
Talkdebüt in der ARD: Es wird besser (und schlechter) werden
Jauch in der ARD Klinsmann, erklär uns den Ami!
Manche würden sich vielleicht wundern, hatte Günther Jauch am Anfang gesagt, den früheren Fußball-Nationaltrainer in der Runde zum 9/11-Jubiläum zu sehen. Dabei war das Erstaunen vor der Sendung nicht halb so groß wie danach. Die Redaktion hatte ihm, der seit 13 Jahren in den USA lebt und mit einer Amerikanerin verheiratet ist, tatsächlich die Rolle eines Ethnologen zugedacht. Ein ums andere Mal bat ihn Jauch, uns die Amerikaner zu erklären. Und Klinsmann verlor sich munter in ausschweifenden Erklärungen, wie er denn so ist, "der Amerikaner", und warum er so ist.
Er beschrieb "den Amerikaner" als jemanden, der entweder arbeitet oder sein Haus repariert, der nach vorne schaut und nicht nach hinten, der sich dauernd sorgen muss, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, und der exakt so oberflächlich ist, wie es dem Klischee entspricht, aber das aus gutem Grund: "Sein Land ist so groß, die Themen sind so vielfältig - es ist schwer."
Als Elke Heidenreich forderte, man müsse auch sehen, was zu den Angriffen des 11. September 2001 geführt habe, fragte Jauch Klinsmann, ob "ein Amerikaner" das überhaupt verstehen könne. Und Klinsmann war sehr skeptisch, was die Möglichkeit "des Amerikaners" angeht. Das liege nicht zuletzt an seinem Medienkonsum. Bloß "in der Küche, am Fernseher, im Vorbeigehen" würden die Informationen aufgenommen, und das sei "nie so tiefgründig, wie es eigentlich sein müsste".
Wie er das sagte: "Viele Amerikaner können diese Zusammenhänge auch gar nicht nachempfinden - Irak, Afghanistan, die Lager, all diese Themen" -, da schien es für einen Moment so, als wäre ausgerechnet dieses deutsche Plauderritual der intellektuelle Gegenentwurf zu jener Fernseh-Oberflächlichkeit und gefährlichen Komplexitätsreduktion. Aber natürlich bemerkte niemand die Selbstironie. Der Riss in der Fassade, durch den sich das Fernsehen seiner selbst hätte bewusst werden können, schloss sich sofort wieder.
Talk im Raumschiff
Der alte Gasometer in Berlin-Schöneberg, der als Studio und Kulisse der Nachfolgesendung von "Sabine Christiansen" und "Anne Will" dient, wirkt wie ein gewaltiger Industriepalast, in dem ein orangefarbenes Plastikraumschiff mit Kuppeldach gelandet ist. Die Patina des Orts, die ein bisschen dick aufgetragen wirkt, wird Teil des Designs und der Inszenierung. Auf die rauen Wände lassen sich Filme projizieren, was immerhin zum Auftakt der Sendung, als wieder einmal das Flugzeug in das World Trade Center flog, einen interessanten Verfremdungseffekt erzielte.
Der Gasometer ist die ganz große Bühne, die die Bedeutung dieser Sendung unterstreichen soll - dagegen können all die Plasbergs, Wills und Maischbergers mit ihren Wohnzimmersimulationen und Gesprächsgruppen einpacken. Dafür nimmt sich die Regie von Volker Weicker angenehm zurück: Es gibt keine rasanten Kameraläufe um die Diskussionsteilnehmer, kaum Schnitte ins Publikum, viel Konzentration auf die Gesichter der Redenden.
Das liegt natürlich auch am Thema der ersten Sendung. Zum Jahrestag des 11. September 2001 waren alle Beteiligten entschlossen, eine besonders gediegene Gesprächsrunde zu veranstalten. Das Thema trug dazu bei, den im wahrsten Sinne des Wortes staatstragenden Charakter dieses Sendeplatzes zu betonen, aber es war auch eine Last. Anstatt das Thema der kommenden Woche zu setzen, kam Jauch zum Abschluss einer mehrwöchigen Gedenkveranstaltung mit ihrer unvermeidlichen Flut von Bildern, Beiträgen und Berichten.
