Umstrittenes Schmähgedicht Böhmermann und Erdogan streiten erneut vor Gericht

Seit knapp zwei Jahren liegt der TV-Satiriker Jan Böhmermann mit dem türkischen Präsidenten im Clinch. Jetzt gibt es eine Fortsetzung vor dem Oberlandesgericht Hamburg. Worum es geht.
Jan Böhmermann (l.) und Recep Tayyip Erdogan

Jan Böhmermann (l.) und Recep Tayyip Erdogan

Foto: ZDF/ Ben Knabe; DPA

Eines steht bereits fest: Am Dienstag wollen weder TV-Satiriker Jan Böhmermann noch der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nach Hamburg reisen. Wenn es vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht um ihren Streit geht, der im Frühjahr 2016 eine diplomatische Krise auslöste, werden sich beide von ihren Anwälten vertreten lassen.

Böhmermann trug damals in seiner Sendung ein Gedicht vor, das Erdogan als zutiefst beleidigend empfindet. Der Staatsmann, der im eigenen Land missliebige Kritiker ins Gefängnis werfen lässt, will Böhmermann das Gedicht komplett verbieten lassen.

Das Landgericht Hamburg fällte im vorigen Jahr ein salomonisches Urteil, das beide Seiten nicht hinnehmen wollen. Nun muss die nächste Instanz entscheiden. Die Fakten.

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dbate

Was war der Anlass für die Affäre Böhmermann?

In der Sendung "Neo Magazin Royale", die am 31. März 2016 im Sender ZDFneo lief, trug Böhmermann das Gedicht vor, das er "Schmähkritik" nannte. Es war eingebettet in eine Moderation, die Bezug nahm auf den satirischen Song "Erdowie, Erdowo, Erdogan". Der Song war zwei Wochen zuvor in der NDR-Sendung "Extra 3" gelaufen. Die Türkei bestellte daraufhin den deutschen Botschafter ein.

Böhmermann betonte, der NDR-Beitrag sei durch die Kunst- und Meinungsfreiheit gedeckt. "Das darf man hier." Anders sei es bei einer herabwürdigenden Schmähkritik. "Vielleicht erklären wir das an einem praktischen Beispiel", so Böhmermann. Dann hob er zum Vortrag an - mit dem Hinweis: "Was jetzt kommt, darf man nicht machen."

Wie reagierte der türkische Präsident?

Erdogan erstattete Strafanzeige wegen Beleidigung und zog den damals gültigen Paragrafen 103 des Strafgesetzbuches. Darin ging es speziell um die Beleidigung ausländischer Staatschefs. Parallel strengte Erdogan ein Zivilverfahren an, um Böhmermann per Unterlassung das Gedicht zu verbieten.

Das Strafverfahren stellte die Staatsanwaltschaft ein. Ein Vorsatz sei Böhmermann nicht zu beweisen. Und ohne Vorsatz keine Straftat. Inzwischen ist der Vorgang verjährt. Vor dem Landgericht Hamburg erzielte der türkische Präsident unterdessen einen Teilerfolg: Vor einem Jahr verbot es Böhmermann den Vortrag von 18 der 24 Zeilen.

Das Gedicht sei eine Satire, gehe aber überwiegend zu weit, es verletze Erdogans Persönlichkeitsrechte in einem Kernbereich. Die Richter prüften jede Zeile auf einen Sachbezug. Sie wollten klären, ob es für die satirisch verzerrte Darstellung Tatsachen als Basis gab. Die Zeile: "Er ist der Mann, der Mädchen schlägt" etwa blieb erlaubt - wegen Berichten über Gewalt gegen Frauen in der Türkei.

Wie reagierte die Bundesregierung?

Bundeskanzlerin Angela Merkel erteilte die nötige Erlaubnis, das Strafverfahren wegen Majestätsbeleidigung (Paragraf 103) zu eröffnen. Laut Bundesregierung eine Formalie.

