Joe Bidens Amtseinführung im TV Überschreibung einer schlechten Erinnerung

Feierlich, entschlossen, nachdenklich: Joe Biden bei seiner Amtseinführung vor dem US-Kapitol
Foto: POOL / REUTERSFeierlich, entschlossen, nachdenklich: Joe Biden bei seiner Amtseinführung vor dem US-Kapitol
Foto: POOL / REUTERSIrgendwo bellt tatsächlich ein Hund, als ARD-Korrespondent Jan Philipp Burgard seinen Vorbericht erstattet. Erstens ist es still genug, das Tier überhaupt zu hören. Zweitens handelt es sich vermutlich um einen Schäferhund der Nationalgarde. Beides erzählt schon einiges über diese Inauguration unter doppelt und dreifach besonderen Umständen. Vor einer leeren Mall, die nur für die Kameras gefüllt ist mit buntem »Leben«: 200.000 Fahnen und Fähnchen in Reih und Glied im eisigen Wind. Hin und wieder eine Schneeflocke. Erst später wird der Himmel ein wenig historische Verantwortung zeigen – und aufklaren.
Bei Phoenix geht es sehr früh los. Ein wenig so, als säße man als erster Zuschauer in der Oper, während das Orchester noch probt und letzte Kabel verlegt werden. Mit diesem Eindruck einer sich allmählich mit früheren US-Präsidenten und anderen Ehrengästen füllenden Tribüne beginnt schon eine Überschreibung dessen, was wir vom Sturm auf das Kapitol in schlechter Erinnerung haben. Die Bühne wird wieder ihrer ursprünglichen Funktion zugeführt.
Gibt es vom Besuch des Mobs am 6. Januar ungefähr so viele Perspektiven wie hochgehaltene Smartphones, ist es am 20. Januar im Grunde gleich, wo man die Zeremonie verfolgt. Es gibt eine einzige Zentralperspektive für die ganze Welt.
Und die fängt kuriose Details auf. Das kumpelige Abboxen der Würdenträger, das Zeigen auf Leute, die man erkennt: »Hey, du auch hier?«. Wie der Mundschutz sich ein- und ausfaltet im Rhythmus des Atems, dazu ein neues Spiel: Ist das Mitch McConnell? Schläft Bill Clinton? Hat eigentlich Bernie Sanders wirklich so schlechte Laune? Warum sitzt er allein? Überhaupt ist mit dem Virenschutz und strikte Abstandsregeln auf der Tribüne und unter den wenigen Zuschauern ein neues Regiment spürbar.
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Nach seinem Eid auf die Familienbibel um 17.49 Uhr hält der Mann des Tages seine erste Rede. Sie wird ihrer eigenen Wichtigkeit gerecht. Feierlich, entschlossen, nachdenklich. Mehr noch entzückt, wie das dünne weiße Haupthaar von Joseph Robinette Biden, 46. Präsident der Vereinigten Staaten, sich im Wind immer wieder drollig verzwirbelt. Es gibt eben Dinge, denen selbst das strengste Protokoll nichts anhaben kann.
Mag sein, dass die Demokratie in Gefahr gewesen ist. Nun beweist sie, dass sie noch immer – oder jetzt erst recht – eine gute Show liefern kann.
Erster Gast ist Lady Gaga, die mit goldener Friedenstaube am Kleid und friedenstaubenfarbenem Mikro die Nationalhymne singt. Auf die Tochter italoamerikanischer Eltern folgt die Latina Jennifer Lopez, die ihre Interpretation von »This Land Is Your Land« um eine spanische Einlage ergänzt: »Eine Nation unter Gott, unteilbar, mit Freiheit und Gerechtigkeit für alle«. Beide stehen auf ihre Weise für Los Angeles.
Wichtiger sind zwei weitere Auftritte. Erstens der des konservativen Countrysängers Garth Brooks, der den Brückenbauer mit Stetson gibt. »Amazing Grace« trägt er a capella vor und fordert die Menge, die keine Menge ist, zum Mitsingen auf.
Zweitens die 22-jährige Lyrikerin Amanda Gorman, die mit rhetorischer Finesse ihr Gedicht »The Hill We Climb« zum Vortrag bringt – Worte, die ein Nachlesen in Ruhe lohnen. Allein diese Zeilen machen deutlich, was für eine kolossale Zumutung in intellektueller und moralischer Hinsicht der ehemalige Präsident mit seinem kindlichen Gestammel gewesen ist. Und wie groß die Erleichterung, die Hoffnung auf Heilung und »Einheit«, so eine Devise dieser Veranstaltung.
Es ist schon hier und trotz aller Einschränkungen das Gegenteil der düsteren Messe, mit der Trump ins Amt eingeführt wurde. Es herrscht ein hoher, aber heiterer Ton.
