Exklusivvertrag mit Apple Martin Scorseses Strategie in den Streaming Wars

Der Glaube an das Kino ist offenbar dahin. Doch der Verdrängungswettbewerb der Streamingkonzerne sorgt dafür, dass Scorsese auch weiterhin sehr teure Filme drehen kann - wie einige andere Regiestars.
Scorsese-Film "The Wolf of Wall Street" mit Leonardo DiCaprio (2013)

Scorsese-Film "The Wolf of Wall Street" mit Leonardo DiCaprio (2013)

Foto: Mary Cybulski / Paramount Pictures / AP

180 bis 200 Millionen US-Dollar soll Martin Scorseses neuer Spielfilm "Killers of the Flower Moon" kosten. Das entspricht dem Budget einer klassischen Kinogroßproduktion. Nur: Das Kino gibt es zurzeit ja eigentlich gar nicht mehr. Erst wurde die alte Lichtspielkunst durch den Siegeszug von Streaminganbietern wie Netflix und Amazon in Bedrängnis gebracht, dann durch Covid-19 in eine Krise gestürzt, von der es sich möglicherweise nie mehr erholt.

"Killers of The Flower Moon", ein Projekt, das der Regisseur wieder mit Leonardo DiCaprio als Hauptdarsteller entwickelt, klingt erst mal nach einem klassischen Scorsese-Kino-Epos: Es erzählt von Morden an Indianern im Oklahoma der Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts und wie sich durch die Untersuchungen das FBI etablierte. Exzessive Gewalt, historische Settings, komplexe Figurentableaus - man darf mit den üblichen, eigentlich auf die große Leinwand abgestimmten Inszenierungstechniken des "GoodFellas"- und "Gangs of New York"-Schöpfers rechnen.

Regisseur Scorsese (im Januar)

Regisseur Scorsese (im Januar)

Foto: Michael Tullberg / Getty Images

Tatsächlich hatte Scorsese, 77, den Film auch mit dem Studio Paramount geplant, dann kam Apple mit an Bord. Paramount wird den Film aller Voraussicht nach auch noch in die Kinos bringen (oder was im Erscheinungsjahr 2021 noch von der Kinolandschaft übrig ist), doch man muss der Wahrheit ins Gesicht sehen: "Killers of The Flower Moon" ist jetzt vor allem ein Apple-Produkt, das die Kunden des Streamingdienstes Apple TV+ an das Haus binden soll.

Kinogiganten in Goldenen Fernsehzeiten

Im Moment tobt eine gigantische Schlacht der großen Fernsehanbieter: Netflix und Amazon sowie seit Kurzem auch Disney+ und Apple TV+ buhlen um Abonnenten, die Kinogiganten gelten offenbar auch in den Goldenen Zeiten des Fernsehens als Leistungsträger. Und Scorsese hatte ja auch schon vorher bewiesen, dass er sich in den zurzeit tobenden Streaming Wars sehr wohlfühlt. Für Amazon hatte er 2016 die Musikindustrie-Räuberpistole "Vinyl" als Serie entwickelt, für Netflix brachte er sein Gangsterepos "The Irishman" als Kino-TV-Hybrid an den Start.

Hybrid-Epos: Scorseses "The Irishman" (2019) mit Al Pacino (M.) Robert De Niro (r.)

Hybrid-Epos: Scorseses "The Irishman" (2019) mit Al Pacino (M.) Robert De Niro (r.)

Foto: Netlfix

Wie nun das Branchenmagazin "Variety"  berichtet, soll Scorseses Deal mit Apple umfassender sein als zuvor mit den beiden anderen Plattformen. Mit seiner Firma Sikelia Productions soll sich der Regisseur längerfristig an den Tech- und TV-Anbieter gebunden haben. Damit folgt er seinem Freund DiCaprio, der schon letzte Woche bekannt gegeben hatte, mit seiner eigenen Firma einen Exklusivvertrag mit Apple abgeschlossen zu haben.

In beiden Fällen sollen die aus den Deals hervorgehenden Produktionen zuerst als Streamingangebot ausgewertet werden, bevor sie dann (möglicherweise) einen Kinostart bekommen. Ein nicht unerhebliches Zugeständnis des cine-manischen Scorseses, der seinen "Irishman" immerhin mit Netflix' Gnaden im Kino Premiere feiern lassen durfte, bevor er zwei Wochen später gestreamt wurde.

Apple im Einkaufsrausch

Scorsese und DiCaprio finden sich auf einer langen Liste mit anderen Kinogrößen, die weitreichende Vereinbarungen mit Apple getroffen haben. Sie reicht vom Schauspielstar Idris Elba über das Arthouse-Genie Alfonso Cuarón (sein "Roma" drehte er noch für Netflix) bis zum Hollywoodtycoon Steven Spielberg - der trotz seiner Apple-Verpflichtungen keine Probleme hat, für den Plattform-Neuzugang Quibi eine Horrorserie zu entwickeln.

Die alten Kinomeister lassen sich also mit verlockenden Angeboten auf die pixelige Seite der Macht ziehen. Paradox: Denn auch, wenn die Streaminganbieter Scorsese und Co. für die neue Bildschirmkunst aktivieren, legen sie in ihren Vermarktungsstrategien doch größtmögliche Distanz zum Kino an den Tag. Gerade gab Disney zum Beispiel bekannt, die lang angekündigte Realfilmversion des Blockbuster "Mulan" vorrangig über das hauseigene Streamingprogramm auszuwerten.

Der Glaube an das Kino ist offenbar dahin. Das zeigt sich auch in einer weiteren Maßnahme des Unterhaltungsriesen: zu den vielen Marken, die unter dem Disney-Dach vereint waren, gehörte bis vor Kurzem auch 20th Century Fox. Ein Name, der aus dem vor 85 Jahren gegründeten Filmstudio hervorging. Gerade wurde bekannt, dass die Disney-eigene Firma 20th Century Fox Television in 20th Century Television umbenannt wird. Das mag auch damit zu tun haben, dass der sich unpolitisch gebende, auf Familienunterhaltung ausgerichtete Konzern nicht mit dem rechtspopulistischen Fox News in Verbindung gebracht werden will - Disney hatte zuvor bis auf den Nachrichtenkanal sämtliche Medienbeteiligungen Rupert Murdochs an Fox erworben.

Doch die Tilgung der traditionsreichen Kinomarke Fox bei Disney erfolgt eben auch in einer Zeit, in der die großen Bewegtbildanbieter immer stärker ihre Verbindungen zum Kino kappen. Auch wenn die Unterhaltungskonzerne weiter Milliarden von Dollar im großen Streaming-Verdrängungswettbewerb raushauen - der forcierte Abschied vom Kino wirkt doch wie eine Selbstverzwergung.

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