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"Kästner und der kleine Dienstag": Moral als Berufsrisiko

Foto: ARD Degeto/ DOR/ Anjeza Cikop

ARD-Film über Erich Kästner Großer Schriftsteller, kleines Gewissen

"Ich hatte nicht mit der Faust gedroht. Ich hatte sie nur in der Tasche geballt": Der ARD-Film "Kästner und der kleine Dienstag" beschäftigt sich mit der schwierigen Rolle des Autors während des "Dritten Reichs".

Und dann läuft da immer dieses kleine Gewissen mit schwarzen Locken neben dir her und zitiert deine eigenen Texte, denen du selbst in deinem Leben nicht gerecht werden kannst. Klar, das ist unangenehm. Und es schmerzt. Aber es ist auch schön, wenn man nicht komplett und ganz ein Schwein geworden ist, sondern das Herz noch schlägt und man sich noch erinnert an den, der man gewesen ist.

Dies ist die Geschichte des Moralisten und Dichters und Kinderbuchautors Erich Kästner und einer Figur aus seinem Buch "Emil und die Detektive". Es ist "der kleine Dienstag", eine unscheinbare Nebenrolle auch in der Verfilmung aus dem Jahr 1931. Gespielt wurde er da von einem kleinen Jungen, der vorher schon dem von ihm geliebten und verehrten Autor Kästner einen Brief geschrieben hatte. Kästner fand den Brief und die Liebe darin süß und herrlich; als der Junge selbst vor seiner Tür stand, fand er das ein wenig übertrieben und irgendwie unnötig und etwas lästig.

Schließlich war Kästner Bohemien, Erwachsenendichter, Militär- und Nationalistenhasser, den Emil, sein erstes Kinderbuch, den hatte er doch nur als kleinen Nebenbeispaß geschrieben. Da müssen jetzt echt nicht auch noch echte Kinder zu ihm nach Hause kommen. Echt nicht.

"Unter Schweinen kann man nicht sauber bleiben"

Der Film "Kästner und der kleine Dienstag", der am Donnerstag in der ARD Premiere feiert , beruht auf einer wahren Geschichte. Es hat ihn gegeben, den kleinen Dienstag im Leben Erich Kästners. Und Erich Kästner, den Moralisten, der während der Nazizeit in Deutschland blieb, obwohl seine Bücher verbrannt worden waren, obwohl er geschrieben hatte "unter Schweinen kann man nicht sauber bleiben", den hat es natürlich auch gegeben.

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"Kästner und der kleine Dienstag": Moral als Berufsrisiko

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Und seine Geschichte ist oft erzählt, beschrieben, gefilmt worden. Dieser Fernsehfilm aber erzählt sie besonders schön und einfach, kindgerecht und erwachsen und moralisch angemessen schwankend. Denn schließlich war es Erich Kästner selbst, der sich für sein Schweigen, seine Mutlosigkeit, sein Bleiben verurteilt hat. Oder schlimmer: der an all die spätgeborenen moralischen Rechthaber und Verurteilungsfreunde eine klare Botschaft hatte - wer weiß, ob ihr Helden gewesen wärt in dieser dunklen Zeit.

Brennende Bücher im Mai

Er stand am Rande des Feuers am Berliner Opernplatz, als seine Bücher brannten. Im Film ist das nur eine kurze, leise Szene. Die Menschen rundherum freuen sich, brennende Bücher im Mai, wie schön. Kästner schrieb später: "Ich hatte angesichts des Scheiterhaufens nicht aufgeschrien. Ich hatte nicht mit der Faust gedroht. Ich hatte sie nur in der Tasche geballt." Warum er das dann überhaupt erzähle? "Weil keiner unter uns und überhaupt niemand die Mutfrage beantworten kann, bevor die Zumutung an ihn herantritt."

Davon handelt dieser Film. Kästners Freund, der Zeichner Erich Ohser (Hans Löw) spielt den unglücklichen Gegenpart. Auch er blieb mit schlechtestem Gewissen im Land, auch er machte Kompromisse, indem er harmlose, unpolitische Bilder und Geschichten malte, zum Geldverdienen und Überleben. Doch ihn rettete all die Harmlosigkeit nicht. In der Haft nahm er sich das Leben. Kästner (Florian David Fitz) überlebte.

Im Film zumindest auch deshalb, weil der kleine Dienstag (sehr klein: Nico Ramon Kleemann, etwas größer: Jascha Baum) als Kästner zitierendes Gewissen neben ihm herläuft. Und ihm, dem ewig Lebensmüden, vor allem das Recht abspricht, Fahnenflucht aus dem Leben zu begehen. "Solang noch einer an dich glaubt, hast du kein Recht ganz zu verzweifeln, das ist ganz einfach nicht erlaubt", zitiert der kleine Dienstag mit den großen Locken dem verehrten Dichter seinen Lebensauftrag ins Gedächtnis zurück.

Und Kästner bleibt. Am Ende der Nazizeit dreht er mit Freunden in den Alpen einen Scheinfilm. Gute Laune für den Endsieg in aussichtsloser Lage sollen sie liefern. Sie haben nicht mal eine Filmrolle in die Kamera eingelegt. Überleben war alles. Kunst unter diesem Regime nur ein Phantom. Ein unsichtbarer Film aus den deutschen Bergen.


"Kästner und der kleine Dienstag", Donnerstag, 20.15 Uhr, ARD

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