Eine schöne Szene der Zivilität ist auch die Verabschiedung von Mike Pence durch Kamala Harris auf den Stufen des Kapitols – es wird sogar über einen Witz gelacht und dem abfahrenden SUV hinterhergewunken. Der Chef des ehemaligen Vizepräsidenten ist der Veranstaltung ferngeblieben, und selbst das ist ein angenehmer Spezialeffekt.
Nach der protokollarischen Entgegennahme von Geschenken und der Unterzeichnung erster Erlasse durch Biden verfügt sich die Kolonne zum Nationalfriedhof Arlington. Dort sieht man – Jimmy Carter ist zu alt zum Reisen – mit Bush, Clinton und Obama den exklusiven »Klub der Ehemaligen«, dem Donald Trump niemals angehören wird.
In krassem Gegensatz zu anderen Supermächten steht auch die rituelle Einführung von Biden als Oberkommandierender der Truppen. Eine erste Parade noch vor dem Kapitol ist fast eine Parodie, mit querflötenden Soldaten in Uniformen aus dem Unabhängigkeitskrieg. Auch in Arlington geht es kaum martialisch, eher karnevalesk zu.
Nach dem symbolisch wichtigen Termin bei den Toten – auch der Corona-Toten wurde gedacht – geht es zurück über den Potomac und dann endlich ins Weiße Haus. Biden und seine Entourage laufen die letzten Meter, der 78-Jährige legt einige davon joggend zurück. Wie als beiläufiger Beweis für seine physische Leistungsfähigkeit.
Diese Inauguration war keine Leistungsschau. Sie war der Arbeitsnachweis einer Demokratie, die sich zu inszenieren weiß und ihre »heiligen Momente« so ernst nimmt wie die Probleme, die es zu bewältigen gilt. Und das ist schon an einem Tag mehr, als in den vergangenen vier Jahren zu beobachten war.
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Es ist so weit: Joe Biden hat sein Amt als 46. Präsident der Vereinigten Staaten mit einem Aufruf zu Einheit und Versöhnung angetreten. Der 78-Jährige legte am Mittwoch in einer feierlichen Zeremonie vor dem US-Kapitol in der Hauptstadt Washington seinen Amtseid ab.
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Ein besonderer Moment: Kamala Harris ist als Vizepräsidentin der USA vereidigt worden. Damit ist sie die erste Frau auf dem Posten. Die Supreme-Court-Richterin Sonia Sotomayor nahm der 56-Jährigen den Amtseid ab.
Washington präsentierte sich am Tag der Inauguration in schönstem Sonnenschein.
Die Vereidigung fand unter extremen Sicherheitsvorkehrungen statt – aber ohne Donald Trump.
Kurz vor der Vereidigung: Biden und Harris stehen am Kapitol vor dem Amtseid: Joe und Jill Biden (Mitte), zusammen mit Kamala Harris und ihrem Mann Doug Emhoff
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Der ehemalige US-Präsident Barack Obama und die vormalige First Lady Michelle Obama treffen am Kapitol ein. »Glückwünsche an meinen Freund, Präsident Joe Biden. Jetzt ist deine Zeit«, schrieb Obama bei Twitter. Biden war acht Jahre lang Vizepräsident während Obamas Amtszeit.
Ex-Präsident George W. Bush und seine Frau Laura Bush waren die Ersten, die am Ort der Feierlichkeiten eintrafen. Bill und Hillary Clinton folgten kurz danach.
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Lady Gaga singt »The Star-Spangled Banner«, die offizielle Nationalhymne der USA. Sie trägt ein Kostüm mit einer Friedenstaube. Gemessen an der Corona-bedingt geringen Zuschauerzahl gab es tosenden Applaus.
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Bevor sie zum Kapitol aufbrachen, besuchten Joe Biden und Kamala Harris einen Gottesdienst in Washington. Biden ist nach John F. Kennedy erst der zweite Katholik, der Präsident der Vereinigten Staaten wird.
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»Dies ist der Tag Amerikas, der Tag der Demokratie.« Die USA seien »eine große Nation«, sagte Biden in seiner 20-minütigen Rede.
Praktische Winterjacke, auffällige Strick-Handschuhe, eigentümliche Sitzhaltung: Bernie Sanders hat bei der Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden für viel Gesprächsstoff gesorgt.
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Der ehemalige US-Präsident Barack Obama und die vormalige First Lady Michelle Obama treffen am Kapitol ein. »Glückwünsche an meinen Freund, Präsident Joe Biden. Jetzt ist deine Zeit«, schrieb Obama bei Twitter. Biden war acht Jahre lang Vizepräsident während Obamas Amtszeit.
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