"Illner" zu deutschen Erdogan-Fans "Türkische Reichsbürger"

Diskussionsrunde bei "Illner"
Foto: ZDF/ Svea PietschmannDie Sendung: Selbst in einer Demokratie leben und den Menschen in der alten Heimat das Gegenteil an den Hals wählen - wie passt das zusammen? Dies ist eine der vielen Fragen, die sich nach dem türkischen Referendum stellen. "Erdogans deutsche Fans - stolz, frustriert und fremd?", titelte Maybrit Illner, nachdem der Ober-Türke sich herzlich bei seinen Unterstützern in Deutschland bedankt hat. Eine gut gemischte Runde suchte nach Antworten. Dabei ging es munter zur Sache - allerdings mit viel bitterem Beigeschmack.
Die Gäste: Alexander Graf Lambsdorff (FDP), Vizepräsident des EU-Parlaments; Serap Güler, integrationspolitische Sprecherin der CDU im NRW-Landtag; Bülent Bilgi, Generalsekretär der AKP-nahen Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD); Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschlands (KGD) und CDU-Mitglied; Andrej Hunko (Die Linke), Europarat-Wahlbeobachter beim Referendum; Mustafa Karadeniz, deutsch-türkischer Unternehmer und Nein-Sager.
Die Diskussion: Es begann mit einer Wahlnachlese und endete bei der Frage, wie es mit der EU und der Türkei weitergehen soll. Zur deutschen Erdogan-Anhängerschaft fielen einige deutliche Worte, wie auch zu der Frage, ob die Abstimmung tatsächlich fair und frei war. Dass sie genau das nicht war, auch nicht in Deutschland, daran gab es nach Ansicht der vernunftbegabten Mehrheit an diesem Abend keinen Zweifel. Hunko berichtete von den inzwischen bekannten Behinderungen und den Hinweisen auf massenhafte Manipulationen von Wahlzetteln und gab sich im Unterschied zu Lambsdorff und Güler zuversichtlich, dass die Bemühungen um eine juristische Anfechtung doch noch Erfolg haben könnten. Für Bilgi, der sich jegliche Kritik verbat, stand indes fest, dass es sich bei Hunko um einen "Terror-Unterstützer" handele und überhaupt alle Beobachter befangen seien.
Toprak, der angesichts der Äußerungen des oft im Grenzbereich zum unfreiwilligen Polit-Kabarett argumentierenden Erdogan-Fans nicht recht wusste, ob er lachen oder weinen sollte, erinnerte an Gleichschaltung und Massenverhaftungen und gelangte zu dem unmissverständlichen Schluss: "Eine Abstimmung im Ausnahmezustand ist immer Wahlfälschung."
Während Lambsdorff davor warnte, die türkische Community über einen Kamm zu scheren, gewährte der eloquente Berliner Erdogan-Gegner Karadinez ("Ich fühle mich nicht als Verlierer") - eindeutig der unterhaltsamste Diskussionsteilnehmer - Einblicke in sein Familienleben und pries den Pluralismus: Seine Frau habe mit Ja gestimmt, was aber auch in Ordnung sei - im Gegensatz etwa zum Aushorchen der Kinder in der Koranschule.
Systemfragen: Karadinez merkte trocken an, den Durchschnittstürken interessiere das politische System gar nicht. Der Gedanke, dass in einem Land wie Deutschland Leistung und Wettbewerb zählten, sei ihm fremd. Ihm reiche im Zweifelsfall "der Stolz darauf, ein Türke zu sein und jemanden zu kennen." Güler sprach, an Bilgi gewandt, von erheblichen Defiziten beim Demokratieverständnis, beispielsweise die Gewaltenteilung betreffend. Um "den Deutschen zu erklären", was es mit den Anhängern der "national-islamischen, neo-osmanischen Ideologie" Erdogans auf sich habe, fand Toprak einen interessanten Vergleich: Es handele sich um "türkische Reichsbürger".
Deutungen: Eine der gängigen Erklärungen für das Abstimmungsverhalten der Deutschtürken lautet ja, sie hätten aufgrund mangelnder Akzeptanz nur aus Trotz für den Autokraten gestimmt. Weder die CDU-Integrationsbeauftragte noch ihr kurdischstämmiger Parteifreund wollten das gelten lassen. Güler betonte, sie "lasse diese Opferrolle nicht mehr zu". Toprak erklärte, Diskriminierungsgefühle rechtfertigten nicht die Befürwortung eines Unrechtsregimes.
Aussichten: Zur Frage des weiteren EU-Türkei-Verhältnisses gab es keine schwarz-gelbe Einigkeit. Während Lambsdorff für ein sofortiges "ehrliches" Ende der Beitrittsverhandlungen plädierte, hielt Güler dies - schon mit Rücksicht auf die starke Zivilgesellschaft - für verfrüht. Sollte allerdings ein Referendum über die Todesstrafe kommen und mit Ja-Mehrheit ausgehen, sehe das anders aus; auf keinen Fall dürften die Deutschtürken hierüber abstimmen können.