Zum Ende der "Lindenstraße" "Panik-Phasen hatte ich natürlich auch"

Schauspielerin Cosima Viola spielte 19 Jahre lang in der "Lindenstraße" mit
Foto: Steven Mahner/ WDRCosima Viola wurde 1988 in Bensberg bei Köln geboren. Sie spielte zunächst im Schultheater, ihren ersten größeren Auftritt hatte sie 1997 bei der Aidshilfe-Gala in einem Sketch mit Hape Kerkeling. Mit zwölf Jahren stieg sie in die "Lindenstraße" ein: Sie spielte bis zum Ende der Serie (der letzte Drehtag fand Ende 2019 statt, die letzte Folge wird am 29. März ausgestrahlt) die Rolle der Jaqueline "Jack" Aichinger - eine rebellische Ostberlinerin, die in schwierigen Verhältnissen aufwuchs und später Mutter von zwei Kindern wurde. Neben ihrer Arbeit als Schauspielerin studiert Viola Psychologie.
SPIEGEL: Frau Viola, Ende des vergangenen Jahres war Ihr letzter Drehtag für "Die "Lindenstraße". Wie ging es danach für Sie weiter?
Cosima Viola: Die Realität unterscheidet sich von Wunschvorstellungen. Ich musste mich im neuen Jahr arbeitslos melden. Das ist ein Aspekt des Schauspielerlebens, den gerade viele meiner Kollegen, die nicht in einer langlebigen Serie mitspielen, gut kennen: Wenn ein Projekt endet und nichts direkt anschließt, meldet man sich direkt arbeitslos. Dann habe ich mich erst mal sortiert. Aktuell habe ich wieder einen Job als Assistentin eines Motivaufnahmeleiters für einen Kinofilm, wobei wir da auch gerade wegen Corona noch in einem Prozess stecken, um herauszufinden, wie es weitergeht.
SPIEGEL: Sie haben das letzte Jahr der Serie nicht schon auf dem Sprung verbracht?
Viola: Hätte man machen können. Die Panik-Phasen hatte ich natürlich auch: "Was mach ich jetzt? Ich muss mir sofort was Neues suchen - und sei es nur ein Kellnerjob!" Das hat mich auf jeden Fall gestresst und kam zusammen mit der emotionalen Belastung, dass ich mich von so vielen Leuten, die ich oft länger als die Hälfte meines Lebens kenne, verabschieden muss. Das war eine fordernde Zeit.
SPIEGEL: Ist Kellnerjob nur eine Floskel - oder sehen Sie Ihre Zukunft im Schauspiel wirklich ungewiss?
Viola: Ich habe eine gute Agentur, ich bin positiv gestimmt. Aber ich bin auch mit der Schauspielerei im Frieden, falls es das jetzt gewesen sein sollte. Ich habe da eine freie Haltung, schließlich bin ich damals auch einfach reingerutscht. Ich hatte daran Spaß als Kind, aber es war nie ein "Ich muss Schauspielerin sein!". Der Job hat ohnehin viel mit Zufall zu tun, damit, am richtigen Ort zur richtigen Zeit sein - und er ist als Frau auch nicht so ohne.

Cosima Viola bei ihrem ersten Auftritt in der 808. Folge der "Lindenstraße" im Jahr 2001
Foto: EckbertReinhardt/ WDR/ obs/ picture allianceSPIEGEL: Was meinen Sie damit?
Viola: Na, dass jemand deine Situation ausnutzen will. Ich will hier keine #MeToo-Erfahrung offenlegen. Aber ich habe schon viele Momente gehabt, in denen ich beim Networken - in den Entscheider-Positionen der Branche sitzen oft Männer - gemerkt habe, wie schwer es ist, ein nettes Gespräch zu führen, ohne dass das Gegenüber plötzlich in eine andere Richtung denkt. Immer dieses: "Da können wir doch abends mal schön Essen gehen." Von der Abhängigkeit, da mitspielen zu müssen, will ich frei sein.
SPIEGEL: Der offizielle Weg in der Branche läuft über Castings. Können Sie sich noch an Ihres für die "Lindenstraße" erinnern?
Viola: Sehr gut sogar, denn das habe ich total verkackt. Wirklich wahr. Ich besaß zwar schon paar Erfahrungen mit Bühne und Kamera, aber beim Casting stand ich neben mir. Ich hatte das große Glück, dass damals das Band nicht aufgenommen hatte. So kannte der damalige Regisseur Dominikus Probst nur meine Vorstellung und ich wurde noch mal eingeladen. Ich schätze die ganze Casting-Besessenheit der Branche auch überhaupt nicht: "Jetzt in diesen 15 Minuten musst du beweisen, was du kannst!" Das halte ich einfach nicht für realistisch - nur weil jemand in dem einen Moment nicht performt, heißt das nicht, dass er es nicht kann. Ich bin selbst das beste Beispiel dafür.
SPIEGEL: Hat der Schauspieljob Ihnen einen Teil Ihrer Jugend genommen?
Viola: Nein, das kann ich so nicht sagen. Ich erinnere mich an einen Schulausflug ins "Phantasialand", an dem ich wegen der Drehpläne nicht teilnehmen konnte, da wurde mir schon bewusst, dass ich ein anderes Leben führte als die anderen Kinder. Trotzdem fällt mir kein Tag ein, an dem ich nicht gern in die "Lindenstraße" gefahren bin. Okay, es gab Tage, da bin ich ziemlich verkatert aufgetaucht, es gab Tage, da bin ich aus dem Klub direkt ins Produktionsauto gestolpert.
SPIEGEL: Betrunken am Set?
Viola: Das war mit 18, 19, wo man eben jede Woche feiern geht. An eine Klassenfahrt erinnere ich mich, da hatte ich zum ersten Mal die Nacht durchgemacht und musste am nächsten Tag zum Dreh, kam völlig fertig am Set an. Der Aufnahmeleiter sah mich lange an und sagte: "Du fährst mal besser wieder nach Hause." Mir waren alle immer wohlgesonnen. Das ist vermutlich auch der Vorteil, wenn man als Kind einsteigt. Alle im Team sehen einen aufwachsen und man sieht sich umgeben von elterlichen Gefühlen.

