"Illner" zu Agenda-Korrekturen "Mit der Glaubwürdigkeit der Sozialdemokratie ist das so 'ne Sache"

Malu Dreyer (SPD), Jens Spahn (CDU), Moderatorin Maybrit Illner, Ökonom Peter Bofinger, Ökonom Michael Hüther (v.l.n.r.)
Foto: imago/ Metodi PopowDie Sendung: "Zurück in die Zukunft - weniger Agenda, mehr Gerechtigkeit?", fragte Maybrit Illner. Das klang fast, als handele es sich um ein Stück politische Science-Fiction. Die Realität sieht indes so aus, dass dem SPD-Kanzlerkandidaten 2017 mit seinen angestrebten Korrekturen erst mal ein Wahlkampfcoup gelungen ist, der reichlich Diskussionsstoff liefert. Und es kann dabei sogar vergleichsweise moderat zugehen, wie sich in der Sendung zeigte.
Die Gäste: Jens Spahn (CDU), Finanzstaatssekretär und Verfechter einer "Agenda 2025"; Malu Dreyer (SPD), Schulz-beflügelte Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz; Peter Bofinger, Agenda-skeptisches Mitglied des Rats der "Wirtschaftsweisen"; Michael Hüther, Schulz-kritischer Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW); Mike Szczeblewski, arbeitsloser ehemaliger Opel-Werker in Bochum; Inge Hannemann, Hartz-Kritikerin und ehemalige Arbeitsvermittlerin, die es ablehnte, Sanktionen anzuordnen.
Das Szenario: Eine Erfolgsgeschichte nennen Kanzlerin Merkel und CDU die Agenda 2010, während die SPD mit dem Schulz-Effekt den Schröder-Defekt zu reparieren versucht. Dabei beteuerte Dreyer, man wolle "nicht zurück" zu den Zeiten vor 2005, sondern es gehe um eine Weiterentwicklung. "Wollen wir dauerhaft Arbeitslosigkeit finanzieren oder uns um neue Jobs kümmern?", fragte mehr rhetorisch Spahn. Bezüglich der Fragen von Qualifikation und Umschulung herrschte Konsens, dass hier noch sehr viel zu tun sei und zielgenauer gearbeitet werden müsse. Die Erfahrungen des Ex-Opel-Werkers illustrierten das. Hüther etwa bemängelte, zentrale Umschulung sei wirkungslos und überdies Hartz IV unterfinanziert. Bofinger forderte generell mehr Personal für die Jobcenter und Dreyer "ganz neue Ansätze".
Atmosphärisches: Insgesamt ging es problembewusst und relativ sachlich zu. Einmal allerdings, als Illner mit dem "roten Schwarzmalen" das Stichwort lieferte, konnte Spahn dann doch nicht an sich halten. Ja, es gebe ein Ungerechtigkeitsempfinden, räumte er ein. Doch Martin Schulz zeichne von Deutschland, das wirtschaftlich so gut dastehe wie noch nie, ein "Zerrbild". Und das sei "mindestens genauso schlimmer Populismus wie von anderer Seite". Der Mann aus dem Ruhrgebiet sagte es auf seine Weise: "Mit der Glaubwürdigkeit der Sozialdemokratie ist das immer so 'ne Sache." Vor den Wahlen werde viel versprochen - hinterher heiße es dann, es liege an der Koalition, dass nichts daraus geworden sei.
Professorales: Ob die Arbeitsmarktgesetze den Menschen mehr genutzt oder geschadet haben, darüber streiten auch immer noch die Gelehrten - so wie diesmal Bofinger und Hüther. Im Gegensatz zu Letzterem fand der Wirtschaftsweise die Agenda stark überschätzt und führte eine Reihe anderer zeitgeschichtlicher Faktoren - unter anderem die jahrelange Lohnzurückhaltung - für den Wohlstandszuwachs an, der "sehr ungleich angekommen" sei. "Der Kuchen ist gewachsen ohne die Agenda." Schulz habe mit seinen Plänen "absolut recht". Als Mittel gegen das Absturzrisiko empfahl Bofinger die Wiedereinführung der früheren Arbeitslosenhilfe. Durch längere Zahlung auch des Arbeitslosengeldes werde im Übrigen "kein BMW weniger im Ausland verkauft".
Persönliches: Illner wollte wissen: "Brauchen wir Sanktionen?" Die frühere Vermittlerin Hannemann, Befürworterin des bedingungslosen Grundeinkommens, berichtete, zu ihr seien fast alle ganz ohne Druck und Drohung wiedergekommen, nur habe sie ihnen leider keine Jobs anbieten können und daher mit ihnen über Politik geredet. Der Opel-Werker a.D., dem mit seiner Familie bald Hartz IV bevorsteht, weil er als Facharbeiter keine unterbezahlte Leiharbeit annehmen will, sollte sagen, ob er Angst hat und erklärte fest: "Ich kenne keine Angst." Spahn wurde gefragt, ob er sich solch eine Situation für sich selbst überhaupt vorstellen könne, was er erwartungsgemäß so nicht bestätigen mochte. Eines stand für ihn aber dennoch außer Zweifel: "Ein bisschen Druck braucht jeder von uns." Von Dreyer gab es ein klares Nein auf die Frage, ob schlecht bezahlte Arbeit besser sei als gar keine. Womöglich werde doch etwas zu viel gefordert und zu wenig gefördert.