
Fotograf Bert Stern: Girls und etwas Philosophie
Starfotograf Bert Stern Das Kind, das Marilyn nackt sah
Diese unsterblichen Frauen, Bert Stern hatte sie alle: Audrey Hepburn, Brigitte Bardot, Twiggy und Elizabeth Taylor. Zumindest vor seiner Kamera. Seine Bilder von Marilyn Monroe, veröffentlicht unter dem Titel "The Last Sitting" haben auch ihn unsterblich gemacht. Er ist ihr wie kein anderer Fotograf nahegekommen. "Willst du mich nackt", fragte sie ihn beim Shooting, wenige Wochen vor ihrem Tod, und offenbarte ihm ihre Narben. Er wollte, das Foto und sie.
Was er bekam, davon erzählt die Dokumentation "Bert Stern - The Man Who Shot Marilyn", die Arte zu 50. Todestag von Marilyn Monroe am 5. August zeigt. Anders als der Titel suggeriert, ist der Film eher eine Geschichte über den Fotografen als über sein Modell - erst nach der Hälfte der neunzig Minuten kommt Monroe vor.
Der englischsprachige Originaltitel - "Bert Stern: Original Madman" - trifft es besser. Stern, geboren 1929, war ein Star der jungen Werbeindustrie in den sechziger Jahren; eine Art Don Draper also, wie die berühmte Hauptfigur der ikonografischen US-TV-Serie "Mad Men" heißt. Stern revolutionierte die Werbung und trug dazu bei, dass man begann von Starfotografen zu reden.
"Ich liebe Frauen und Fotografie", sagt Stern. Bilder machen und Liebe machen, für ihn lag das beieinander. Mit vielen seiner Modelle hatte er Sex, Affären, Liebesbeziehungen, Ehen - wie auch immer. Shannah Laumeister, die den Film gedreht hat, bat ihn mit 17, sie zu fotografieren. Wie Marilyn damals.
Kubrick in der Poststelle
Seit 20 Jahren haben sie seitdem eine enge Beziehung, und die daraus resultierende Nähe ist die Stärke des Films. Laumeister bringt Stern dazu, vor der Kamera zu reden, was er eigentlich hasst. Manchmal wird er richtig wütend dabei. Aber er ist doch zu selbstverliebt, um zu schweigen. Also erzählt er von seinem schillernden Leben. Bis zum Absturz.
Die ersten Fotos schoss Bert Stern als Soldat im Koreakrieg. Als Hilfskraft in der Poststelle des "Look Magazins" hatte er in New York Stanley Kubrick getroffen, der in ihm die Lust aufs Fotografieren weckte. Eine Werbekampagne für Smirnoff machte ihn zum Star. Der Wodkaumsatz vervielfachte sich - und alle wollten Stern. Er wurde "Vogue"-Fotograf und bekam alles. Und vor allem alle, die er wollte.

"Wenn ich etwas will, dann werde ich besessen davon, ich muss es haben, also fotografiere ich es, dann gehört es mir", sagt Bert Stern im Film. Und dieser obsessive Blick wirkte sich auf seine Beziehungen aus. Es ist berührend, wie er und Allegra Kent, damals weltberühmte Ballerina, den Untergang ihrer Ehe beschreiben. Mit kaum 30 Jahren hatte Allegra bereits drei Kinder mit Stern, sie tanzte, er arbeitete im Studio, so blieb mancher Traum auf der Strecke.
Der alte Mann im Bademantel und die zerbrechlich wirkende, vom Leben gezeichnete Ballerina erzählen Jahrzehnte später von Leidenschaft, Eifersucht, Drogen. Die Verletzungen sind noch zu spüren, all die unaufgearbeitete Vergangenheit. Nur zwei Frauen, sagt Stern, hätten ihn wirklich interessiert: Allegra Kent - und Marilyn Monroe.
Twiggys Lieblingsphilosoph
Vor allem ins Bett mit der Monroe will er, als Stern sie 1962 für die "Vogue" im Bel Air Hotel in Los Angeles fotografieren soll. Er bringt Juwelen und Tücher mit. Sie schlägt Aktfotos vor.
Ein paar Tage später macht er noch einmal Aufnahmen von ihr, erst in Kleidern, dann: sie nackt auf dem Bett. Als Kind, das mit Marilyn Monroe rummachen wollte, bezeichnet Stern sich. Als es damit nichts wurde, war das Foto das Zweitbeste, was er bekommen konnte. Die Bilder, von denen sie manche mit knallorangefarbenem X zensierte, der Erfolg des Bildbandes "The Last Sitting", all das ist Geschichte. Ebenso wie Monroes Tod, den Stern nicht fassen konnte. "Ich wusste nicht, was für Dämonen sie trieben", sagt er.
Leben und Arbeit, das konnte Bert Stern nicht trennen. Bald schaffte er das Pensum von bis zu sieben Shootings am Tag nur noch unter Drogen. Der Absturz. Ein Neubeginn. Und noch mal ein Erfolg - mit Lindsay Lohan in der Rolle der Marilyn, mit der er "The Last Sitting" wiederholte.
Freunde, Kollegen, Ex-Frauen und seine Töchter flankieren mit ihrer Sicht auf die Dinge die Erzählungen Sterns. Dazu kommen Fotos und Filme aus den Fünfzigern und Sechzigern, darunter die köstliche Szene, in der Woody Allen das Model Twiggy nach ihrem Lieblingsphilosophen fragt.
Der offensichtlich liebende Blick der Filmemacherin fängt mit der Kamera intime Bilder ein: Bert Stern mit mehr als achtzig Jahren, inmitten Tausender Fotos und Negative, Aufnahmen der schönsten Frauen der Welt. Was er mit alledem tun soll, fragt er. Und warum er bloß so jung schon so glücklich gewesen sei? Er hatte sie alle. "Doch was habe ich nun?"
"Bert Stern - The Man Who Shot Marilyn", Sonntag, 5. August, 16.55 Uhr, Arte