
Krimi von Lars Becker: Ein Freund, schlimmer als jeder Feind
Hamburg-Krimi "Unter Feinden" Drogenwracks mit Dienstausweis
Gibt es eigentlich irgendeine dunkle Ecke in seiner Stadt, die Lars Becker noch nicht abgefilmt hat? Seit über 20 Jahren erzählt der Hamburger Filmemacher seine nachtschwarzen Genre-Stücke über Ordnungshüter mit fataler krimineller Energie und Kriminelle mit fataler ordnungspolitischer Energie. Neo-Noirs, in denen die sich rapide verändernde Stadt im immer gleichen Zwielicht abgefilmt wird. Vielleicht ist das ja die wahre Autorenfilmkunst: Immer wieder neue authentische Drehorte zu finden und diese doch immer gleich abgewrackt aussehen zu lassen - obwohl doch in allen zentralen Vierteln in Hamburg saniert und poliert wird. Die von Becker erdachte und entwickelte ZDF-Reihe "Nachtschicht" ist dafür das bekannteste Beispiel.
In seinem ebenfalls vom Zweiten produzierten Krimi "Unter Feinden", der am Freitag auf Arte Vorpremiere feiert, hat Becker nun ein weiteres Mal den einschlägigen, im Aufwertungstrend befindlichen Straßen zwischen Reeperbahn und Schanze eine Reihe düsterer Settings abgerungen. Begehrte Orte sind das, aber auch kaputte Orte. Der Basketballcourt zum Beispiel, der etwas verloren am gerade ein bisschen aufgeputzten Transenstrich Ecke Schmuckstraße/Große Freiheit vor sich hinmuffelt. Oder ein mit für die Pinneberger Reeperbahn-Touristen mit Astra-Paletten vollgestellter Kiosk ein Stück weiter in der Clemens-Schulz-Straße. Oder ein Hauseingang am gentrifizierten Schulterblatt, der aussieht, als sei er seit 20 Jahren nicht mehr gewischt worden.
So etwas muss man erst mal finden: Hamburg von seiner aufgehübschten Seite - und doch hässlich wie eh und je. Und immer wenn man aus einer der verkehrsgünstig gelegenen Bruchbuden der Antihelden aus dem Fenster guckt, rollt da gerade der Intercity auf der Bahntrasse Altona-Hauptbahnhof vorbei - nach Berlin oder, noch schlimmer, München. In Städte also, in denen man noch viel weniger gerne wäre.
Abgerissene Ösis im abgerissenen Hamburg
"Unter Feinden" ist Lars Beckers hamburgerischster Hamburg-Krimi seit Jahren. Obwohl, sonderbar, der Cast von Österreichern dominiert wird: Nicholas Ofczarek, Fritz Karl und Birgit Minichmayr spielen die Hauptrollen, ihr abgerissenes Ösi-Flair fügt sich allerdings bestens ins abgerissene Hanseatentum. Ebenfalls sonderbar: Die gleichnamige Buchvorlage von Georg Oswald spielt in München, im Original findet der Plot gar auf der Münchner Sicherheitskonferenz seinen Höhepunkt. Auf Anfrage erklärt Hamburg-Filmer Becker konziliant: "Nichts gegen München, aber bestimmte soziale Milieus sind da nun mal doch nicht so präsent."
Die psychologisch austarierte Dreierkonstallation aus Oswalds Vorlage geht allerdings bestens im Hamburger Milieu auf: Da ist Kessel (Karl), ein nervöser, heroinabhängiger Cop, der sich trotz bester Absichten immer wieder in Drogengeschäfte verwickeln lässt. Da ist sein Kollege Driller (Ofczarek), der trotz durchweg schlechter Erfahrungen immer wieder an das Gute in Kessel glaubt, um doch immer wieder in dessen Drogengeschichten reingezogen zu werden. Und da ist Drillers als Krankenschwester arbeitende Ehefrau (Minichmayr), die sich von ihrem Mann Quatsch erzählen und vom Affen schiebenden Kessel um Pillen anbetteln lassen muss. Ein unheilvoll verwachsenes Trio, das sich mit bemerkenswerter Zärtlichkeit immer wieder belügt und betrügt.
Das Lügen und Betrügen zieht sich bis in den aktuellen Fall der Wracks mit Dienstausweis: Es geht um einen angefahrenen Jugendlichen (ein "Unfall" von Kessel und Driller), es geht um einen libyschen Drogenclan (dem Junkie Kessel zuarbeitet), und es geht um einen arabischen Kriegsverbrecher (von dem die beiden auch nicht wissen, ob er denn wirklich einer ist). Ein wahrer Schlamassel, der noch dadurch verstärkt wird, dass den beiden Polizisten eine ehrgeizige, Kopftuch tragende Staatsanwältin (Melika Foroutan) im Nacken sitzt.
Schon in seiner Hamburger "Tatort"-Episode "Der Weg ins Paradies", in der es um islamistische Schläfer-Zellen in Hamburg ging, dekonstruierte Regisseur Becker Migranten-Klischees. Hier nun geht es um eine streng gläubige, durchaus einflussheischende Juristin, die sich aufgrund ihres Kopftuchs immer wieder dem Spott der Beamten ausgesetzt sieht. Der Chef von Kessel und Driller fragt hämisch: "Ist Ihr Kopftuch eigentlich ein Vorteil oder ein Nachteil?" Die Antwort: "Während Sie sich über meine rückständigen religiösen Anschauungen mokieren, kann ich mich ganz auf meine Ermittlungen konzentrieren. Ich denke, das ist ein Vorteil."
Solche lakonischen und doch treffsicheren Dialoge gibt es reichlich in diesem Hamburg-Krimi, in dem das Gestrige und das Morgige hart aufeinander prallen. So wie Krimi-Stilist Dominik Graf letzten Monat im Gentrifizierungs-"Tatort" seinem München einen melancholischen Gruß zuwarf, tut das jetzt Krimi-Stilist Lars Becker mit seiner Heimatstadt. Bleib dreckig, Hamburg.
"Unter Feinden", Freitag, 20.15 Uhr, Arte