
"Schimanski": Der letzte Punk
Götz George als "Schimanski" Der letzte Punk
Irgendwann wandert alles ins Museum. Jede Revolution, so groß sie war, lässt sich später in einer Vitrine ausstellen. Schimanskis Jacke, eine beige gefärbtes Militärkleidungsstück, bei dem man die Schulterklappen abgerissen hatte, war so eine Revolution. Genauer: Der Mann, der in ihr steckte, war eine. Ein extrem subjektiver, latent gewaltbereiter und offensiv ungepflegter Hallodri. So was hatte man unter deutschen Fernsehkommissaren noch nicht gesehen. So wie Götz George ab 1981 seinen Horst Schimanski beim Duisburger "Tatort" spielte, überwältigte er das deutsche Fernsehen.
Zu Recht hängt Schimanskis Jacke seit vielen Jahren schon im Berliner Filmmuseum. Als Erinnerung an den großen Umbruch, als der gutbürgerliche und stets korrekte deutsche Fernsehkrimi plötzlich explizit politisch, explizit parteiisch wurde.
Als - Scheiße! - Punk plötzlich Mainstream im TV wurde.
Götz George, der im Herzen Punk geblieben ist, gibt sich in seiner Rolle als Horst Schimanski weniger weihevoll, wenn es um die Inszenierung der eigenen Vergangenheit geht: Am Anfang der neuen "Schimanski"-Episode kramt er in einem Karton herum, in dem gleich ein paar Exemplare der ollen M-65-Feldjacken rumknautschen. Eine ist zerschossen, eine andere verkohlt, alle sind dreckig. Schimanski wirft sich einen der Lumpen um; schon ist er, obwohl seit über einem Jahrzehnt in Rente, wieder im Einsatz für die gute Sache.
Guter Lude, böser Lude
Doch was ist in Duisburg anno 2013 eigentlich die gute Sache? Die Grenzen sind unübersichtlicher geworden. Früher war alles ganz einfach: Zu Zeiten der großen Arbeitskämpfe in Duisburg mischten sich Schimanski und sein damaliger Partner Thanner (gespielt vom 1994 verstorbenen Eberhard Feik) unter die streikenden Stahlwerker und skandierten mit gegen die Mächtigen von ThyssenKrupp. Heute, im neuen aufgehübschten Dienstleistungs-Duisburg, gibt es keine Solidaritätsfronten, in die sich Schimanski einreihen könnte. Es gibt ja auch keine Arbeiter mehr.

Götz George als Horst Schimanski: Schönes dreckiges Duisburg
Zuhälter und Prostituierte aber, die andere wichtige Personengruppe, der Schimanski während seiner Jahre im Dienst immer wieder begegnet ist, gibt es weiterhin reichlich. Das Rotlichtgewerbe ist erhaben über alle Zeitenwenden, käuflicher Sex kennt keine Marktschwankungen. Ausgerechnet ein im Gefängnis einsitzender Zuhälter bittet Schimanski im neuen Fall um Hilfe: Die 14-jährige Tochter des Kriminellen, die bei Mutter und Stiefvater lebt, wurde von einem sogenannten Loverboy verführt, einem Handlanger aus dem Rotlichtmilieu, der Mädchen ihren Elternhäusern abspenstig macht, um sie dann Zuhältern zuzuführen. Guter Lude, böser Lude: Schimanski gerät zwischen die Fronten im Duisburger Rotlichtmilieu.
"Der Pott heißt jetzt iPod", wird einmal in diesem angenehm aus der Zeit gefallenen Krimi-Stück gesagt. Das iPod-Duisburg kriegt der Zuschauer aber nicht zu sehen, stattdessen wird eine Art mythisch überhöhter Pott aus Pommesbuden und pittoresken Puffs errichtet. Ein großer Etat, so klagt George, stand für diese Weltenschöpfung nicht zur Verfügung. Die Liebesbeziehung mit seinem Haussender, dem WDR, kriselt angeblich. Beim Sender will man davon nichts wissen: Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE erklärt man dort, dass man immer wieder mit dem hochgeschätzten Schauspieler einen "Schimanski" drehen werde. Wenn er denn wolle.
Oft fällt er, niemals geht er kaputt
Es fällt und steht eben alles mit Götz George. Die Macht des Faktischen? Wird in der "Schimanski"-Folge "Loverboy" (Regie: Kaspar Heidelbach, Buch: Jürgen Werner) von ihm einfach ausgetrickst. Er spielt seinen Schimanski als biologischen und gesellschaftlichen Ausnahmezustand.
George ist mit seinen 75 Jahren noch immer der alte Überwältigungsschauspieler, der sich instinktiv sicher in die Kulissen schmeißt, der in den Action-Szenen noch immer ein unglaubliches Timing an den Tag legt. Etwa wenn er als Schimanski auf der Flucht vor Rotlichthandlangern einen Stuhl als Schlaginstrument benutzen will, einer der Luden aber sanft drohend mit dem Zeigefinger wedelt und er den Stuhl dann entschuldigend lächelnd auf dem Boden abstellt.
Ein grandioser, leichtfüßiger Witz steckt in solchen Szenen - die doch gleichzeitig frei sind von Ironie, diesem Geschwür der Action-Postmoderne. Nein, George zwinkert nicht, wenn er sich als Schimanski der Übermacht von Kriminellen entgegenwirft. Er grinst auch nicht blöde, wenn er mal wieder auf dem Boden liegt. Wenn er fällt, dann sieht das aus, als ob es ziemlich wehtut. Und er fällt oft in diesem "Schimanski". Nur kaputt geht er eben nicht.
Am Ende, so viel darf man sagen, steht er dann in einem der letzten Stahlwerke im Pott. Der Stahl kocht lodernd in den Öfen, Schimanski schaut melancholisch von einer Eisenbrücke ins grelle Orange. Arnold Schwarzenegger, der sich selbst schon vor langer Zeit "Last Action Hero" nannte, ist am Ende vom zweiten "Terminator" in fast identischer Kulisse als stählerne Kampfmaschine eingeschmolzen worden. Götz George, Deutschlands allerletzter Action Hero, kommt da lebend raus.
Trotzdem, das ist die traurige Ahnung, die am Ende mitschwingt, könnte diese unter vielen Schmerzen der Fernsehwirklichkeit abgerungene "Schimanski"-Folge gut die letzte sein.
"Schimanski: Loverboy", Sonntag, 20.15 Uhr, ARD