste ziemlich gut: grobe Kanak-Comedy ("Voll normaaal") ebenso wie feinsinnige türkische Schwulendramen ("Die Auslandstournee"), die üblichen Problemkrimis ("Tatort: Wem Ehre gebührt") ebenso wie großes Arthouse-Kino vor ostdeutscher Kulisse ("Jerichow").
So tief in die (ja tatsächlich vorhandene) Variabilität des deutschen Film- und Fernsehkosmos dringen sonst wenige Schauspieler mit Migrationshintergrund vor - und paradoxerweise am wenigsten jene, die für ihre Leistungen mit Preisen überhäuft werden. Man nehme nur Sibel Kekilli: Vor sechs Jahren spielte sie in Fatih Akins "Gegen die Wand" eine junge Türkin, die gegen ihr Elternhaus aufbegehrt und wurde dafür mit dem Deutschen Filmpreis geehrt, letztes Jahr spielte sie in Feo Aladags "Die Fremde" ebenfalls eine junge Türkin, die gegen ihr Elternhaus aufbegehrt und bekam dafür ebenfalls den Deutschen Filmpreis. Die fünf Jahre dazwischen aber verbrachte sie auf dem Arbeitsamt oder bei Drehs im Ausland.
Einer der wenigen, der sich an den "Ihr kommt hier nicht rein"-Bouncern des deutschen Mainstreamfernsehens vorbeigeschmuggelt hat, ist der in Istanbul geborene Erol Sander. Der gibt in einschlägigen Hochglanzreihen wie "Alpenklinik" oder "Traumhotel" aber auch nur ein etwas exotischeres Update des schönen Südländers. Egal, ob indischer Prinz oder persischer Fürst - Sander übernimmt so ziemlich jeden Part, der einen dunkleren Teint und glutvolle dunkle Augen erfordert. Nur Türken spielt er selten.
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