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Neuer Erfurter "Tatort": Jung, ledig, talentlos

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Junger "Tatort" aus Erfurt Krass, wir sind jetzt Kommissare

Hat sich da jemand mit Energydrinks um den Verstand gesoffen? Der skandalgebeutelte MDR wollte den jugendlichsten "Tatort" überhaupt schaffen, wanzt sich mit dem neuen Erfurter TV-Revier aber nur zynisch an die jüngere Zielgruppe ran - und produziert dabei gleich die nächste Affäre.

Die gute Nachricht zuerst: Der Energydrink, den die Ermittler hier in großen Mengen trinken, ist eine fiktive Marke. Dem verantwortlichen Sender MDR, der in den vergangenen Jahren mit Betrugsaffären, Intendantenwahl-Eklats und fragwürdigen Fernsehballettauftritten Negativschlagzeilen machte, steht also nicht auch noch ein Schleichwerbungsskandal ins Haus.

Nun die schlechte Nachricht: Aufgeputscht von dem Gesöff hasten die Ermittler ohne Sinn und Verstand durchs Bild, sämtliche Bewegungen laufen ins Nichts. Aufgepumpte Action, die sofort verpufft.

Bereits in den ersten Minuten der ersten Episode des aggressiv auf jung getrimmten Erfurter "Tatort" werden sämtliche Hoffnungen auf ein neues interessantes TV-Revier zunichte gemacht. Gezeigt wird die Verfolgung eines mutmaßlichen Sexualstraftäters, der den Polizisten nicht einfach nur davonläuft, sondern die Flucht ziemlich ineffizient im angesagten Parkour-Style über Geländer, Mauern und durch alte Lagerhäuser antritt.

Trau keinem über 30

Stolz verkündete der MDR vor dem Start seines neuen Krimis, dass man für Erfurt das jüngste "Tatort"-Team überhaupt rekrutiert hätte. Die beiden Kommissare Henry Funck (Friedrich Mücke) und Maik Schaffert (Benjamin Kramme) kommentieren jede Ermittlungswendung mit dem Adjektiv "krass", auch der Fluch "Alter Falter" ist in Erfurt noch en vogue. Das analytische Denken indes wird der emotional unterversorgten Praktikantin und Jura-Studentin Johanna Grewel (Alina Levshin) überlassen, die hier Wikipedia-Einträge aufsagt. Trau niemandem über 30, so könnte das Arbeitsmotto zu diesem "Tatort" gelautet haben.

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Shooting-Star Alina Levshin: Brutal ehrlich

Foto: Vittorio Zunino Celotto/ Getty Images

Regisseur und Drehbuchautor Thomas Bohn, der schon weit über 30 ist und einst auch die ersten Folgen des Hamburger "Tatort"-Teams um Robert Atzorn entwickelt hat, inszeniert den Erfurter Auftakt als eine Art Arbeitsweltbesichtigung der Generation Praktikum. Die Spuren in einem Frauenmordfall führen direkt an die Uni, wo sich einige Studenten mit gefährlichen Psychopharmaka gegen den Leistungsstress wappnen, während einige ihrer Kommilitoninnen ihre schönen jungen Körper verkaufen. Jura-Studentin Grewel, die eine Studentin kennt, die es ähnlich gemacht hat, klärt die beiden begriffsstutzigen Stratzstenze Funk und Schaffert auf. Zur Veranschaulichung des Entlohnungsverhältnisses benutzt sie das nicht mehr ganz so junge Wort Sugardaddy.

Erschreckend, wie die große Nachwuchsschauspielerin Alina Levshin, die gerade erst in dem Psycho-Rätsel "Alaska Johansson" in der ARD für Furore gesorgt hat, hier als Stichwortgeberin verheizt wird, während die beiden Jungs an ihrer Seite im Energydrink-Vollrausch Comicversionen knallharter Cops geben.

Was der MDR so Modernisierung nennt

Offensichtlich will der MDR, der gerade im Bereich des Krimis lange Zeit unter einer gewissen Überalterung litt, mit seiner "Tatort"-Neuausrichtung die Unter-49-Jährigen kriegen. Wie zäh erschienen einem doch zuletzt die "Polizeirufe" aus Halle, in denen die älteren Herren Schmücke und Schneider durch abstruse Fälle schlichen. Doch das sachsen-anhaltinische TV-Revier ist inzwischen abgewickelt.

Nun hat der MDR seine Krimis einer Modernisierung unterzogen. Na ja, was man beim MDR so Modernisierung nennt. Anstelle des "Polizeiruf" aus Halle gibt es jetzt einen aus Magdeburg, in dem Claudia Michelsen mit Motorrad, Lederjacke und übertrieben verstärkter Hormonausschüttung durch die Handlung jagt; für einen weiteren neuen "Tatort", der ab Dezember aus Weimar kommt, wurden die im Humorfach beheimateten Schauspieler Christian Ulmen und Nora Tschirner engagiert. Der MDR und lustig? Da tut sich eine neue Gefahrenzone auf.

Der MDR bleibt also glücklos auf seiner Krimi-Schiene. Dabei hat man sich für den Erfurter "Tatort" etwas Besonderes einfallen lassen: Man hat eine Ausschreibung vorgenommen, bei der Produzenten ihre Konzepte einreichen konnten. Eine etwas verzweifelt anmutende Transparenzkampagne, um den Verdacht der Mauschelei auszuschließen. Dass nun ausgerechnet der "Tatort"-Oldie Bohn den Zuschlag unter angeblich 100 Bewerbern bekommen hat, stimmt trübselig. Gibt es wirklich keine neuen Impulse in der deutschen Fernsehlandschaft? Oder ist der MDR einfach zu rammdösig, um sie zu erkennen?

Besonders diskussionsfreudig ist der Sender trotz inszenierter Offenheit jedenfalls nicht: Ein kritisches Interview zum neuen Erfurter "Tatort"-Revier mit dem Fernsehkritiker des "Freitag", Matthias Dell, zogen sie jedenfalls während des Autorisierungsprozesses komplett zurück . Der Autor machte den Vorgang in einem Artikel öffentlich - ironischerweise ist das genau die Art von Transparenz, die sich der MDR auf die Fahnen geschrieben hat. Doch der Druck, Erfolge vorweisen zu müssen, ist offensichtlich zu groß, um offen mit dem neuen Film umgehen zu können, so wie es sich für ein öffentlich-rechtliches Produkt gehört.

Druck, wo man hinschaut. Da erinnern die MDR-Redakteure an die geschundenen 20-Jährigen in dem Erfurt-"Tatort". Einer der verhörten Studenten sagt über den Leistungsterror, den seine Kommilitonen durch Medikamente auszuhalten versuchen: "Wir sind die erste Generation, die Drogen nimmt, um ihre Arbeit zu erfüllen." Ein starker Satz, der den Anspruch der Verantwortlichen nahelegt, ein emphatisches Bild der jungen Menschen zwischen Studienreformen und unerfüllten Arbeitsmarktversprechen zu zeichnen. Am Ende wirkt der Campus-Krimi über die Generation Praktikum aber doch nur wie eine zynische Zielgruppenranschmeiße.

Dass wir das mal fordern würden, hätten wir selbst nicht geglaubt: Wir wollen die alten Herren Schmücke und Schneider zurück.


"Tatort: Kalter Engel", Sonntag, 20.15 Uhr, ARD

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