Markus Lanz in Not Der Christian Wulff des Showgeschäfts

Markus Lanz ist in einer Situation, wie vor ihm zuletzt Christian Wulff: Was er auch macht, er hat die Öffentlichkeit gegen sich. Nun könnte jede Sendung zum Endspiel für ihn werden. Ganz besonders "Wetten, dass..?" am kommenden Samstag.
ZDF-Moderator Lanz: "Wenn der Shitstorm kommt"

ZDF-Moderator Lanz: "Wenn der Shitstorm kommt"

Foto: Dominik Bindl/ Getty Images

Es ist zu spät. Gerne eilte man durch die Ränge und riefe mit Franz Kafka das "Halt!" durch "die Fanfaren des immer sich anpassenden Orchesters". Aber es ist nicht mehr aufzuhalten.

Mehr als 130.000 Menschen haben die Petition für die sofortige Absetzung eines Mannes unterzeichnet, der kein osteuropäischer Diktator oder arabischer Henker ist - sondern Moderator beim ZDF. Am Donnerstag war die entsprechende Seite  kurzfristig nicht erreichbar: "Too many connections". Dabei bleiben noch 53 Tage, um dort per Mausklick und aus sicherer digitaler Distanz sein eigenes kleines Steinchen auf Markus Lanz zu werfen.

Ausgelöst hat die Lawine eine Zuschauerin, die Sahra Wagenknecht in "Markus Lanz" von Markus Lanz ungehörig behandelt sah und forderte: "Raus mit Markus Lanz aus meiner Rundfunkgebühr". Längst geht es nicht mehr um den journalistisch unlauteren Umgang mit einer Politikerin der Linkspartei, die sich im Zweifel durchaus selbst zur Wehr setzen kann. Es geht nicht einmal um die Verantwortlichen beim ZDF, die Lanz einst einstellten und auch jetzt noch so nibelungentreu zu ihm stehen, wie man sich das von einem integren Arbeitgeber nur wünschen kann - obwohl inzwischen selbst auf dem Lerchenberg die Spatzen von den Dächern pfeifen, dass der Mann alles andere ist als ein Ausnahmetalent.

Neue Situation

Mag sein, dass Lanz mit "Wetten, dass..?" verfahren ist wie Käpt'n Schettino mit der "Costa Concordia". Mag sein, dass ihm unter dem erhöhten Druck der Beobachtung seine Talkshow ins Inquisitorische verrutscht ist. So what? Über Wohl, Wehe und Weiterbeschäftigung ihrer Moderatoren entscheiden die Sender. Bisher taten sie das auf Grundlage eines eher passiven Zuschauerverhaltens: Wer weder Freund noch Feind in ausreichender Zahl für seine Arbeit interessieren konnte, war schnell weg vom Bildschirm. Es ist die klassische Fernbedienungslösung, die offenbar gerade ausdient.

Neu ist, dass erstmals aktiv Zuschauer in so großer Zahl die Entfernung eines unliebsamen TV-Dienstleisters fordern; es war ja auch noch nie so einfach. Paradoxerweise bedeuten die Unterschriften gegen Markus zugleich ein außerordentliches Interesse für seine Arbeit. Hier haben wir es mit einer neuen Quantität kritischer Stimmen zu tun, die nicht mit einer Qualität der Kritik verwechselt werden darf. Schließlich ist die Schwelle zu Äußerungen im Netz umso niedriger, je größer die Empörung ist.

Und ob nicht beim Unterstützen der Petition die freudige Erregung darüber eine Rolle spielt, sich im Schutz der Anonymität endlich mal ganz direktdemokratisch und persönlich an einer Treibjagd beteiligen zu können, muss jeder der Unterzeichner für sich selbst entscheiden. Wäre das Wild erlegt, was käme als Nächstes? Haben wir einen Grund zur Freude auf die Gestalten, die an die Stelle von Markus Lanz treten würden? War Johannes B. Kerner wirklich besser - oder der erregungslustige Pöbel im Internet seinerzeit einfach noch nicht organisationsfähig?

Und wenn das Beispiel Schule machen würde, wer sollte als Nächstes "aus meiner Rundfunkgebühr" verschwinden? Veronica Ferres, Christine Neubauer, Marietta Slomka? Wir haben doch schon das Fernsehen, das wir verdienen. Und es darf bezweifelt werden, dass es besser würde, wenn wir die Personalentscheidungen pseudodemokratisch auslagerten.

"Stahlgewitter"

Im Netz kursieren längst suggestive Zusammenschnitte seiner Anmoderationen, die Lanz schlechter aussehen lassen, als er ist. Und die Seite www.hat-markus-lanz-etwas-aufgedeckt.de  beantwortet diese Frage jeden Tag aufs Neue mit einem dicken: "Nein." Dabei hat Lanz, obwohl eben kein investigativer Journalist, dieser Tage durchaus etwas aufgedeckt - und sei es nur den fröhlichen Vernichtungswillen einer "Netzgemeinde", die sich allesamt an der virtuellen Macht ihrer zum Shitstorm gebündelten Ressentiments erfreuen, begleitet von den Fanfaren eines sich anpassenden Medienorchesters.

Für Markus Lanz, der nun auch an der bisher ruhigen Front seiner täglichen Talkshow unter Beschuss steht, ist jede weitere Sendung ein weiteres Endspiel. So auch "Wetten, dass..?" am kommenden Samstag. Was er auch macht, er macht es falsch. Und wenn er es falsch macht, dann ist es auch nicht richtig.

In ihrer Ausweglosigkeit erinnert seine Lage an den späten Christian Wulff. Der hatte seinen Mitarbeitern in Bellevue noch kurz vor seinem Sturz prognostiziert, dass "dieses Stahlgewitter bald vorbei" sei: "In einem Jahr ist das alles vergessen." Ganz ähnlich klang Lanz vor einiger Zeit in einem Interview mit dem "Stern": "Wenn der Shitstorm kommt, müssen Sie in der Lage sein, gedanklich einfach mal die Spülung zu drücken. Wenn Sie das nicht tun, gehen Sie kaputt."

Wenn er allerdings jetzt die Spülung drücken sollte, dürfte das die Toilette kaum mitmachen - und ihm die Scheiße bald bis zu den Hüften stehen. Nein, in seiner Haut möchte man derzeit nicht stecken. Auch wenn sie vermutlich sehr, sehr dick ist. Vielleicht kann er deswegen nicht aus ihr heraus. Wer das einem Menschen ernsthaft zum Vorwurf machen möchte, kann gerne unterschreiben. Er wäre der Nächste auf einer Liste, deren schiere Länge mehr über das Wesen der digitalen Öffentlichkeit verrät, als uns allen lieb sein kann.

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