Cosima Viola in der "Lindenstraße"
SPIEGEL: Hätte die "Lindenstraße" jetzt nicht ein Ende gefunden - hätten Sie selbst weitermachen wollen?
Viola: Mit der Figur der Jack habe ich wirklich viel Glück gehabt - da ging alles, was man sich als Schauspieler wünschen kann: Geburt, Mutterschaft, Verlassen werden, Drogenerfahrungen. Ich hatte bis zuletzt immer meinen Spaß und meine Herausforderungen, ich finde auch viele Aspekte meiner Person in Jack wieder, etwa ihren Gerechtigkeitssinn. Das ist für mich ein Grund dafür, dass ich solange geblieben bin. Man muss außerdem sehen: Es gibt so viel billig produzierten Scheiß da draußen, aber als Schauspieler, der Geld verdienen muss, bist du gezwungen, auch so was zu machen, du kannst es dir nicht aussuchen. Bei der "Lindenstraße" stand ich hinter dem Produkt, hatte ein Auskommen, gute Arbeitszeiten, ein gutes Team.
SPIEGEL: Es gab gar keine Konflikte?
Viola: Natürlich. In der "Lindenstraße" wird gelästert wie in jedem anderen Laden auch. Aber als das Ende absehbar wurde, hat sich vor allem ein Gemeinschaftsgefühl noch mal sehr verstärkt. Selbst ohne Drehbetrieb treffen wir uns weiter in einem Innenhof der Kulisse, trinken Bier zusammen. Natürlich sind da nicht alle dabei, manche sahen das Ende auch unemotional, manche der Darsteller wohnen nicht wie ich in Köln, da ist die Bindung auch noch mal anders. Doch insgesamt hatten Hans und Hana Geißendörfer, die die Serie produzieren, die Gabe, die richtigen Leute zusammenzubringen.

"Lindenstraße": Endspurt!
SPIEGEL: Hatten Sie das Ende absehen können?
Viola: Nicht wirklich. In den Jahren vorher schien die Situation schon mal viel heikler.
SPIEGEL: Also hat die "Lindenstraße" bereits vorher gewackelt?
Viola: Es gab immer mal wieder "Sparmaßnahmen", "Quality Management", solche Sachen, neue Auflagen seitens des Senders. Hofiert wurden wir nicht, das muss man wirklich mal sagen.
SPIEGEL: Maßgeblich gekippt haben ARD und der Bayerische Rundfunk die Serie - von Außen betrachtet hatte man nicht das Gefühl, die Gründe für das Ende würden von den Entscheidern besonders klar vermittelt. Ist die Innenansicht eine andere?
Viola: Nein, uns fehlt auch nach wie vor eine richtige Erklärung. Ich persönlich denke, es hat viel mit dem Zeitgeist zu tun. Wir produzieren billige Klamotten, billiges Essen, billiges Fernsehen - und ein langfristiges, aufwendiges Produkt wie die "Lindenstraße" passt da nicht rein. Aber gerade in Zeiten, in denen rechte Parteien immer mehr Zulauf bekommen, hätte ich mir ein Statement für die Serie gewünscht. Unser Publikum ist sehr heterogen, wir erreichen auch viele Leute, die nicht "Tagesschau" gucken oder Zeitung lesen. Die machen sich auch über die "Lindenstraße" ein Bild von der Gesellschaft. Dass diese Instanz jetzt wegfällt, finde ich - auch als GEZ-Zahlerin - bedauerlich.
SPIEGEL: Das klingt wütend.
Viola: Ich vergleiche das Ende der Sendung gern mit einer Beziehung: Jemandem hinterherrennen, der einen nicht will? Nein, danke! Wenn die ARD das Produkt nicht wertschätzen kann, hat sie es auch nicht weiter verdient.
SPIEGEL: War es nicht auch ein Problem der Quote?
Viola: Die Quote wird ja immer wieder für alles angeführt. Aber erstens darf es einem öffentlich-rechtlichen Sender nicht um Quote gehen. Und zweitens würde man ja auch kein Kind, das in die Schule geht, fragen, wie es Mathe findet - und wenn es dann "Scheiße" sagt, streicht man das Fach. Außerdem sind zwei Millionen Zuschauer auch nicht nichts.
SPIEGEL: Wissen Sie schon, wie Sie die letzte Folge gucken werden?
Viola: Das weiß ich noch nicht, ich neige aber dazu, mich sehr bedeutungsschwangeren Ereignissen ein Stück weit zu entziehen. Könnte mir gut vorstellen, dass ich es laufen lassen, während ich die Wäsche aufhänge oder so.
Die letzte Folge der "Lindenstraße" läuft am 29. März um 18.50 Uhr in der ARD.