
"Living with Yourself": Im Spa zum neuen Ich
Netflix-Serie mit Paul Rudd Ich, einfach verbesserlich
Sie kennen Paul Rudd nicht? Das ist schade, aber verständlich - und möglicherweise stimmt es auch gar nicht.
Sie haben vielleicht doch schon eine Komödie mit ihm gesehen, "Immer Ärger mit 40" etwa, und können sich nur nicht an sein Gesicht erinnern. Paul Rudd, das ist der netteste Darsteller in ganz Hollywood, der wahnsinnig sympathische, verstrubbelte, tollpatschige, spinnerte Männerfiguren spielt.
Sogar als Superheld bringt er Ironie und Understatement in das "Marvel Cinematic Universe": Während das sich vor lauter Bombast immer weiter ausdehnt, schrumpft seine rundum freundliche Figur "Ant-Man" auf Insektengröße. Das Problem von Paul Rudd ist nur: Nett verfängt schlecht. Nett ist schnell vergessen.
Nicht so seine erste Netflix-Serie "Living with Yourself". Darin geht es darum, dass es Paul Rudd plötzlich doppelt gibt. Das scheint sogar Paul Rudd zu viel zu sein, jedenfalls bekommt diese Serie eine ganz entschieden düstere Klangfarbe. Was routiniert abgespulte Comedy hätte werden können, entwickelt kleine Widerhaken, die man als Zuschauer nicht schnell wieder abschütteln kann. "Living with Yourself" ist vieles, aber nicht nett.

"Living with Yourself": Im Spa zum neuen Ich
Das fängt schon mit Rudds Hauptfigur Miles an: Anfangs findet man diesen Schluffi noch ganz süß, der weder von Ehefrau Kate (Aisling Bea) noch von den Kollegen in der Werbeagentur ernst genommen wird. In seiner allerersten Szene erschlägt dieser Miles eine Fliege. Unbeholfen und harmlos wirkt das zunächst, aber darin liegt mehr: Miles' Trägheit und Selbstbezogenheit, seine schlechte Laune und sein unerträglich passiv-aggressives Selbstmitleid sind unerträglich. Er hält sich ja selbst kaum aus.
Seine Chance auf Veränderung sieht Miles gekommen, als ein Kollege ihm ein Spa empfiehlt, das aus ausgelaugten Mittelklasse-Mimosen angeblich rundumerneuerte Erfolgstypen macht, die das Leben lieben. Was Miles nicht ahnt: Dieses Spa arbeitet nicht mit Massagen und Akupunktur, sondern es klont seine Klienten. Die alte Version wird kurzerhand entsorgt, die neue bebt geradezu vor Tatendrang.
In Miles' Fall allerdings geht dabei einiges schief, so dass es bald zwei lebendige Versionen seiner Selbst gibt, die sich sehr schnell gegenseitig an die Kehle wollen. Der neue Miles ist ein Strahlemann, der mit seiner Lebensfreude die alte Version in den Wahnsinn treibt. Dennoch versuchen sie, sich zu arrangieren: Der eine übernimmt die Bühne, auf der er Arbeitskollegen und Kate begeistert, der andere schreibt an dem Theaterstück, das er schon lange fertigstellen wollte. Ein wackliger Burgfrieden, der nicht lange halten kann.
"Be the best you can be", so lautet der Werbeslogan des ominösen Wellnesstempels. "Living with Yourself" macht aus diesem Motto eine dunkle Satire über Selbstoptimierung in einer Welt, die in allen Lebenslagen Leistung einfordert: Im Job sowieso, zu Hause aber auch, wenn nach der beruflichen Verwirklichung ganz selbstverständlich die Familiengründung ansteht.
Das Regie-Paar Jonathan Dayton und Valerie Faris nutzt Comedy erneut als Vehikel für einen im Kern bitteren Kommentar - wie schon in ihrem Kinofilm "Little Miss Sunshine", mit dem sie 2006 einen Überraschungshit landeten. Die beiden sind bekannt für intelligente Entscheidungen in Sachen Dramaturgie und Regie, die große Wirkung entwickeln. Hier ist es vor allem die Idee, die Geschichte aus wechselnden Perspektiven zu erzählen - mal aus dem Blickwinkel des alten, mal des neuen Miles.
Zudem perforieren immer wieder Nadelstiche die Comedyhülle mit ihrem lustigen Versteck- und Verwechslungsspiel: Blutige Schweinehälften landen auf Windschutzscheiben, ein alter Mann erzählt verstörende Witze aus dem Konzentrationslager Birkenau, Spa-Kunden buddeln im Wald nach Leichen. Und der doppelte Miles lädt sich auf zum Symbol für zersplitternde Männerbilder.
Aber keine Sorge, "Living with Yourself" bleibt unbedingt unterhaltsam. Denn da ist ja noch der nette Herr Rudd, der hier zwar in bisher ungeahnte Tiefen seiner Figuren vordringt, die Geschichte aber dennoch zusammenhält und ihre schorfigen Ränder zu glätten versteht.