
Mega-Musikprojekt Im Wasserbett mit Wigald und Roberto
Eigentlich hätte sie Französin oder Italienerin sein sollen. Doch die Suche nach einer Stimme, die stilecht die Vokalpassagen zum Siebziger-Jahre-Softporno-Soundtrack einsingen sollte, blieb erfolglos. In einer Münchner Parfümerie traf man schließlich eine russische Fachverkäuferin, deren Stimme die Musiker nachhaltig beeindruckte. Bei den späteren Aufnahmen säuselt, seufzt und raunt die Fachverkäuferin, auf dass der Zuhörer sich in schönste "Bilitis"-Welten träumen kann. Dabei sind die auf Russisch vorgetragenen Texte eher erotikfern: Unter anderem stöhnt die Künstlerin ein Kochrezept für Borschtsch und wispert Verhaltensregeln für Tankstellenbesucher im ukrainischen Simferopol.
Die zehn einladenden Fummelstücke sind Teil einer monumentalen Anthologie: Unter dem Namen Hobby knöpfen sich die Unterhaltungskünstler Roberto Di Gioia und Wigald Boning unterschiedlichste Genres vor, um sie pedantisch zu rekonstruieren - und dann innerhalb einer Aufnahme den radikalen Stilbruch zu vollziehen.
Di Gioia arbeitet im Erstberuf als Produzent und Musiker für Max Herre, Till Brönner oder The Notwist, Boning versucht in großkarierten Sakkos und Laborantenkitteln Würde und Wissen in den unteren Regionen des deutschen Unterhaltungsfernsehens zu verbreiten ("Clever! - Die Show, die Wissen schafft"). Da braucht man natürlich einen gesunden Ausgleich: 100 Hobby-Alben will Boning mit seinem Kollegen Di Gioia in den nächsten Jahren auf dem eigenen Label veröffentlichen.
Melancholie im Marschrhythmus
Jetzt sind in einem Schwung die ersten acht erschienen, jedes einzelne ist ein Meisterwerk an Musikalität, historischer Akkuratesse und Hintersinn. Denn auch wenn so was wie das oben beschriebene Siebziger-Jahre-Petting-Pop-Werk nach billiger Pointe riecht, so leuchten die beiden Künstler samt Gesangspartnerin Maria Braun doch mit heiligem Ernst den kulturgeschichtlichen Referenzrahmen aus. Der Bass blubbert wie ein Wasserbett, ähnlich den frühen Aufnahmen von Francis Lai, und die delikaten Cembalo-Klänge erinnern an den Filmkomponistengott Ennio Morricone, der noch dem schäbigsten Euro-Exploitation-Trash eine royale Note verlieh. Auf YouTube kursiert zu diesem Projekt passenderweise ein Video, das Boning, Di Gioia und ihre Sängerin in einer Weichzeichnerorgie à la David Hamilton zeigt.
Wo in der Siebziger-Hommage der Weichzeichner regiert, da hämmert in der Achtziger-Reflexion unter dem Titel "Neon" ein kalter NDW-Beat. Auch hier werden penibel die Mittel und Stimmungen der Ära rekonstruiert: Ein Werk voll von Katastrophenromantik, Technikbesessenheit und Melancholie im Marschrhythmus. Wenn es so was wie originäre deutsche Popmusik gab, dann wohl dieser dem Krautrock der Siebziger abgerungene Casio-Terror. Hobby schaffen es, die historische Zukunftsangst mit erinnerungswürdigen psychotischen Schüttelreimen aufzuladen.
Und das klingt dann so: "Treffpunkt Fußgängerzone / Konsumentenstrafbataillone / Auf den Dächern Richtmikrofone." 1981 wären sie damit in Dieter Thomas Hecks "Hitparade" die Nummer eins gewesen.
"Bild"-Schlagzeilen als Hardcore-Punk
Retromanie trifft auf Schizophrenie: Ein gewisser pathologischer Zug ist dem Bandprojekt nicht abzusprechen. Auf einem ihrer ersten acht Alben spielen Boning und Di Gioia zum Beispiel astreinen Afro-Beat, aufgenommen mit einem alten Vierspurgerät. Ein zäher, rumpelnder unkaputtbarer Groove. "Wir wähnten uns in einem fensterlosen Proberaum im Kinshasa der späten Siebziger", beschreibt Boning die Aufnahmesession.
Nachdem die Aufnahmen fertig waren, holte man den Schlagerstar Tony Marshall, der über den Highlife-Beat zu singen versuchte. Viele gemeinsame Stücke sind dabei nicht herausgekommen. Marshall raunt beschwipst über den rauschhaften Highilfe-Beat: "Schöne Maid / hast du heut für mich Zeit." Statt mehr zu singen, lud die Spaßkanone die beiden dann zum Stammgriechen ein, wo er ihnen ein Hinterzimmer zeigte, das komplett mit Tony-Marshall-Devotionalen gefüllt war.
Vom Schlagerkönig zum Schlagzeilenpunk: Auf dem Werk "Bild-Punk" vertonen Hobby Headlines von Deutschlands größter Boulevardzeitung als ultrakurze, extrem präzise Hardcore-Stücke. Vorbild ist der 17-sekündige Hit "I Like Food" der kalifornischen Punklegende The Descendents. Wenn es wahr ist, dass die Balkenschrift-Erregungslyrik der "Bild"-Zeitung eine Kunstform ist, dann finden Hobby eine hintersinnige Übersetzungen in die Musik: populistischer Schmäh als linksradikaler Hardcore-Punk. So schreit Boning zum Beispiel: "TV-Star Jean Pütz, eins, zwei, drei, vier: So kam ich in die Puff-Akte."
Der Sportsgeist von Boning und Di Gioia ist beachtlich. Das jetzt ebenfalls im ersten Schwung veröffentlichte Hobby-Album "Baroque" etwa entstand nur deshalb, weil die beiden Musiker bei einer Fotosession Bilder mit Gehrock und Perücke schießen ließen, die ihnen so gut gefielen, dass sie versuchten, auch entsprechende Musik zu komponieren und aufzunehmen. Von einem Kirchenmusiker aus Dresden kauften sie dann, so Boning, ein abgeschlagenes "Lindholm"-Cembalo im Resopallook, das den Geist der späten DDR atmete.
Generell wird der Instrumentenpark von Hobby kontinuierlich vergrößert. Zuletzt erwarb man zwei identische 69-Euro-Keyboards, mit denen die beiden Künstler für eine synchrone Performance auf der Bühne stehen wollen. Für den August ist eine große Welttournee geplant, Daten sind leider noch nicht bekannt.