Comedy in Zeiten von Corona Wenn die Jogginghosen Trauer tragen

Mit der Therapeutin auf der Couch: Jürgen Vogel und Natalia Belitski in "Liebe. Jetzt"
Foto:Juan Sarmiento G./ Juan Sarmiento G./ ZDF
Ausstattung und Kostüm haben bei dieser Corona-Comedy einen Mordsjob erledigt: In der Ecke liegt wie hingeworfen ein Staubsauger, den einer der Wohnungsinsassen dort wohl nach einer spontanen Putzattacke kraftlos liegen lassen hat. Am Po des anderen Wohnungsinsassen hängt die ausgebeutelte, zweckentfremdete Sportbüx mutmaßlich schon seit Tagen auf Halbmast.
Wenn die Jogginghosen Trauer tragen: in der ersten Folge der ZDFneo-Miniserie "Liebe. Jetzt" wird die zurzeit etwas zu genussvoll vom deutschen Fernsehen gefeierte Krisenästhetik auf die Spitze getrieben. Man schaut in den Fernseher und sieht sich selbst - also vor allem auch diese Person, die man dem eigenen Lebenspartner eigentlich gar nicht mehr zumuten mag.
Paartherapie vorm Laptop
Wohnungsinsasse eins und zwei, das sind in "Liebe. Jetzt" Thorsten (Jürgen Vogel) und Jana (Natalia Belitski). Er: bereits ein paarmal verheiratet und eher so der I-don't-care-Typ. Sie: zum ersten Mal schwanger, und zwar mit dem Kind des Jogginghosen-Phlegmatikers. Möglicherweise lieben sich die beiden, man sieht sie in den kurzweiligen 20 Minuten der ersten Episode aber vor allem streiten. Vor der Coronakrise haben sich die beiden auf eine Paartherapie geeinigt, jetzt ziehen sie auf der Couch vor dem Laptop die erste Sitzung durch.

Daten in Zeiten von Corona: Isabel Thierauch in einer Szene von "Liebe. Jetzt"
Foto: Johannes Louis/ Johannes Louis/ ZDFEs ist der Auftakt von sechs Folgen (schon jetzt in der ZDF-Mediathek, ab Sonntagabend linear bei ZDFneo), bei der es in Etüden mit wechselnden Hauptfiguren und Hauptdarstellern um die neuen Techniken der Liebesanbahnung und Liebesabwicklung in Zeiten von Corona geht. Denn dem Virus zum Trotz geht ja alles weiter, nur eben unter erschwerten, oft digital flankierten Bedingungen: das Daten und das Zicken, das Zusammenwachsen und das Auseinanderleben. Und das Filmedrehen auch. Na ja, so ein bisschen, zumindest bei ZDFneo.
Während fast alle regulären Dreharbeiten für Fernsehfilme wegen der Coronakrise auf Eis gelegt sind, bringt der neuerdings recht flexible, junge Arm des ZDF eine neue Sitcom nach der anderen raus. Zuvor etwa "Drinnen - im Internet sind alle gleich" mit Lavinia Wilson. Wobei dem Wort Sitcom bei den ZDFneo-Produktionen eine erweiterte Bedeutung zukommt: Es bezieht sich nicht nur auf die Situationskomik, sondern auch auf den Umstand, dass der Witz zum Großteil im Sitzen generiert wird. Denn die Charaktere hängen hier die meiste Zeit vor dem Computer.

Der Witz wird im Sitzen generiert: Lavinia Wilson in "Drinnen"
Foto: btf gmbH/ btf/ ZDFNeu ist das nicht. Bereits vor acht Jahren brachte der kleine Sender TNT Comedy die Social-Media-Sitcom "Add a friend" mit Friedrich Mücke und Ken Duken heraus, wo die durch einen Autounfall ans Bett gefesselte Hauptfigur via Webcam mit der Welt kommunizierte und dadurch bescheidenes Chaos verbreitete. Damals gab es den Grimme-Preis, doch muss man sagen, dass die Serie schon in der zweiten Staffel in den humoristischen Leerlauf geriet.
ZDFneo knüpft jetzt mit seinen Quarantäne-Comedys an "Add a friend" an. Und man kann diesen Ansatz als minimalistisches Fernsehen feiern. Oder als Fernsehen in der Schwundstufe bemitleiden. Fest steht, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis sich die Sender aus diesem Notstands-TV wieder herausgekämpft haben.
Optimisten hoffen, dass schon im Juni wieder reguläre Dreharbeiten stattfinden können. Sicher ist aber, dass auch da noch ganz anders gearbeitet werden muss als vor der Coronakrise. Durch die behördlichen Beschränkungen und die damit zusammenhängenden, noch ungeklärten Versicherungsauflagen dürften die Stoffe so oder so sehr viel reduzierter in der Umsetzung sein - und zugleich sehr viel teurer in der Herstellung. Kaum anzunehmen, dass noch bis zum Ende dieses Jahres Filme wieder auf die gleiche Weise gedreht werden wie am Anfang dieses Jahres.
So gesehen, dürften noch einige weitere Formate vom Schlage "Liebe. Jetzt" (Regie: Pola Beck und Tom Lass) entstehen. Dabei wird es darauf ankommen, sich nicht völlig auf den Charme der Improvisation zu verlassen, wie man ihn in den frühen Tagen dieses Hybridformats noch zu akzeptieren bereit ist. Das Spiel von Jürgen Vogel im Auftakt von "Liebe. Jetzt" etwa findet in der Jogginghose sein textiles Äquivalent: Zuweilen fläzt er sich einfach zu salopp an den Pointen vorbei.
Soll die neue Sitz-Komik à la ZDFneo eine Zukunft haben, muss der Witz noch präziser und böser werden. Die absehbaren Verhärtungen der nächsten Monate werden dafür reichlich Stoff bieten.
"Liebe. Jetzt", schon jetzt in der ZDF-Mediathek. Ab Sonntag um 21.45 Uhr bei ZDFneo