In einem Telefonat mit dem damaligen türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davotoglu sagte Merkel, bei dem Gedicht handele es sich "um einen bewusst verletzenden Text". Noch im April 2016 bedauerte sie ihre Worte. Dadurch sei der Eindruck entstanden, ihre persönliche Wertung zähle juristisch etwas. "Das war im Rückblick betrachtet ein Fehler."

Der Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs wurde in Folge der Affäre abgeschafft. Er galt vielen Politikern bereits zuvor als veraltet. Merkel unterstützte die Abschaffung.

Wie reagierte das ZDF?

Das ZDF erwirkte die Löschung von Clips mit dem Gedicht von Videokanälen wie YouTube. In der Mediathek des Senders war die Folge nur ohne Gedicht abrufbar. ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler betonte, man habe zwar bei "Satireformaten breite Schultern", es gebe aber auch "Grenzen der Ironie und der Satire. In diesem Fall wurden sie klar überschritten."

Warum liegt der Fall noch immer bei Gericht?

Böhmermann will sich nicht damit abfinden, dass ihm drei Viertel des Gedichts verboten wurden. Er ging in Berufung. Das Gedicht sei eine "künstlerische Einheit", aus der man nicht Teile herauslösen könne. Sein Anwalt, der bekannte Medienrechtler Christian Schertz, betonte in einem Schriftsatz: Das Gedicht habe nicht das Ziel, Erdogan "in seiner persönlichen Würde zu verletzen". Es habe einen ernsthaften Aussagekern, man müsse es auch vor dem Hintergrund der politischen Lage in der Türkei sehen. Dort werde die Meinungsfreiheit von Erdogan "repressiv unterdrückt".

Erdogan legte über seinen Kölner Anwalt Mustafa Kaplan Anschlussberufung ein. Das Werk sei eine "Hassrede", ein "islamfeindlicher Text", so Kaplan. Das Stück verletze nicht nur Erdogan in seiner Würde, sondern das gesamte türkische Volk. Es befördere rassistische Vorurteile gegen Türken.

Zugleich betonte der Anwalt, Böhmermann sei verantwortlich für die Länge des Verfahrens. Hätte der TV-Mann das Urteil des Landgerichts akzeptiert, "wäre es rechtskräftig geworden", so Kaplan. Böhmermann gehe es offenbar darum, in der Öffentlichkeit im Gespräch zu bleiben. Dessen Anwalt Christian Schertz ließ eine Anfrage zu diesem Vorwurf unbeantwortet.

Im Video: Freispruch für Böhmermann - Ja oder Nein?

dbate

Was muss das Hanseatische Oberlandesgericht jetzt entscheiden?

Der VII. Zivilsenat unter dem Vorsitz von Richter Andreas Buske muss die bekannten Streitfragen neu beantworten. Ist das Gedicht eine Satire (Böhmermann)? Oder eine Beleidigungsorgie (Erdogan)? Wiegt das Persönlichkeitsrecht höher als die Kunst- und Meinungsfreiheit? Kann das Urteil des Landgerichts Bestand haben? Oder muss es am Ende heißen: ganz oder gar nicht?

Wie lange der Rechtsstreit noch dauert, ist nicht absehbar. Gegen ein Urteil des OLG, das am Dienstag vorerst nicht zu erwarten ist, könnten beide Parteien womöglich in Revision gehen - beim Bundesgerichtshof.

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Zur Dokumentation hier das Protokoll der kompletten Passage aus der "Neo Magazin Royale"-Sendung vom 31. März 16:

Jan Böhmermann: Willkommen in Deutschlands Quatschsendung Nummer eins! Wir sinds. Wir haben mit Satire nichts am Hut.

Sidekick Ralf Kabelka: Genau!

Böhmermann: Was die Kollegen in Hamburg bei "Extra 3" da gemacht haben, diese dicken Bretter, die können wir hier, sind wir nicht imstande zu bohren.

Kabelka: Schaffen wir nicht!

Böhmermann: Und ich sage: Hut ab! Große Nummer!

