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"Kühn hat zu tun": Die bröckelnde Republik

Foto: WDR/ Bernd Schuller

Bestseller-Verfilmung "Kühn hat zu tun" Mord, Brot, Schnippikäse

Ein Kommissar wie du und ich: Mit "Kühn hat zu tun" gelang Jan Weiler ein Erfolgsroman. Jetzt hat der WDR die Geschichte um den Normalo-Ermittler Kühn verfilmt. Gucken - oder nicht?

Martin Kühn ist keiner dieser TV-Großkommissare, kein einsamer Wolf, kein heimlicher Alkoholiker, kein Sozialphobiker, der sein ermittlungstaktisches Genie mit finsterer Visage vor sich her trägt. Ein guter Kriminalbeamter ist er trotzdem: Innerhalb weniger Minuten weiß Kühn, dass der alte Mann von seinem Enkel erschlagen wurde. Der Täter steht kurz vor dem Geständnis, da rauscht mitten ins Verhör eine SMS: "Joghurt (nicht den fetten), Brot, Milch, Speck und Schnippikäse."

Mal abgesehen davon, dass niemand weiß, was Schnippikäse sein soll: Genau deshalb war Jan Weilers Roman "Kühn hat zu tun" so erfolgreich. Weil die Hauptfigur zwar auch Polizist ist, vor allem aber einer von einem vermuteten "Wir", also verschuldeter Neubaubesitzer, gestresster Vater und Ehemann. Alles so mittel: Mittelklasse, Mitte des Lebens, Mittelmaß. Einer, dessen Kopf voll ist und immer voller wird, angestrengt von einem Leben, in dem immer einer was von einem will, und sei es der Einkauf auf dem Nachhauseweg.

Einen Gesellschaftsroman wollte Weiler nach eigenen Angaben eigentlich schreiben, daraus ist dann ein Krimi geworden. Ist ja auch gar kein Gegensatz, klar erzählen Krimis so allerlei über das Leben in diesem Land, zumal im Land des "Tatort". Gelegentlich nervt es aber eben doch, dass vor allem im Fernsehen so übertrieben oft mit den Mitteln des Krimis von dieser Gesellschaft erzählt wird.

Jetzt, wo der Bestseller "Kühn hat zu tun" dort gelandet ist, im Fernsehen eben, wird deutlich, dass diesen Stoff tatsächlich nicht so furchtbar viel unterscheidet von der Armada der TV-Krimis. Gut ist zwar, dass hier alles notgedrungen verknappter dargestellt und nicht bis ins kleinste Detail auserzählt wird wie in Weilers zuweilen recht erklärsüchtiger Prosa. Andererseits tritt dadurch auch die Formelhaftigkeit des Kriminalplots deutlicher zutage.

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"Kühn hat zu tun": Die bröckelnde Republik

Foto: WDR/ Bernd Schuller

Natürlich spielt auch in der Verfilmung von Ralf Huettner das Lebensumfeld von Kommissar Kühn (Thomas Loibl) eine Rolle, schließlich beginnen hier die Ermittlungen in einem neuen Fall. Oder vielmehr in zwei neuen Fällen, denn nicht nur liegt gleich hinter Kühns Garten die Leiche eines mit einem Messer übel zugerichteten Mannes, am selben Tag verschwindet auch noch die Tochter von nebenan. Kühn taucht also notgedrungen tiefer in die Geheimnisse der lieben Nachbarn ein, als ihm lieb ist.

Schimmel und chemische Kampfstoffe

Dabei herrscht ohnehin schon Aufregung im Neubauviertel, denn offenbar ist der Grund und Boden, auf dem im Zweiten Weltkrieg Munition hergestellt wurde, von Experimenten mit chemischen Kampfstoffen kontaminiert. Von unten also schimmelts allerorten durchs Gemäuer, hässliche Flecken blühen auf den frisch geweißten Wänden.

Die Republik bröckelt, und diese Brechstangen-Metaphorik setzt sich in "Kühn hat zu tun" weiter fort. Gesellschaftliche Bruchstellen werden hier zu Mondkratern: Ein Hundescheißehasser dreht durch, der Fußballtrainer von Kühns pubertierendem Sohn ist ein offener Nazi, der neue Staatsanwalt (Trystan Pütter) verachtet den Kommissar, weil der nur Realschulabschluss hat, Kühns gesprungenes Bürofenster wurde seit drei Jahren nicht repariert, und alles, was seine Frau (Dagmar Leesch) zu alldem sagt, ist: "Komm mir jetzt bloß nicht mit einem Burn-out oder so."

Dabei plagen Kühn zu allem Übel auch noch Flashbacks aus der Vergangenheit, die er selbst nicht zusammensetzen kann, irgendwas mit Schafen und einem Jungen mit einem Messer, dazu laufen in seinem Kopf immerzu "Cherry Cherry Lady" von Modern Talking und "The Number of the Beast" von Iron Maiden. Krasser Musikmix. Da kann man schon mal die Orientierung verlieren.

Die Drehbuchfassung von Weilers Roman (Volker Einrauch) bemüht sich redlich, wie die Vorlage die allgemeine Verunsicherung, das grassierende Gefühl der permanenten Verausgabung und die blank liegenden Nerven einer sich bedroht wähnenden Mittelschicht zu fassen zu bekommen. Aber die Direktheit, mit der die Figuren sich hier anblaffen, ist viel zu stark auf derben Effekt gebürstet und gerät in der Tonalität oft schief. Da hätten sich Regie und Drehbuch besser an Hauptdarsteller Thomas Loibl orientiert, der der Versuchung widersteht, diese Figur zu überdrehen und eher einen überforderten, verschreckten Kühn spielt.

Am Ende muss dann doch wieder ein Serienkiller als Symbol für die Ängste einer aufgeklärten, aber überforderten Gesellschaft herhalten. In der Sky-Krimiserie "Der Pass" feierte diese eigentlich erzählerisch überreizte Figur gerade ein fulminant schreckensreiches Comeback, hier aber bleibt sie maximal farblos und wirkt wie der leichteste Weg, aus dem ganzen Schlamassel wieder herauszukommen. Das ist dann doch zu viel generischer TV-Krimi.


"Kühn hat zu tun" läuft am Mittwoch um 20.15 Uhr in der ARD.

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