Finalstaffel der Comedy »Jerks« Die schönste Schamsuhle des deutschen Serienwesens

Christian Ulmen und Fahri Yardim verabschieden sich als »Jerks« und von ihrer schmerzhaft schmerzbefreiten Comedy. Immerhin geht es zum Finale noch mal dahin, wo es richtig wehtut: in die Kindheit.
Ulmen, Yardim: Unerwartet anrührend

Ulmen, Yardim: Unerwartet anrührend

Foto: André Kowalski / Joyn

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Man kann es nicht verleugnen, und man will es nicht bestreiten: Es geht natürlich wieder mal um Körperflüssigkeiten. Mindestens Peinschweiß fließt auch beim Zuschauen, wenn »Jerks« mit der fünften Staffel nun auf die finale Zielgerade des selbst verursachten, schmerzhaft eskalierenden Alltagsleidens einschwenkt.

Malheur-Kettenreaktionsmaschine

Wenn Fahri Yardim und Christian Ulmen unerreicht kühn ramponierte Versionen ihrer selbst spielen, mit nur grob gestricktem Skript und viel Improvisation drumherum, ist das immer noch die schönste Schamsuhle des deutschen Serienwesens. Auch wenn man die irrationalen Muster ihrer impulsgetriebenen Selbstdemolierung inzwischen kennt. Auch wenn einen in diesen, laut Ankündigung letzten zehn Episoden weniger schockt als in naturgemäß überraschenderen frühen Staffeln. Ist man selbst im Laufe der Serie einfach abgehärteter, oder sind die »Jerks« zumindest ein bisschen altersappetitlich geworden?

Vermutlich, und das ist ja auch beruhigend, musste irgendwann der Punkt kommen, an dem sich die geschmacklichen Donnerfürze nicht mehr toppen ließen. Wer schon künstliche Darmausgänge im Swimmingpool bersten ließ, Periodenblut mit Himbeereis verwechselte und seinen arglosen Dinnerpartygästen Menschenfleisch servierte, lässt analstimulierende AfD-Politikerinnen zwangsläufig fast harmlos wirken. Aber, zum Glück: eben nur fast.

Darsteller Ulmen, Yardim: »Das ist wie bei Luke!«

Darsteller Ulmen, Yardim: »Das ist wie bei Luke!«

Foto: André Kowalski / Joyn

Notfalls wird in der Malheur-Kettenreaktionsmaschine ohne Not-Aus-Knopf eben noch einen Gang höher geschaltet. Und der Unfallhergang von Ulmens Armbruch wahrheitsgemäß damit erklärt, dass er mit dem garstigen Busfahrer onanieren musste und dabei unglücklich gestürzt sei, als er sah, dass seine Tochter ihn dabei beobachtete.

Warten auf den Abwärtssturz

Als zeitgeschichtliche Marker kommen als Kulisse oder Katalysatoren unverkennbare 2020er-Themen vor: Klimaaktivisten, queere Lebensentwürfe und Sensibilität für toxisches Verhalten. Anders als bei vielen beleidigend trägen Scherzen der Faulcomedy wird hier aber nicht über diese Themen gelacht, nicht spöttisch auf sie herabgeschaut: Ulmen und Yardim sind selbst die Witzfiguren, weil sie sich an die Klimaengagierten heranwanzen, weil sie sich eine Affäre mit Sarah-Lee Heinrich von der Grünen Jugend erhoffen, Queerness mit einer Lifestyle-Entscheidung verwechseln und sich wegen einer Rollenabsage eitel als Cancel-Opfer sehen, weil die Ex-Freundin sich in einem Podcast negativ über eine verflossene Beziehung geäußert hat. »Das ist wie bei Luke!«, barmt Yardim.

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Beim Zuschauen wartet man, wenn »Jerks«-erfahren, wie bei einer Achterbahnfahrt auf den Abwärtssturz: mit behaglichem Ekel. Manchen Plotverlauf kann man mit erahnen, anderes – wie etwa die trauliche Onaniererei mit dem Busfahrer – sieht man beim schlechtesten Willen nicht kommen.

Mit wem schämen wir uns jetzt?

Unerwartet anrührend und darum besonders ist eine Rückblende-Folge in das Jahr 1986, die erzählt, wie Christian und Fahri einander fanden: Sie freundeten sich als Kinder an, nachdem Fahri bei einer Aufführung der »Vogelhochzeit« vor versammelter Elternschaft in die Hose machte und Christian ihm aus dem peinlichen Schlamassel half.

Mit dieser Rückschau auf eine Zeit, in der die Scham einen noch schlimmer zwiebeln konnte, weil man noch nicht wusste, dass sie auch wieder verblasst, wird die Genese dieses Duos und ihr schmerzhaft schmerzbefreites Leben überraschend greifbar: geboren aus tiefen Unsicherheiten, gleichzeitig hart ausgeleuchtet und zärtlich betrachtet. Wenn »Jerks« also zu Ende geht – mit wem schämen wir uns jetzt?

Die fünfte Staffel »Jerks« startet am 2. Februar auf JoynPLUS+ und wird später bei ProSieben im FreeTV gezeigt.

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