Kabelka: Das ist eine ganz andere Liga. Auch die "heute-show", wie gut die ist!

Böhmermann: Die "heute-show", die finde ich richtig gut. Wenn ich in der Vergangenheit gerüchteweise gehört habe, dass wir hier scharf auf den Sendeplatz sind von der "heute-show", oder auf irgendwas, das Oli Welke gehört: Das würde ich niemals sagen, das stimmt nicht, auf gar keinen Fall. Oli! (Kusshand) Liebe Grüße! Riesenfan! Schau ich jede Woche, um mich inspirieren zu lassen.

Und Satire: "Extra 3" hat diese Woche fast den dritten Weltkrieg ausgelöst - dafür erst mal einen großen Applaus! Ja! Mit 'ner Supernummer. Und das muss man vielleicht mal ... Offensichtlich schaut man in der Türkei jede noch so kleine Satire- oder Quatschsendung, also wahrscheinlich auch diese. Vielleicht, liebe Türken, wenn Sie das jetzt - (Sirenengeräusch) - wenn Sie das jetzt sehen: Vielleicht muss man da ganz kurz was erklären: Was die Kollegen von "Extra 3" da gemacht haben, also inhaltlich humorvoll mit dem umgegangen sind, was Sie da quasi politisch unten tun, Herr Erdogan - das ist in Deutschland, in Europa gedeckt von der Kunstfreiheit, von der Pressefreiheit, von der Meinungsfreiheit...

Kabelka: Artikel 5!

Böhmermann: Was?

Kabelka: Artikel 5, Grundgesetz.

Böhmermann: Artikel 5 unseres Grundgesetzes, unserer tollen Verfassung: Das darf man hier. Da können Sie nicht einfach sagen, die Bundesregierung soll die Satire zurückziehen oder das muss irgendwie gelöscht werden aus dem Internet. In Deutschland ist so was erlaubt, und ich finde es ganz toll, wie in dieser Woche die Zivilgesellschaft aufgestanden ist - von Beatrix von Storch, die noch vor zwei Wochen mich erschießen lassen wollte, glaube ich, wegen dieses komischen Songs, den wir gemacht haben. Und jetzt ist sie auf einmal ganz vorne dabei, wenn es um Pressefreiheit und Kunstfreiheit geht. Alle Leute waren auf einmal auf einer Linie: Das muss zugelassen werden! Je suis "Extra 3".

Kabelka: Sehr gut.

Böhmermann: Herr Erdogan, es gibt Fälle, wo man auch in Deutschland, in Mitteleuropa Sachen macht, die nicht erlaubt sind. Also: Es gibt Kunstfreiheit - Satire und Kunst und Spaß - das ist erlaubt. Und es gibt das andere, wie heißt es?

Kabelka: Schmähkritik.

Böhmermann: Schmähkritik. Das ist ein juristischer Ausdruck, also: Was ist Schmähkritik?

Kabelka: Wenn du Leute diffamierst. Wenn du einfach nur so untenrum argumentierst, ne? Wenn du die beschimpfst und wirklich nur bei privaten Sachen, die die ausmachen, herabsetzt.

Böhmermann: Herabwürdigen. Und das ist in Deutschland auch nicht erlaubt?

Kabelka: Das ist Schmähkritik, ja.

Böhmermann: Haben Sie das verstanden, Herr Erdogan?

Kabelka: Das kann bestraft werden.

Böhmermann: Das kann bestraft werden? Und dann können auch Sachen gelöscht werden - aber erst hinterher, nicht vorher?

Kabelka: Erst hinterher.

Böhmermann: Das ist vielleicht ein bisschen kompliziert - vielleicht erklären wir es an einem praktischen Beispiel mal ganz kurz. Ich hab ein Gedicht, das heißt "Schmähkritik". Können wir vielleicht dazu eine türkisch angehauchte Version von einem Nena-Song haben? Und können wir vielleicht ganz kurz nur die türkische Flagge im Hintergrund bei mir? Sehr gut.

Also, das Gedicht. Das, was jetzt kommt, das darf man nicht machen?

