Netflix-Weihnachtsfilme Ihr seid spießig wie das ZDF

Netflix-Dreiteiler »ÜberWeihnachten«: Luke Mockridge als Basti, der gern Musiker wäre
Foto:Frank Dicks / Netflix
Weihnachten ist das Fest der Familie, daran rüttelt kein Virus. Politiker wissen schon, warum sie an den Festtagen Ausnahmen von den Corona-Auflagen gewähren: Weil es sonst einen Aufstand gäbe, auch von Menschen, die mit Querdenkern nichts am Alu-Hut haben. In diesem Jahr ist das Thema, wenn überhaupt möglich, noch stärker emotional aufgeladen als sonst.
Dabei war die Antwort auf die Frage, was man denn an Weihnachten vorhabe, immer eine höchst zweischneidige Angelegenheit. »Wir fahren zu meinen Eltern/Schwiegereltern«, dieser Satz kam selten ohne körpersprachliche Untermalung aus: Augenrollen, Schulterzucken, Stirnfalten. So dick kann der Zuckerguss auf den Plätzchen gar nicht sein, dass er die Abgründe zukleistern könnte, die sich über die Feiertage im Familiengefüge auftun können.
Dementsprechend kommen Filme, die sich mit dem Weihnachtsbesuch zu Hause beschäftigen, selten ohne auf die Spitze getriebene dramaturgische Verwerfungen aus – das zeigen nun auch zwei deutsche Netflix-Produktionen. Wobei die eine, die Mini-Serie »ÜberWeihnachten«, sich trotzig ein Neo-Biedermeier in der Fachwerkhölle zurechtzimmert; während die andere, der Detlev-Buck-Film »Wir können nicht anders«, Tarantino-mäßig alles niederwalzt, was nicht bei drei auf dem Weihnachtsbaum ist.
In »ÜberWeihnachten« gönnt sich Netflix mit dem populären Comedian Luke Mockridge ein Zugpferd, das vor allem die Umdiedreißigjährigen abholen soll, wie man so schön sagt. Mockridge gibt hier sein Debüt als Schauspieler, und er spielt eine Figur mit dem sehr treffenden Namen Basti: Ein Umdiedreißigjähriger Schluffi, der an seiner Selbstverwirklichung als Musiker in Berlin feilt (und daran scheitert) und an Weihnachten dankbar zurück zu Mama ins beschauliche Eifel-Dorf flüchtet.
Dass dort nicht nur Harmonie und Vanillekipferl warten, ist wenig überraschend. Sein Bruder taucht mit Bastis Ex im Arm auf, aber der findet schnell Trost bei einer viel cooleren Frau. Ein Geheimnis der Eltern droht die Stimmung endgültig zu ruinieren, aber wilde Drehbuch-Kapriolen retten dieses Fest auf Teufel komm raus.
Überraschend ist schon, wie geradezu ZDF-artig spießig sich diese Produktion gibt. Vielleicht ist ja was dran an der Ahnung, dass sich vor allem jüngere Menschen angesichts rasender Weltläufe gerade gern in Wolkenkuckucksheime zurückziehen. Wäre »ÜberWeihnachten« Musik, die Serie würde klingen wie ein Mark-Forster-Song.
Bei Detlev Buck dagegen will vorweihnachtliche Stimmung (sein Film spielt am Nikolaustag) gar nicht erst aufkommen, dafür gibt es von Beginn von »Wir können nicht anders« an zu viel kopfloses Geschieße und Gerenne.
Die Hauptfiguren Sam (Kostja Uhlmann) und Edda (Alli Neumann) haben kaum eine Nacht miteinander verbracht, da fahren sie schon gemeinsam auf Weihnachtsbesuch in ihr Heimatdorf in der ostdeutschen Provinz. Kurz darauf werden sie ansatzlos von debilen Kleingangstern durch einen Wald gehetzt.

»Wir können nicht anders«: Sam (Kostja Uhlmann) und Edda (Alli Neumann) fahren gleich nach dem Kennenlernen ins Dorf
Foto: NetflixDazu kommen ein gefährlicher Polizist, ein bewaffneter Mann in Bademantel und Gummistiefeln und vor sich hin bröckelnde ehemalige LPG-Gebäude. Buck lässt keinen Zweifel daran, dass seine Provinz in diesem Film, der wegen der Pandemie nicht im Kino, sondern bei Netflix landete, ein gefährlicher Ort ist. Vielleicht ist sie gar kein Ort, sondern ein Zustand.
Buck, der notorische Norddeutsche vom Dorf, macht eigentlich immer schon Komödien über die schrulligen Menschen auf dem Land. Am deutlichsten spielt er nun im Titel schon auf seinen großen Durchbruch von 1993 an, »Wir können auch anders...«, sein bis heute bester Film. Dort feierte er mit einem völlig eigenen Ton und Humor die Anarchie, die damals im ehemaligen deutsch-deutschen Grenzgebiet herrschte.
Der Nachfolger hingegen fühlt sich so an, als betreibe Buck eine Art Teufelsaustreibung. Schließlich hat der Mann in den letzten Jahren hauptsächlich einen »Bibi und Tina«-Pferdefilm nach dem anderen gedreht, plus zugehöriger Serie. Verständlich, dass ihm nun nach einem möglichst blutigen Thriller war.
Allein: »Wir können nicht anders« ist allen Anspielungen an Vorbilder wie »Beim Sterben ist jeder der Erste« und »Wer Gewalt sät« zum Trotz zur Satire zu ungenau und zum Thriller zu wirr. Buck legt »Maria durch ein Dornwald ging« unter hanebüchene Verkettungen hochexplosiver Umstände vor, und das gaukelt hie und da Tiefe vor, aber die Detonationen gehen ins Leere der märkischen Landschaft. Es geht um zurückgebliebene Männer, abgehängte Alte und tief vergrabenen Nach-Wende-Frust, aber die Themen stehen so einsam in der Gegend wie die heruntergekommenen Häuser der sterbenden Dorfgemeinschaft.
Angesichts dieser Tristesse sind die Aussichten auf ein Corona-Weihnachten im Familienkreis dann doch vielversprechend. Wie auch immer es wird: Immerhin können wir alle später sagen, dass wir bei diesem denkwürdigen Fest dabei waren.
»ÜberWeihnachten« ab 27.11., »Wir können nicht anders« ab 4.12. auf Netflix.