Jauch-Debatte übers Sterben Menscheln am Abgrund

"Unheilbar krank - Leben mit dem Tod" - Günther Jauch hat am Sonntagabend ein unbequemes Thema auf die Agenda gesetzt. Dennoch dürfte selten so viel gelacht und geschmunzelt worden sein in der Talkrunde, die sich dieses Mal zum Großteil aus Todkranken zusammensetzte.

Man könnte sich quotenträchtigere Themen vorstellen als jenes, das sich Günther Jauch im Rahmen der ARD-Themenwoche "Leben mit dem Tod" vorgenommen hat: "Unheilbar krank - Leben mit dem Tod". Die Diskussionsrunde setzt sich - man darf das so sagen - aus Sterbenden zusammen. Der Politiker Wolfgang Bosbach, der Bestatter Fritz Roth und der 25-jährige Bastian Brauns, der mit seiner ihn pflegenden Freundin eingeladen war: Sie alle leiden an Krebs. Und sie alle werden richtig gut damit fertig. Es ist eben, das muss man so sagen, auch eine Runde des Glaubens.

"Auf der anderen Seite, Frau Käßmann, wird der Tod aus unserer Gesellschaft ausgeblendet", liefert Jauch seinem einzigen gesunden Gast an diesem Abend das Stichwort. Ist das so? Wird nicht an allen Ecken und Enden gestorben? Über Sterbehilfe diskutiert? Tapfer gegen die Krankheit "gekämpft", als wär's eine Invasionsarmee? Und ist der schönheitswahnsinnige "Anti-Aging"-Boom nicht Ausdruck einer entsetzlichen Angst vor dem Tod?

Käßmann will trotzdem die "Todkranken ins Leben zurückholen" und den Exitus als Teil des Lebens verstanden wissen. Als Vertreterin einer Kirche, der die Menschen davonlaufen, bleibt sie in letzten Dingen eine Art metaphysische Versicherungsvertreterin. Als solche kann Käßmann den Tod natürlich nicht als Punkt, sondern nur als Doppelpunkt wahrnehmen, hinter dem es "irgendwie" weitergeht.

"Warum ich?" "Warum nicht?"

Jauch will von der Expertin auch wissen: "Wie kann ein an sich doch liebender Gott so etwas zulassen? Fordert Gott die Annahme des Leidens durch den Menschen?" Käßmann lässt den liebenden Gott so stehen und weiß natürlich, dass Gott nicht fordert, dem Menschen aber die Kraft geben will, das Leid "anzunehmen", weil er es - wir erinnern uns - am Kreuz selbst erlebt hat. Immerhin räumt sie ein, dass im Angesicht des Todes die Sache mit der Allmacht Gottes eines der "kniffligsten Probleme der Theologie" darstellt. Und dankenswerterweise kontert sie die blödsinnige Frage "Warum ich?" mit der letztgültigen Antwort: "Warum nicht?"

Trotz des unbequemen Themas dürfte selten so viel gelacht und geschmunzelt worden sein bei Günther Jauch. Er war umgeben von Leuten, die mit ihrem Schicksal einen Frieden geschlossen haben, der manchmal schon an Selbstzufriedenheit grenzte. Bosbach beispielsweise ließ sich nicht einmal von der Frage aus der Reserve locken, ob er - verdammt noch mal - nicht früher zum Arzt hätte gehen sollen. Über Konjunktivisches ist der Mann längst hinaus, damit mag er sich nicht auch noch belasten, hat aber einen munteren Rat: "Leute, runter vom Sofa und hin zur Vorsorge."

Der Tod ist sozusagen das härteste "weiche" Thema, das es gibt. Und so hatte Jauch an diesem Abend keine unterschiedlichen Positionen hervorzulocken oder gar Streitgespräche zu moderieren - obwohl beispielsweise die Sterbehilfe durchaus das Potential dazu hätte. Stattdessen erlebte der Zuschauer ein fast schon unheimliches Menscheln am Abgrund. Unheimlich deswegen, weil die moribunden Gäste in heiterer Gefasstheit ihrem Programmauftrag gerecht und nicht müde wurden, die zahlreichen Vorteile eines nahenden Todes aufzuzählen. Die Last, die abfällt. Die Dinge, die wichtig werden. Der Zuspruch, den man erlebt. Der Doppelpunkt.

Und so trieb die Sendung floskelselig und mit handelsüblicher Tröstlichkeit - man könnte auch sagen: banal - ihrem Ende entgegen, ohne ihren pragmatischen Servicecharakter zu verleugnen: Letzte Dinge sollten nicht aufgeschoben, sondern erledigt werden. Noch einmal die Seidenstraße bereisen, Dirk Nowitzki in Dallas spielen sehen oder 2013 für den Bundestag kandidieren. Solche Sachen. Und Kinder. Kinder finden den Tod anderer Leute interessant und sollten auf Beerdigungen mitgenommen werden, auch wenn sie noch am Grab ein Eis haben wollen.

Der Tod ist groß, so groß, dass er an diesem Abend sogar Rilke widerlegte: Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu kichern, mitten in uns. Das muss sie gewesen sein, die geheime Botschaft dieser Sendung wie der ganzen ARD-Themenwoche. Anders wäre Jauchs finaler Hinweis nämlich nur als frivole Geschmacklosigkeit zu verstehen, dass "wir alle irgendwann einmal werden sterben müssen,… aber vorher kommen noch die Tagesthemen mit Tom Buhrow".

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