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Öffentlich-Rechtliche: Massengeschmack statt Kultursendungen

Foto: Christian Charisius/ dpa

ARD und ZDF Zu viel Geld, zu wenig Leistung

Rebellin aus den eigenen Reihen: In ihrer Doktorarbeit klagt NDR-Mitarbeiterin Anna Terschüren ARD und ZDF an: Die Sender dürften keine Werbung bringen, Sponsoring enge die Sportvielfalt ein, zudem werde ein zu hoher Finanzbedarf angemeldet. Eine Tiefenanalyse der öffentlich-rechtlichen Verfehlungen.

Einige Wochen ist es her, dass Inhalte einer Doktorarbeit viel Aufmerksamkeit in der deutschen Medienbranche verursachten: Ausgerechnet eine Mitarbeiterin des öffentlich-rechtlichen Norddeutschen Rundfunks (NDR) kam in ihrer nebenberuflich verfassten Promotion zu dem Schluss, dass die Haushaltsabgabe, die seit Januar 2013 flächendeckend für ARD und ZDF erhoben wird, nicht verfassungskonform sei.

Der NDR war bemüht, die Forschungsergebnisse seiner Mitarbeiterin kleinzureden: Weder sehe man "neue Erkenntnisse", noch sei die Autorin mit dem Thema Rundfunkbeiträge im Hause befasst. Nun ist die Arbeit verteidigt (bewertet mit der Bestnote summa cum laude) und kann online abgerufen werden . Die Dissertation scheint vom NDR unterschätzt zu werden, sie birgt noch weiteren Zündstoff. Anna Terschüren, 29, arbeitet in der Verwaltung der Rundfunkanstalt und forscht seit längerem zu dem Themenkomplex.

So knöpft sie sich in ihrer Arbeit etwa auch die umstrittene Fragestellung vor, ob ARD und ZDF weiterhin Werbung senden dürfen.

Werbung zielt auf Massengeschmack

Terschüren argumentiert: Durch die Werbefinanzierung des Vorabendprogramms gehe es weniger um Programmvielfalt sondern darum, den Massengeschmack zu bedienen. Bei Vorabendserien etwa seien kaum Unterschiede zum Privatfernsehen zu erkennen. Die anspruchsvollen Programme würden eher zu Rand- und Nachtzeiten gesendet werden. Die Autorin konstatiert: "Festzuhalten ist bislang, dass die negativen Effekte der Werbefinanzierung auf das Programm deutlich stärker wiegen als die Zusatzeinnahmen, die hierdurch generiert werden. Somit ist es naheliegend, diese vielfaltsverengenden Einnahmequellen abzuschaffen."

Auch Sponsoring gilt als umstritten. Vor allem Sportereignisse werden so mitfinanziert; bei Rechteverhandlungen ist die Ausstrahlung mindestens des Sponsorenhinweises oft Grundlage.

Sponsoring engt Sportvielfalt ein

Terschüren widerlegt die Argumentation der Sender und setzt sich vor allem mit der Frage auseinander, was passierte, wenn den Öffentlich-Rechtlichen ein Sponsoringverbot auferlegt werden würde: ARD und ZDF argumentierten, dass durch ein Sponsoringverbot die Sportartenvielfalt in der Berichterstattung gefährdet sei. Terschüren hält dagegen, dass gerade wegen des Sponsorings quotenstarke Sportarten gezeigt würden. Zudem seien die Einnahmen aus Sponsoring "so gering, dass ihr Wegfall insgesamt ausgleichbar sein sollte".

Der wohl heikelste Punkt in der Doktorarbeit ist die Auseinandersetzung mit der Finanzierung des Systems. Terschüren leitet her, dass sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für überfinanziert hält.

Die Rundfunkanstalten haben zu viel Geld

Die "Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs" (KEF) habe nur unzureichende Kontrollmöglichkeiten. Es gebe nur mangelhafte Anreize für die Rundfunkanstalten, "wirtschaftlich und sparsam zu arbeiten". In der Vergangenheit habe die KEF nie den Forderungen der Rundfunkanstalten nach mehr Geld vollständig entsprochen, "im Rahmen der Umstellung auf den Rundfunkbeitrag wurden sogar nur 21 % des angemeldeten" Finanzmehrbedarfs von der KEF anerkannt. Das sieht Terschüren als einen Hinweis darauf, dass ARD und ZDF zu hohe Bedarfsanmeldungen abgäben. Es sei davon auszugehen, "dass die Rundfunkanstalten versuchen, das Höchstmögliche an Mitteln 'herauszuschlagen'."

Des Weiteren könnten ARD und ZDF umfangreich sparen, ohne dass dies laut eigener Angaben zu einer Gefährdung der Programmqualität führte. Der WDR spare etwa schon heute 50 Millionen Euro im Jahr, betone aber, dass die Programmqualität trotzdem nicht leiden dürfe. Auf gut Deutsch: Trotz weniger Geld, bleibt das Angebot gleich. Weiter heißt es in ihrer Arbeit: "Im Ergebnis kann angenommen werden, dass den Rundfunkanstalten bislang wesentlich höhere Mittel zur Verfügung standen, als unter den Prämissen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Auftragserfüllung notwendig gewesen wären."

Kaum Infos in den Hörfunkprogrammen

Terschüren fordert, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk klar von Privatsendern unterscheidbar sein muss und er auch nur dann ein Anrecht auf Rundfunkbeiträge hat. Für entbehrlich hält sie etwa Soaps oder Boulevardmagazine, denen das öffentlich-rechtliche Profil fehle. Auch sollten ARD und ZDF beim Einkauf von Filmen oder Rechten an Sportübertragungen absehen, wenn diese sonst im privaten Free-TV ausgestrahlt werden würden.

Terschüren rechnet auch mit dem Radioprogramm der ARD ab, die Inhalte seien denen der privaten Radiosender "sehr ähnlich". Fast die Hälfte des Gesamtprogramms der ARD werde durch Unterhaltungsmusik gestaltet, nur 7,6 Prozent des Programms machten Angebote zur Kultur und zur Bildung aus. Sie schreibt: "Angesichts der deutlichen Verfehlung des Funktionsauftrages sollte überlegt werden, ob der öffentlich-rechtliche Hörfunk in seiner gegenwärtigen Form überhaupt eine Daseinsberechtigung besitzt. "

Anna Terschürens Erkenntnisse werden wohl den öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch einige Zeit beschäftigen. Das "friendly fire" kommt für den NDR zur Unzeit: Ausgerechnet der Chef des Senders, Lutz Marmor, ist derzeit der Vorsitzende der ARD und somit auch für übergeordnete Strategiefragen verantwortlich.

Zu guter Letzt entwickelt Terschüren in ihrer Arbeit auch noch ein neues Modell, wie die Rundfunkfinanzierung in Zukunft aussehen könnte - ihrer Meinung nach verfassungsgemäß.

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