Erdogan-Anwalt Mustafa Kaplan "Böhmermann beleidigt das ganze türkische Volk"

Das Schmähgedicht von Jan Böhmermann auf den türkischen Präsidenten ist zum Teil verboten. Dagegen hat nach dem TV-Star nun auch Erdogan Berufung eingelegt. Sein Anwalt erklärt, warum er "100 Prozent" will.
Türkischer Präsident Erdogan

Türkischer Präsident Erdogan

Foto: OZAN KOSE/ AFP

Im März 2016 trug der Satiriker Jan Böhmermann in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" ein Gedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor, das eine Kontroverse auslöste. Erdogan fühlte sich beleidigt und zeigte Böhmermann wegen Beleidigung an. Außerdem verklagte er den Comedian auf Unterlassung.

Die Staatsanwaltschaft Mainz stellte das Strafverfahren ein. Im Zivilprozess vor dem Landgericht Hamburg erzielte Erdogan einen Teilerfolg: Das Gericht verbot im Februar 18 von 24 Zeilen, weil sie das Staatsoberhaupt schwer in seinem Persönlichkeitsrecht verletzen würden.

Mustafa Kaplan

Mustafa Kaplan

Foto: privat

Böhmermann ging vor dem Oberlandesgericht Hamburg in Berufung. Nun reagiert Erdogan. Er reichte über seinen Kölner Anwalt Mustafa Kaplan Anschlussberufung ein, um auch die letzten sechs Zeilen zu verbieten. Im Interview erklärt der 49-Jährige, der das Mandat im Mai übernahm, den Schritt.

SPIEGEL ONLINE: Das Landgericht Hamburg hat die meisten Teile des Böhmermann-Gedichts verboten. Warum gehen Sie noch in Berufung?

Kaplan: Böhmermann sagt selbst, es sei unzulässig, das Gedicht in erlaubte und nicht erlaubte Passagen zu zerstückeln. Deshalb hat er sofort Berufung eingelegt. Gut möglich, dass das Oberlandesgericht der Argumentation folgt. Wenn sich uns jetzt die Chance bietet, das Gedicht komplett zu verbieten, wollen wir es versuchen. Es gibt auch in den erlaubten Passagen schwere Beleidigungen.

SPIEGEL ONLINE: Was meinen Sie?

Kaplan: Es heißt zum Beispiel, Erdogan trage Gummimasken und schlage Mädchen. Das ist ein perverser Vorgang, der mit der Realität nichts zu tun hat. Ich halte diesen Passus nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Er ist Teil der Beleidigungsorgie, die das Gedicht darstellt.

SPIEGEL ONLINE: Es heißt auch, Erdogan verfolge Kurden und Christen. Warum soll man das nicht sagen dürfen?

Kaplan: Mein Mandant würde der Behauptung widersprechen. Aber darauf kommt es nicht an. Wenn es darum geht, das Gedicht als Ganzes zu erlauben oder zu verbieten, dann wollen wir es als Ganzes verbieten. Weil es die Menschenwürde verletzt.

SPIEGEL ONLINE: Warum haben Sie nicht sofort Berufung eingelegt, sondern reagieren erst auf Böhmermanns Antrag?

Kaplan: Ich habe Herrn Erdogan noch nicht vertreten, als das Urteil fiel. Herr Böhmermann wollte das Urteil nicht hinnehmen, deshalb reagieren wir. Wenn Herr Böhmermann den Rechtsstreit in die Länge zieht, dann wollen wir auch 100 Prozent.

SPIEGEL ONLINE: Herr Böhmermann betont, bei dem Gedicht handele es sich um Satire, die von der Kunstfreiheit gedeckt sein müsse. Warum kann ihr Mandant damit nicht leben?

Kaplan: Manche deutschen Politiker haben schon bei viel weniger gravierenden Streitpunkten rechtliche Schritte eingeleitet. Denken Sie an den früheren Kanzler Schröder, als es um seine Haarfarbe ging. Oder denken Sie an Verteidigungsministerin von der Leyen, die jetzt einen Offizier verklagt, der angeblich zum Putsch aufgerufen hat. Auch Satire darf nicht alles. Herr Böhmermann nutzt Kunst als Vehikel, um meinen Mandanten auf das Schlimmste zu beleidigen. Und nicht nur ihn. Böhmermann beleidigt das ganze türkische Volk.

SPIEGEL ONLINE: Wie kommen Sie darauf?

Kaplan: Es gab bei dem Beitrag türkische Untertitel, alle Türken sollten das mitbekommen. Man kennt diese Angriffe aus rechtsextremen Kreisen. Da geht es immer darum, dass Türken Sex mit Tieren haben. Böhmermann spricht von Ziegenficken, von Schweinefürzen, obwohl er weiß, dass Türken kein Schwein essen. Das ist Rassismus.

Jan Böhmermann bei Schmähgedicht-Vortrag

Jan Böhmermann bei Schmähgedicht-Vortrag

Foto: ZDFneo

SPIEGEL ONLINE: Die Staatsanwaltschaft hat das Strafverfahren wegen Beleidigung gegen Böhmermann eingestellt. Er selbst sagt, er habe Erdogan nie persönlich diffamieren wollen. Wie passt das zu Ihren Vorwürfen?

Kaplan: Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren eingestellt, weil sie glaubte, Böhmermann habe nicht vorgehabt, Erdogan zu beleidigen. Das aber wäre Voraussetzung für eine Strafbarkeit. Ob das Gedicht eine Beleidigung darstellt, darüber haben die Ermittler nicht befunden. Ich bin fest davon überzeugt, dass Böhmermann mit Vorsatz gehandelt hat. Nach Einstellung des Verfahrens hat er zum Gedicht öffentlich gesagt: "Das sind Ziele meiner Arbeit. Dinge kaputttreten, die eigentlich nur kaputtzutreten sind." Das ist doch eindeutig. Jetzt ist der Fall verjährt.

SPIEGEL ONLINE: Warum sagen Sie, das Gedicht habe rassistische Passagen?

Kaplan: Wenn die NPD oder die AfD solch ein Gedicht veröffentlichen, sagt jeder: Das sind Nazis. Wird das Böhmermann-Gedicht erlaubt, kann sich künftig jeder darauf berufen und sagen: "Mein Gedicht ist Satire. Türken ficken Ziegen. Da gibt es eine Metaebene." Wollen wir das?

SPIEGEL ONLINE: Was geschähe mit Herrn Böhmermann, wenn er sein Gedicht in der Türkei vorgetragen hätte?

Kaplan: Das ist eine hypothetische Frage. Ich bin damit beauftragt, mich mit dem juristischen Fall in Deutschland zu beschäftigen. Weitergehend ist mein Auftrag nicht.

SPIEGEL ONLINE: Warum haben Sie das Mandat übernommen?

Kaplan: Ich habe als Rechtsanwalt einen Eid geleistet, die verfassungsmäßige Ordnung zu schützen. Und hier geht es um einen Verstoß gegen Grundrechte, gegen den wichtigen Artikel 1: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Dagegen verstößt das Gedicht. Herrn Erdogan wird schweres Unrecht getan. Außerdem habe ich ein privates Motiv: Herr Böhmermann hat den Kölner Nationalspieler Lukas Podolski mehrfach auf das Übelste beleidigt . Da bin ich als Fan immer noch sauer.

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