Kabelka: Darf man NICHT machen.

Böhmermann: Wenn das öffentlich aufgeführt wird, das würde in Deutschland verboten.

Kabelka: Bin der Auffassung: das nicht.

Böhmermann: Okay. Das Gedicht heißt "Schmähkritik".

Sackdoof, feige und verklemmt, ist Erdogan, der Präsident. Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner, selbst ein Schweinefurz riecht schöner. Er ist der Mann, der Mädchen schlägt und dabei Gummimasken trägt. Am liebsten mag er Ziegen ficken und Minderheiten unterdrücken,

Böhmermann: Das wäre jetzt quasi 'ne Sache, die...

Kabelka: Nee!

Kurden treten, Christen hauen und dabei Kinderpornos schauen. Und selbst abends heißts statt schlafen, Fellatio mit hundert Schafen. Ja, Erdogan ist voll und ganz, ein Präsident mit kleinem Schwanz.

Böhmermann: (lacht über eine Keyboard-Arabeske der Band) Wie gesagt, das ist 'ne Sache, da muss man...

Kabelka: Das darf man NICHT machen.

Böhmermann: Das darf man nicht machen.

Kabelka: Nicht "Präsident" sagen.

Jeden Türken hört man flöten, die dumme Sau hat Schrumpelklöten. Von Ankara bis Istanbul weiß jeder, dieser Mann ist schwul, pervers, verlaust und zoophil - Recep Fritzl Priklopil. Sein Kopf so leer wie seine Eier, der Star auf jeder Gangbang-Feier. Bis der Schwanz beim Pinkeln brennt, das ist Recep Erdogan, der türkische Präsident.

Böhmermann: Also, das dürfte man in Deutschland...

Kabelka: Unter aller Kajüte!

Publikum applaudiert

Böhmermann: Ganz kurz. Hey! Hey! Hey!

Kabelka (wütend): Nicht klatschen!

Böhmermann: Dankeschön. Also, das ist jetzt 'ne Geschichte, was könnte da jetzt passieren?

Kabelka: Unter Umständen nimmt man es aus der Mediathek! Das kann jetzt rausgeschnitten werden.

Böhmermann: Also, wenn die Türkei oder ihr Präsident da was dagegen hätte, müsste er sich erst mal 'nen Anwalt suchen.

Kabelka: Ja, genau.

Böhmermann (blickt in die Kamera): Ich kann Ihnen sehr empfehlen unseren Scherzanwalt, Dr. Christian Witz in Berlin.

Kabelka: Der berät auch den Berliner Bürgermeister.

Böhmermann: Der berät auch den Berliner Bürgermeister, unser Scherzanwalt Dr. Christian Witz?

Kabelka: Der macht einfach alles.

Böhmermann: Darf der das denn eigentlich?

Kabelka: Der macht Atze, Pocher und den Berliner Bürgermeister

Böhmermann: Unser Scherzanwalt Dr. Christian Witz! Nehmen Sie sich 'nen Anwalt, sagen Sie, Sie haben da was im Fernsehen gesehen, was Ihnen nicht gefällt - Schmähkritik - und dann geht man erst mal vor ein Amtsgericht. Einstweilige Verfügung, Unterlassungserklärung. Dann wird wahrscheinlich die Sendung, die das gemacht hat oder der Sender wird dann sagen: Nö, das sehen wir anders, und dann geht man die Instanzen hoch, und irgendwann in drei, vier Jahren... Wichtig ist: Sie müssen dafür sorgen, dass es nicht im Internet landet. Ganz wichtig, dass die Ausschnitte nicht...

Kabelka: Aber das macht doch keiner!

Böhmermann: Das macht keiner, kann ich mir auch nicht vorstellen.

Kabelka: Man hats in der Mediathek, normalerweise.

Böhmermann: Warum soll mans dann ins Netz stellen? Ist es jetzt klar?

Kabelka: Ich glaub schon.

Böhmermann: Ich finde es ganz wichtig.

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