Ein journalistischer Höhepunkt war es sicher nicht. Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, versuchte zu erklären, warum die Deutschen die falschen Konsequenzen aus der Erfahrung des Holocaust gezogen hätten - und das Publikum applaudierte ausgerechnet seinem Beispiel für die falsche Haltung. Der Kriegsgegner Jürgen Todenhöfer erinnerte an die toten und verstümmelten afghanischen Opfer, (die in der Rechnung der "Günther Jauch"-Redaktion über die "Kosten" des Einsatzes gar nicht auftauchten). Peter Struck trat als Ex-Verteidigungsminister in eigener Sache auf und bestand auf dem Wortlaut, "die Sicherheit" Deutschlands werde am Hindukusch verteidigt - nicht die "Freiheit". Und Elke Heidenreich war in ihrer Ablehnung des Kriegs ganz Gefühl.
Die Betroffenen reden mit
Aus "Stern TV" hat Jauch die Unsitte mitgebracht, Betroffene erst in einem Film zu Wort kommen zu lassen und sie unmittelbar danach im direkten Gespräch noch einmal zu denselben Themen zu befragen. Die Redundanzen kosten Zeit, in der sich ein Thema sonst vertiefen oder erweitern ließe, aber diese Dopplung scheint sich positiv auf die Quote auszuwirken - vielleicht weil sie im Sinne der Leute sind, die gerade nur im Vorbeigehen in der Küche gucken.
Die Geschichte von Marcy Borders, die im 81. Stock war, als das erste Flugzeug den Tower traf, und deren Foto, wie sie staubbedeckt hinterher durch die Straßen taumelt, um die Welt ging, diese Geschichte, die fast zehn Jahre lang eine von Elend, Verzweiflung, Selbstaufgabe und Drogensucht ist, blieb für den Zuschauer vage. Das Menschliche, das Jauchs Gespräche bei "Stern TV" dominierte, sollte hier Klammer um den politischen Kern sein: Am Ende der Sendung kam die Mutter eines in Afghanistan getöteten Soldaten in die Runde. Ihr unfassbarer Wille, verstehen zu wollen und sich nicht von der Trauer taub machen zu lassen, war beeindruckend. "Da muss man sicherlich auch trennen zwischen einer privaten Person und einer politischen Aufgabe", sagte sie. Es war die Differenzierung einer Mutter, der die Politiker erklären, dass der Tod ihres Sohnes nicht sinnlos gewesen sei.
Nach der Sendung sagte Jauch zu den versammelten Mitarbeitern und in Klassenstärke angereisten ARD-Hierarchen: "Ich kann Ihnen versprechen, dass wir noch deutlich bessere Sendungen machen können, aber auch schlechtere machen werden." Ein echter Test für ihn war die Premierensendung - trotz des grotesken Drucks - sicher nicht. Wie Jauch Jahresrückblicke moderiert, wusste man schließlich vorher. Er war sehr auf seine Notizzettel konzentriert, formulierte gelegentlich gottschalkeske Multiple-Choice-Fragen und rief die vorbereiteten Einspielfilme auf, ob es dramaturgisch passte oder nicht. Immerhin brachte er einen spontanen Witz auf Kosten der SPD unter.
Dass "Günther Jauch" als Sendung funktionieren wird, davon kann man ausgehen. Ihre Macher wissen sehr genau, wie man sie so baut, dass die Menschen zugucken. Was diese Menschen am Ende - im Sinne Klinsmanns - an Erkenntnisgewinn mitnehmen, ist eine ganze andere Frage. Jauch selbst formulierte das Ziel nach der ersten Show so: "Wir wollen den Leuten klarmachen, dass politische Dinge immer auf den Einzelnen zurückfallen."
Nach der ersten Sendung von "Anne Will" vor vier Jahren sagte Premierengast Kurt Beck im Rausgehen aus dem Studio zu einer Begleiterin: "Naja, war wie immer." Diesmal war es anders. Kurt Beck war nicht dabei.