
Neue ZDF-Krimi-Reihe Fremdgehen mit Freud
Diese Korridore! Endlos ziehen sie sich hin, und immer wenn man am Ende angelangt zu sein glaubt, machen sie einen Knick und gehen weiter. Viel Zeit zum Quatschen also. Und so verhandeln Polizeipsychologe Vince Flemming (Samuel Finzi) und seine Ex, die Kommissarin Ann Gittel (Claudia Michelsen), sämtliche Angelegenheiten auf den Gängen der kafkaesk anmutenden Mordkommission.
Reden und Gehen, das sind die beiden zentralen Tätigkeiten in der neuen ZDF-Ermittlerserie "Flemming". Ein Kniff, wie man ohne viel Polizei-Action ein Höchstmaß an Dynamik erzielt. Das Gespräch wird hier zum körperlichen Kraftakt. Da passt es ins Bild, dass Flemming, dieser kleine agile Psychoklempner, das Kommunizieren als eine Art Hochleistungssport betreibt. Angetrieben wird er von einer Mischung aus Mitteilungszwang und Machismo. Kann man so einen überhaupt ertragen?
Der Pilotfilm, mit dem das ZDF den eigenwilligen Ermittler auf 90 Minuten vorstellt, beginnt denn auch gleich mit einem Scheidungstermin. Noch-Gattin Ann barmt vor der Richterin: "Heiraten sie so einen und sie fühlen sich ständig nackt - ein Traummann für eine Exhibitionistin."
Ausgesprochen provokant
Klar, wir alle brauchen jemanden, der schmerzliche Wahrheiten ausspricht. Aber vielleicht nicht unbedingt im eigenen Schlafzimmer. Ein Mensch wie Flemming ist wohl nur auf Distanz erträglich, zum Beispiel übers Radio, wo man den Aus-Knopf drücken darf, wenn es mal wieder gar zu weh tut. Einmal pro Woche hat der Psychologe seine eigene Show, wo er dann brutale Sprüche wie diese verbreitet: "Wir arbeiten daran, dass unsere Frauen zu Müttern werden, doch dann greift das größte Tabu, das die Gesellschaft errichtet hat: das Inzesttabu. Frauen, macht euch nichts vor: Mütterliche Frauen werden nicht gebumst."
Der Verbal-Rabauke "Flemming" ist ein schöner Neuzugang für jenen Freitagabend-Sendeplatz im ZDF, der einmal die "Kaminstunde des deutschen Fernsehens" genannt wurde. Doch wo ehedem Ermittler alter Schule wie "Derrick" antraten, werden inzwischen auch hoch brisante Krimi-Experimente wie "Kriminaldauerdienst" gewagt. Gut und Böse, das ist die Folge dieser Modernisierung, sind nicht mehr so klar zu trennen wie einst.
Im Falle von "Flemming", erdacht von Autor Gregor Edelmann, der auch den Pathologen-Krimi "Der letzte Zeuge" entwickelt hatte, schlägt sich die moralische Unübersichtlichkeit in zwei Punkten nieder: Zum einen ist die Hauptperson selbst nicht unbedingt integer; neben unerträglichen Eheanalysen nervte er die Ex auch mit Seitensprüngen, die er anschließend einer psychologischen Untersuchung unterzog: Fremdgehen mit Freud.
Auf der Couch. Autsch!
Zum anderen gerät für Flemming ständig das Konzept der Schuldhaftigkeit ins Wanken - und zwar umso stärker, je besser er seinen Job macht. Täter sind für ihn vor allem Opfer ihrer Konditionierung. Für so einen ist auf einem Polizeipräsidium eigentlich kein Platz. Denn Flemming will verstehen statt richten, heilen statt strafen. Aber kommen Sie damit mal einem Polizeibeamten, der gerade einen Kindermörder überführt hat! So gesehen holt der Psychologen-Krimi seine Zuschauer von der weichen Fernseh- auf die harte Therapeutencouch. Die dürfen hier zwar mit knobeln, wer der Täter ist - die Genugtuung, sich über die Überführung zu freuen, ist ihnen jedoch nicht vergönnt.
Bei so viel dramaturgischem Ehrgeiz sieht man über die Schwächen der Pilotfolge gern hinweg: das Finale mit einer ziemlich schlicht in Szene gesetzten Traumtherapie; der bisweilen an Aphorismen-Sammlungen erinnernde Jargon einzelner Figuren.
Die Hauptdarsteller, die sich kurz vorm Dreh schon in dem ARD-Ehe-Krimi "Sieben Tage" warmgelaufen haben, spielen gekonnt über die gelegentlich arg geleckten Dialoge hinweg. Klasse, wie sie dabei auch die üblichen Rollenmuster unterwandern: Während Michaelsen die geradlinige Handwerkerin gibt, verkörpert Finzi den ewig anlehnungsbedürftigen Klugscheißer. Am liebsten würde er die ganze Welt der Selbsterkenntnis zuführen - er selbst aber stürzt sich lieber von einer kindischen Aktion in die nächste.
Die eigene Trennung zum Beispiel lässt er lieber gar nicht erst an sich heran. Während die Ex abends vor dem Kühlschrank traurig an einer Milch nippt, leert der Psychologe schon zwei Tage nach der Scheidung mit seiner neuen Liebhaberin im nächtlichen Park zwei Flaschen Schampus. Einfach unheilbar, der Typ.
"Flemming", freitags, 21.15 Uhr, ZDF