
"Kaminer im Kaukasus": Hallo Schwiegermutti!
"Kaminer goes Kaukasus" auf Arte Bei der Sippe aus der Steppe
Da steht er vor einem mit Heilmitteln vollgestopften Kiosk, und erklärt uns, was wir sehen: Eine nordkaukasische Volksapotheke, in der "eine mollige Dame wie ein Schiff in der Flasche" sitzt und "Naturprodukte verkauft, die eine sofortige Heilung von allen Krankheiten dieser Welt versprechen." Natürlich sagt er "Cheilung" und "Krankcheiten", schließlich gibt Wladimir Kaminer den Lieblingsrussen des deutschen Feuilletons - seit über zehn Jahren unermüdlich und mit Verve.
Keiner erklärt uns die russische Seele, den real existierenden Sozialismus und überhaupt den ganzen ehemaligen Ostblock so anekdotenreich und userfreundlich vereinfacht, wie der 43-jährige Schriftsteller, der seit 1990 in Berlin lebt. "Während im Westen jedes Jahr tausende Ratgeber zum Thema Glück veröffentlicht werden, kaufen die Russen einfach eine Glückswurzel für 75 Rubel bei der Post", deklamiert Kaminer in die Kamera und zeigt auf ein winziges Schächtelchen im Schaufenster. "Meine Landsleute hatten schon immer eine Schwäche für einfache Lösungen für komplexe Probleme", sagt er. Der Mann spricht nicht zuletzt über sich selbst.
Die Ein-Mann-Truppe greift im Kaukasus ein
Dieses Mal ist der Kaukasus das Eingreifgebiet der Ein-Mann-Truppe Kaminer. Wobei: Allein ist er diesmal gar nicht. Er reist mit der Familie in den Nordkaukasus. Seine Frau Olga ist der Anlass für das neue Projekt. Deren Familie lebt nämlich in dem Örtchen Borodinowka an der Steppenstraße und "erstreckt sich wie ein riesiger Organismus immer weiter", wie Kaminer in seinem "touristischen Lehrfilm" versichert, den er für Arte produziert hat. Auch im neuen Kaminer-Buch "Meine kaukasische Schwiegermutter" geht's um die liebenswerte Sippe aus der Steppe. Man ahnt: Hier wildert einer im eigentlich recht abgegrasten Genre der interkulturell-komödiantischen Familien-Saga.
Tatsächlich ist "Kaminer goes Kaukasus" eher ein Bastard aus "Borat" und "Maria, ihm schmeckt's nicht". Zunächst mal konterkariert Kaminer mit der angeheirateten Familie konsequent die handelsübliche Ökonomie schnittiger Fernsehreportagen: Schwiegermutter Tatjana, Onkel Joe, der Nachbar Juri, der früher Direktor einer Musikschule war und heute Honig und Schnaps macht, Sonia, die Tochter von der jüngeren Tochter von dem Bruder seiner Schwiegermutter und ihr dreibeiniger Hund Tusik, der sich ein Bein abbiss, um zu verhindern, dass man ihm das Fell abzieht: Alle werden vorgestellt, so viel Zeit muss sein.
Münchhausiaden über den real existierenden Sozialismus
Und weil die Dokumentation ohnehin kein Ziel hat, außer die Familie des Schriftstellers in die Sommerfrische zu begleiten, wird das kaukasische Kleinstadtleben zur Kulisse für die beliebten Kaminer-Schnurren: Wladimir philosophiert in nordkaukasischer Tracht über den Sozialismus ("Im Sozialismus war die Faulheit überlebenswichtig. Die Kaukasier habe ihr Recht auf Faulheit beibehalten."). Er geht dem Unterschied zwischen deutschen und kaukasischen Frauen auf den Grund: "Versuchen Sie mal in der nordkaukasischen Steppe Ihre inneren Werte jemandem zu zeigen - das kann nicht funktionieren, deshalb sind diese Frauen auf Äußerlichkeiten angewiesen." Und natürlich hat er jede Menge Münchhausiaden über die wundersame sowjetische Vergangenheit auf Lager, zum Beispiel die Melonenkern-Pionierbrigaden, deren einzige Aufgabe es war, Melonen zu vertilgen, um an die Kerne als neues Saatgut heranzukommen.
Eigentlich wollte Kaminer den Film schon im Jahre 2008 drehen. Da aber kam der Kaukasuskrieg dazwischen, weshalb das Filmteam den Plan fallen lassen musste. Für die kaukasische Verwandtschaft eine herbe Enttäuschung, schließlich seien alle extra beim Friseur gewesen und hätten die Kühe gekämmt. Außerdem, so verrät Kaminer, interessiere man sich in der Heimat seiner Gattin nicht besonders für Krieg und Terrorismus. Vor allem nicht, wenn es darum geht, die Touristen nicht zu verschrecken. "Sie merken diese terroristischen Aktivitäten gar nicht", erklärt er. Als er mit seinem Onkel über den Anschlag auf einen nahegelegenen Bahnhof sprechen wollte, hätte dieser nur abgewunken: "Was für ein Bahnhof? Ach, der war schon so alt, den hätten wir eigentlich selbst in die Luft sprengen müssen."
" Kaminer goes Kaukasus. Ein touristischer Lehrfilm von und mit Wladimir Kaminer", Sonntag, 1:15 Uhr, Arte