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"Narcos": Dem Koks-König auf der Spur

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Gangsterserie "Narcos" auf Netflix Die größte Waschmaschine der Welt

Pablo Escobar war Massenmörder, Drogenbaron und kolumbianischer Robin Hood. Die Netflix-Serie "Narcos" erzählt seinen Aufstieg - und trifft dabei genau den richtigen Ton.

Wohin bloß mit all der Kohle? "Lass es uns doch wie Al Capone machen", schlägt Pablo Escobar seinem Kollegen Carlos vor, "lass uns das Geld einfach waschen." "Du bist ein Idiot, Pablo", erwidert der Drogenhändler, "Al Capone hatte nie so viel Geld wie wir." Escobar, milde lächelnd: "Dann bauen wir eben eine größere Waschmaschine."

Darf man sich, wie in dieser Szene aus der zweiten Folge von "Narcos", mit den schlimmsten Verbrechern amüsieren? Sollte einem nicht das Lachen im Halse stecken bleiben? Die kolumbianischen Drogenbosse, vereint im berühmt-berüchtigten Medellín-Kartell, gehörten zu Beginn der Achtzigerjahre zu den mächtigsten Unternehmern der Welt. Bis zu 60 Millionen Dollar setzten die sogenannten Narcos am Tag mit Kokain-Handel um, ein Großteil der Drogen wurde auf teils verwegenen Transportwegen in die USA eingeflogen - ein Milliardengeschäft, gewinnträchtiger als General Motors.

Pablo Escobar, der Anführer und Initiator des Kartells, der massenweise Menschen umbrachte, Gebäude, Autos, ja, sogar ganze Linienflugzeuge mit ungeliebten Widersachern in die Luft sprengen ließ, rangierte 1989 auf dem siebten Platz der Reichen-Liste des Wirtschaftsmagazins "Forbes". 1993 wurde er bei einer Polizeirazzia erschossen, am Begräbnis von El Patrón oder auch Don Pablo, wie er im Volk liebevoll genannt wurde, nahmen mehr als 20.000 Menschen teil.

Zu zwiespältig für den US-Mainstream?

Natürlich darf man sich mit Gangstern identifizieren. Kino und Serie drangen immer schon mit lustvollem Grusel in die Schattenwelt des kriminell entgrenzten Outlaw-Kapitalismus ein - vom "Paten" bis zu Tony Soprano - und forschten nach dem Menschen hinter dem Gangster. Auch dem mythenumrankten Koks-Entrepreneur Escobar näherte sich das Kino bereits mehrfach, zuletzt im Spielfilm "Escobar - Paradise Lost", der sich jedoch auf eine von Benicio del Toro gespielte Nebenfigur konzentriert.

Escobar, der in seiner Heimat als Präsidentschaftskandidat antrat und vom Volk als Robin Hood gefeiert wurde, weil er das Drogengeld, nicht mehr wissend, wohin damit, an die Armen verteilte; dieser Escobar schien bisher ein zu zwiespältiger, zu kontroverser Gangster-Charakter für den US-Mainstream zu sein. Zudem ist die Geschichte, wie und mit welchen dubiosen Mitteln die US-Antidrogenbehörde DEA Jagd auf ihn und das Kartell machte, bis heute von zahlreichen Leerstellen geprägt.

Die Streaming-Plattform Netflix wirft nun, zusammen mit der französischen Produktionsfirma Gaumont, erstmals einen direkten, sympathisch abgeklärten Blick auf die hindernisreiche Jagd der Polizei auf die Drogenbarone. In zunächst zehn Episoden wird Escobars Aufstieg zum Chef des Medellín-Kartells nachgezeichnet - als konsequent in Englisch und Spanisch gedrehte Handlung, die mit historischen Aufnahmen verschnitten ist. Regisseur und Produzent ist unter anderem der brasilianische Filmemacher José Padilha, der mit seinen in Rios Favelas spielenden "Tropa d'Elite"-Thrillern sein Händchen für die Dynamiken des Bandenkriegs und die Mühen der Polizei bewiesen hat.

Lakonisch wie "The Wire"

Das Besondere an "Narcos" ist vor allem die lakonische Tonart, die an Gangster-Balladen wie "Goodfellas" oder "The Wire" erinnert. Erzählt wird die schier unglaubliche Saga von Reichtum, Größenwahn, Sex- und Gewaltexzessen rückblickend und mit resignierter Nüchternheit aus dem Off von dem DEA-Ermittler Steve Murphy (Boyd Holbrook). Der echte Murphy fungierte, zusammen mit seinem in der Serie von Pedro Pascal verkörperten Kolumbien-Counterpart Javier Peña, als Berater für "Narcos" - die beiden Agenten erklärten sich laut Presse-Info erstmals bereit, ihre Erinnerungen für eine TV-Produktion zur Verfügung zu stellen.

Anders als in zahlreichen Filmen, die in jüngerer Zeit über den amerikanischen "War on Drugs" gedreht wurden, von Oliver Stones "Savages" und Ridley Scotts "The Counsellor" bis zu dem im Herbst startenden Thriller "Sicario" von Denis Villeneuve, geht es hier nicht darum, Gewaltexzesse anprangernd auszukosten oder moralische Urteile zu fällen, sondern darum, mit einer durchaus packenden Erzählung Zusammenhänge zu erklären.

Dass der Aufstieg der Narcos auch und vor allem durch die ungezügelte Kokain-Nachfrage in den USA erfolgen konnte, dass die jahrzehntelange politische Einmischung der Amerikaner in Lateinamerika oft die Falschen begünstigte, ist ein soziologisch-systemischer Diskurs, der in "Narcos" mitschwingt, aber nicht plakativ wird.

Genüsslich thematisiert die Serie in der ersten Episode, wie die Reagan-Regierung den Krieg gegen den Kommunismus höher einstuft als den Kampf gegen das Kokain. Heute ist es der Anti-Terrorkrieg, der Gelder und Einsatzmittel bindet, die Sisyphos-Krieger wie Murphy und Peña dringend bräuchten, um gegen die obszön wohlhabenden, Gesellschaft und Staat kontrollierenden Druglords zu bestehen. Was bleibt einem da schon übrig, als ebenfalls dirty zu spielen?

Der brasilianische Kinostar Wagner Moura ("Elysium") stellt Pablo Escobar in einer schelmisch-sanftmütigen Art dar, die nicht nur die kriminellen Motive des Super-Schurken nachvollziehbar macht. Es ist eine angenehm neutrale, ideologisch zurückhaltende Perspektive, die dem global expandierenden US-Sender Netflix auch außerhalb der USA Zuschauer und Abonnenten sichern dürfte, vor allem wohl in Südamerika.

Viele der von Escobar angehäuften Dollar-Millionen wurden übrigens bis heute nicht gefunden. Glaubt man "Narcos", sollte man vielleicht mal im alten Sofa seiner Mutter nachsehen.


Alle zehn Episoden von "Narcos" sind ab dem 28. August auf Netflix zu sehen.

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