"Maybrit Illner" zur Wirtschaftskrise Kalendersprüche der Globalisierung

Es war die letzte Illner-Sendung vor der Sommerpause. Und sagen wir mal so: War wirklich ganz schön viel in den vergangenen Monaten.
Eigentlich sollte es darum gehen, ob und wie sehr wir hier in Deutschland nun Angst haben müssen, weil in den USA Covid-19 fröhlich vor sich hin-pandemisiert, ohne dass die Regierung allzu viel dagegen zu unternehmen scheint. Und damit die Wirtschaft - sprich: Weltwirtschaft – ins Rutschen gerät. Also auch wir. Zum bangen Blick auf die hiesige wirtschaftliche Entwicklung, die die Regierung via Kurzarbeitergeld samt Abstandsregeln zu steuern versucht, also obendrauf der superbange Blick auf eine Situation, die wir uns nur ohnmächtig und zähneklappernd von außen anschauen können. Ja, gut, kann man natürlich machen.
Unterm Strich wirkte die Sendung wie der Paradedialog zwischen Illner und dem Virologen Hendrik Streeck:
Illner: "Herr Streeck, Corona, USA … was sagen Sie dazu?"
Streeck: "Also in Gütersloh …!"
Gut, das ist jetzt wirklich fies verkürzt. Und ja, Streeck sagte auch, dass die furchtbare Corona-Lage in den USA auch daher rühre, dass viele krank weiterarbeiteten, weil so etwas wie Lohnfortzahlung nicht existiere.
Überhaupt, es dominierten die Spezialistinnen: Mit Sudha David-Wilp vom German Marshall Fund und Sandra Navidi, ntv-Wirtschaftsexpertin mit Sitz in New York, saßen zwei in der Runde, die fürs Transatlantische zuständig waren, außerdem die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer, die leider nur einen kurzen Gastauftritt hatte, ohne dass klar war weshalb. Wäre sie mal nur geblieben. Dazu Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Sahra Wagenknecht (Die Linke). Und eben: Streeck.
Dennoch sprach man zwar ein wenig über die USA, viel über Deutschland, aber kaum über die Wechselwirkungen. Als Ersatz zählte man in x-fachen Varianten auf, wie viel weniger wir denn nun in die Staaten exportieren. Als wäre Wirtschaft ohne USA: nix. Ganz so als bröselte nicht schon ewig die deutsche Tradition, starr aufs "Vorbild USA" zu schielen. Nun schicken wir sogar nur noch Staatssekretäre zu Trumps G7-Gipfel, so weit isses schon.
Mehr nicht zum Kernthema?
Nur Kalendersprüche der Globalisierung: "Wenn eine Region einen Schnupfen hat oder eine Pandemie, sind alle anderen auch davon betroffen" – so Altmaier über die Wirtschaft. Und mit Blick auf die Pandemie erklärte Navidi, dass sie sich nur vernetzt bekämpfen lasse, nicht in Trumps Soloshow, sonst gelte: "America first wird zu America last".
"Die Wirtschaft"! "Die USA"! Hurz! Geht’s etwas präziser?
Ja, nee. Jedenfalls kaum in dieser zähen Runde. Selten wirkten diese Metabegriffe so absurd. Etwa weil "die USA" so unübersehbar gespalten sind, in Arm und Reich, in der Art, wie mit Covid-19 verantwortungsbewusst umgegangen wird, in der Frage, ob der strukturelle Rassismus existiert, auch bis tief in den Corona-Alltag. Und weil so offensichtlich wurde in den vergangenen Monaten, dass "die Wirtschaft" einfach zu pauschal ist für die feinen Verästelungen von existenzieller Betroffenheit.
Um mal mit Streeck zu sprechen: Was heißt das "für Gütersloh"?
Die, die das Ganze konkret machte, war Sahra Wagenknecht. Sie erwähnte jene "Helden des Alltags aus dem Niedriglohnsektor", die zu Pandemiebeginn noch gefeiert wurden, nun aber irgendwie von der Politik vergessen scheinen, die Soloselbstständigen und Freiberufler. Dann folgte ein Pingpong-Dialog zwischen ihr und Altmaier, der eher nach "Nein!" – "Doch!" – "Nein!" – "Doch!" klang. Kurzfassung: Sie kritisiert, Autofirmen, Adidas und Co. mit Kurzarbeitergeld zu unterstützen, obwohl jene Unternehmen irre großzügige Dividenden ausschütten. Altmaier sagt: Nein, stimmt nicht, da gibt’s Regeln, außerdem sei das Kurzarbeitergeld für die Arbeitnehmer, damit es "bei den Schwächeren ankommt". Als habe er nicht gemerkt, dass sie von etwas ganz anderem sprach. Und als habe Wagenknecht Unrecht (hat sie nicht).
Und, irgendeine Lösung in Sicht?
Mehrere. Erstens: Fokus auf den Technologiestandort Europa. Altmaier plädierte für unabhängige Dateninfrastruktur und seine Evergreens, Elon Musks Tesla-Fabrik in Brandenburg und die Lithium-Ionen-Batterieproduktion. Wagenknecht für "konsequente Industriepolitik" mit Fokus auf KI und Digitales. Da schritten beide Seit’ an Seit’, auch wenn Altmaier meist amüsiert lächelte, wenn sie sprach. Zweitens: den US-Corona-Horror ausnutzen. Freundlicher und klar argumentiert von der Wirtschaftsweisen Schnitzer: "Trump hat drei Viertel der Sachbearbeiter, die für Visa zuständig sind, auf die Straße gesetzt" – ergo, die "klügsten Köpfe" kommen nicht mehr rein oder müssen raus: "Die könnten wir jetzt alle zu uns holen." Aber auch wenn "die Führungsrolle von Deutschland" wieder da sei, schob David-Wilp nach, "müssen sie auch was dafür tun."
Das war jetzt die Langzeitperspektive. Was ist mit jetzt und bald?
Schnitzer zitierte aus dem eigenen Wirtschaftsweisen-Gutachten die Prognose für Ende 2020: 2,7 Millionen Arbeitslose, eine Arbeitslosenquote von 6,1 Prozent. "Wir haben es in der Hand, wie schlimm es wirklich wird", sagte sie. Wenn wir es schafften, mit den Schutzmaßnahmen die Wirtschaft weiter anzukurbeln, weiter auf unbürokratische Lösungen zu setzen, "dann mache ich mir wenig Sorgen". USA? War da was?
Wegen der Sommerpause noch was fürs Gemüt: die Phrasendrescherei des Abends.
"Rechnen Sie mit der Chance eines Teilerfolgs?" von Illner an Streeck gerichtet war schon mal nicht schlecht. Aber alle vorderen Plätze räumte Peter Altmaier geradezu handstreichartig ab. Seine Perlen: "Wir werden die Globalisierung nicht umdrehen. Wir wollen das auch nicht ändern, weil damit die Welt auch stabiler geworden ist." Und unangefochten dieser Satz über die Regierungsarbeit der vergangenen Monate: "Wir müssen immer die richtigen Entscheidungen treffen. Bislang ist uns das gelungen." Na dann.